Die EU ist Exportweltmeister bei Impfstoffen. Dabei hat Europa selbst viel zu wenig davon.
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Laut der angesehenen "New York Times" ist die EU Exportweltmeister bei Corona-Impfstoffen, und dies, obwohl die EU selbst viel zu wenig Impfstoff hat. 34 Millionen Impfdosen seien in den vergangenen Wochen an Länder außerhalb der Europäischen Union geliefert worden, heißt es. In der EU-Kommission sei man sich bewusst, dass diese Nachricht zu einem empörten Aufschrei führen werde, weshalb man die Sache lieber vertraulich behandeln wolle.
Wenig fürchtet man in Brüssel mehr als Nachrichten, die die EU in schlechtem Licht erscheinen lassen. Kritik, selbst wenn sie berechtigt ist, überlässt man deshalb Kräften, die der Union ablehnend gegenüberstehen, und vergisst dabei, dass die wirksamste, weil verbesserungsorientierte Kritik meist von innen kommt.
Dabei will die EU doch eigentlich ein politischer Akteur sein, der nach Augenhöhe mit den anderen Machtzentren der Welt strebt. Doch je politischer die EU auftritt, desto mehr gerät auch sie in die Fallstricke der Politik.
So wurde ein erheblicher Teil der aus der EU exportierten Impfdosen nach Großbritannien und in die USA geliefert, die unzweifelhaft brutal von der Pandemie betroffen sind. Obwohl in den USA Millionen Impfdosen von AstraZeneca unverbraucht eingelagert sind, weil die Behörden noch keine Zulassung erteilt haben, verweigert die US-Regierung eine Ausfuhr in die EU; auch aus Großbritannien findet keine Impfdosis den Weg über den Ärmelkanal. Als jedoch Italien kürzlich mit EU-Bewilligung die Ausfuhr von AstraZeneca, das vertragswidrig weit weniger Impfdosen an die EU liefert, nach Australien untersagte, hagelte es Kritik von innerhalb und außerhalb der Europäischen Union, die sich als Hüterin freier Märkte sieht.
Die Sehnsucht der EU, es allen recht zu machen, führt dazu, dass die natürlichen Prioritäten einer demokratischen Gemeinschaft aus dem Blick geraten: Ganz oben rangiert hier der Schutz der Sicherheit und der elementaren Interessen der eigenen Bürger. Erst dann wird die Hilfe für andere zum Gebot. Kippt diese Reihenfolge, gerät die Unterstützung der Bürger für dieses gemeinsame Projekt ins Wanken. Aus Sicht der Bürger gibt es keinen Grund, weshalb Großbritannien, Israel und sogar die USA mit ihren Impfkampagnen weit vor der EU liegen. Die Not und das Sterben sind hier so groß wie dort. Für die Regierungen in Washington, London und Tel Aviv hat das Impfen zuhause Vorrang, die EU will sich dagegen nicht dem Vorwurf von "Europe First" aussetzen. Das ist - auf einer höheren Ebene - nicht unsympathisch, jetzt muss es nur noch jemand den eigenen Bürgern erklären - und dabei ihre Unterstützung gewinnen.