EU-US-Freihandelsabkommen: Angst vor Klauseln, die Firmen erlauben, nationale Gerichte zu ignorieren.
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Investitionsschutz ist einer der umstrittensten Punkte im geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Eine sogenannte ISDS-Klausel soll es Firmen ermöglichen, an ordentlichen Gerichten vorbei im Schiedsverfahren Staaten zu klagen, wenn sie durch deren Entscheidungen ihre Investition oder erwarteten Profit gefährdet sehen. Das Thema ist heiß – zu heiß für die EU-Kommission, die nach heftigem Widerstand in der Bevölkerung die Verhandlungen darüber im März ausgesetzt und Konsultationen einberufen hat. Diese Beratungsfrist läuft am Sonntag aus – rechtzeitig zum Beginn der sechsten Verhandlungsrunde zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) am Montag.
Investitionsschutzabkommen – allein bei dem Wort überfällt Ira Rheingold ein kalter Schauer. Er ist Direktor des amerikanischen Verbands der Konsumentenanwälte und extra von Washington nach Brüssel gekommen, um den Sorgen amerikanischer Konsumenten Gehör zu verschaffen. Die Aushebelung nationaler Gerichte durch Investitionsschutzklauseln ist für Rheingold eine Absurdität.
"Die Vorstellung von ISDS in einem demokratischen Land ist für mich so etwas von lächerlich", sagt Rheingold. "Das ist ein Privatgericht, das wir für Banken und Konzerne schaffen, die dann ,Investoren‘ genannt werden." Es gehe lediglich um Interessen von Großkonzernen. "Die stehen da, als wären sie Staaten, und klagen ein anderes Land aufgrund eines Vertrages vor einem außergerichtlichen Tribunal, das aus privaten Anwälten besteht. Das muss man sich einmal vorstellen! Das ist so undemokratisch, dass allein schon die Vorstellung, dass es in anderen Verträgen bereits besteht, ein Wahnsinn ist."
Auch in Europa warnen schon seit langem Organisationen von Arbeiterkammer bis zu den Globalisierungskritikern von Attac vor den möglichen Folgen von ISDS-Klauseln. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass von ihnen eine Macht ausgehe, die Konzerne schon einmal missbrauchen.
ISDS wird zum Bumerang für Industrieländer
Ursprünglich ins Leben gerufen, um Unternehmen aus Industrieländern vor Korruption und Willkür in Ländern zu schützen, in denen die gerichtlichen Standards nicht den von zu Hause gewohnten entsprechen, wurde die Grundidee pervertiert. Findige Juristen haben es nämlich geschafft, diesen Schutz gegen jene zu richten, die sich eigentlich schützen wollen. So gesehen beim Fall der belgischen Fortis-Bank.
Als die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 ihrem Höhepunkt entgegensteuerte, stand die Fortis-Bank vor dem Konkurs. Um das Geldinstitut zu retten, blieb der belgischen Regierung nichts anderes übrig, als es zu verstaatlichen und zu zerschlagen. Daraufhin klagte ein chinesischer Investor – die Versicherungsgesellschaft Ping An –, der im Vorfeld risikoreich bei Fortis eingestiegen war, vor einem Investitionsschiedsgericht. Das, weil Schutz vor ungerechtfertigter Enteignung einer der Grundpfeiler von Investitionsschutzabkommen ist. Er soll verhindern, dass ein gutgläubiger Investor mit Geld in ein Land kommt, dieses seine Investition einkassiert und ihn mit leeren Händen hinauswirft.
So eine Enteignung sah Ping An in der Verstaatlichung von Fortis. Diese dürfe nämlich nur erfolgen, wenn dafür eine angemessene Entschädigung gezahlt werde – in diesem Fall 1,8 Milliarden Euro. Dass der belgische Staat einen Totalverlust abgewendet hatte, interessiert da wenig.
Investitionsschutzabkommen umspannen inzwischen die Welt. Auch Österreich unterhält dutzende solcher Verträge, die auf 10 Jahre, in Einzelfällen auf 15 bzw. 20 Jahre abgeschlossen wurden. Danach werden sie auf unbestimmte Zeit verlängert und können von jeder Vertragspartei unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von zwölf Monaten auf diplomatischem Wege gekündigt werden. Weißrussland, Libyen, Saudi-Arabien oder auch Ägypten finden sich beispielsweise auf der Liste. Wächst ein Land über die Kategorisierung als "unsicher" hinaus, kündigt es ISDS schon einmal auf. Südafrika beispielsweise lässt gerade jetzt sein Abkommen mit Österreich auslaufen.
Doch dass sich Schiedsverfahren nicht verhindern lassen, davon ist man bei der EU-Kommission überzeugt. "Wir können schon jetzt geklagt werden", heißt es aus dem EU-Handelskommissariat. Den Beweis hat der amerikanische Tabakkonzern Philip Morris angetreten.
Kein ISDS bei Australien-USA: "Vertrauen unserer Justiz"
Als die USA und Australien seinerzeit ein Freihandelsabkommen abschlossen, stellten sie unter anderem klar, dass man Vertrauen in das Justizsystem des jeweils anderen habe und die Inkludierung einer ISDS-Klausel daher nicht nötig sei.
Als sich jedoch die australische Regierung erfrechte, den Raucherschutz im Land zu verschärfen, sah Philip Morris seine Profite gefährdet und zerrte den australischen Staat vor ein Schiedsgericht. Wie? Über eine Niederlassung in Hongkong, Stadt mit der Australien ein Investitionsschutzabkommen geschlossen hat.
Für Monique Goyens sind solche Fälle ungeheuerlich. "Durch dieses System werden heimische Firmen schlechtergestellt, die auf diese Maßnahme nicht zurückgreifen können", sagt die Chefin vom europäischen Konsumentenschutzverband Beuc. Doch selbst dafür haben Firmen und Juristen bereits einen Ausweg gefunden.
Heimische Firmen beginnen ISDS einzusetzen
Als der kanadischen Regierung Berichte vorgelegt wurden, wonach die umstrittene Gas- und Ölgewinnungsmethode Fracking in einer bestimmten Region massive Umweltgefahren berge und mit gravierenden Schäden zu rechnen sei, beschloss sie ein Moratorium zu erlassen: Solange die Bedenken nicht ausgeräumt seien, dürfe nicht gefrackt werden. Das gefiel der betroffenen kanadischen Firma Lone Pine Resources gar nicht. Auf dem ordentlichen Rechtsweg rechnete sie sich offenbar wenig Chancen aus. Daher wandte sie sich direkt an das Investitionsschiedsgericht und klagte den kanadischen Staat auf 250 Millionen Dollar. Das tat sie über ihre Filiale in den USA, denen Kanada durch das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta zu Investorschutz verpflichtet ist.
Dass es Fehler im System gibt, ist offensichtlich. Genau das ist jedoch eines der Argumente, der EU-Kommission dafür, ISDS in TTIP zu verankern. Wenn man Klagen schon nicht verhindern kann, solle das System doch wenigstens repariert werden, so das Credo der EU. Die 1400 bilateralen Investitionsabkommen der EU-Mitgliedstaaten bedürften einer Verbesserung. "Die EU und die USA hätten durch TTIP die Chance, das bisherige ISDS-System zu verbessern und damit einen Präzedenzfall für weitere Abkommen zu setzen", erklärt John Clancy, Sprecher von EU-Handelskommissar Karel De Gucht. Dass das möglich ist, bezweifelt wiederum Goyens: "ISDS ist zu kaputt, um es zu reparieren." Doch es gibt noch andere Argumente für ISDS.
"Wir müssen den strategischen Aspekt bedenken", erklärt Markus Beyrer. Der Österreicher ist Direktor von Businesseurope und war lange Jahre Generalsekretär der Industriellenvereinigung. Im Blick sind die Freihandelsgespräche die Europa in naher Zukunft mit China und Myanmar aufnehmen wird. "Wie sollen wir von Peking und Rangun ISDS verlangen, wenn wir es in TTIP nicht haben", fragt Beyrer. Hier, wie auch grundsätzlich, wünscht er sich Schutz. "Selbst in den fortgeschrittensten Justizsystemen gibt es Situationen, in denen sich ein Zusammenspiel von Politik und öffentlicher Meinung negativ auswirken können", erklärt er. "Es ist angenehm, wenn Du weißt, dass im Streitfall nicht Dein Vertragspartner das Urteil fällt."
Vorbehalte dieser Art hat die EU sogar gegenüber den USA: Es bestehe "das Risiko der ungerechten Behandlung für EU-Unternehmen, da US-Gesetze nicht explizit die Diskriminierung von ausländischen Unternehmen verbieten", sagt Clancy.
Gelassener sieht man das in Deutschland. "Die USA bieten EU-Investoren ausreichend Rechtschutz vor nationalen Gerichten. US-Investoren haben in Deutschland ebenfalls ausreichenden Rechtschutz vor nationalen Gerichten", heißt es aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
Berlin: "Einbeziehung von ISDS nicht nötig"
Mit Deutschland und Frankreich haben ISDS-Gegner die beiden größtmöglichen Verbündeten in Europa. Und so heißt es aus Berlin: "Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit für die Einbeziehung von Regelungen zum Investitionsschutz und Investor-Staat-Schiedsverfahren." Dennoch könnte über einen Winkelzug ISDS zwischen der EU und den USA de facto ins Leben gerufen werden, ohne dass dafür TTIP notwendig wäre. Das Geheimnis dafür ist ein anderes Abkommen: Ceta, das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, das sich bereits in einem fortgeschrittenerem Stadium als TTIP befindet. Es ist so gut wie unterschriftsreif und enthält eine ISDS-Klausel. Da Kanada wiederum durch Nafta mit den USA ein ISDS-Abkommen hat, ist der Klagsweg für alle Beteiligten offen. Eigentlich hätte Ceta letzten Monat dem EU-Rat zur Beschlussfassung vorgelegt werden sollen, wurde jedoch verschoben. Eines ist aber klar: Wird Ceta mit ISDS unterschrieben, macht das den TTIP-Streit zu einem rein akademischen.
ISDS
(aum) Das erste ISDS-Abkommen (Investor-state dispute settlement, auf Deutsch Abkommen zur Bereinigung eines Streits zwischen Investor und Staat) wurde 1959 zwischen Deutschland und Pakistan abgeschlossen. Diese Verträge ermöglichen es ausländischen Investoren, einen Staat vor einem Schiedsgericht zu klagen, wenn sie sich vom Gastland "nicht fair und gleichberechtigt" behandelt fühlen. Darunter fallen typischerweise: ungerechtfertigte und unkompensierte Enteignung; eine schlechtere Behandlung, als sie heimischen Firmen zukommen würde; eine Schlechterstellung vor Gerichten oder Verwaltungsbehörden. Die Idee dahinter ist, dass ein Investor die Möglichkeit hat, sich vor einer unabhängigen Instanz gegen ein korruptes System zu wehren. Der Investor muss in diesem Fall nicht den ordentlichen Rechtsweg beschreiten und sich an die nationalen Gerichte wenden, sondern kann direkt das vereinbarte Schiedsgericht anrufen. Zu diesen Gerichten gehören etwa das International Centre for Settlement of Investment Disputes of the World Bank (Icsid), der London Court of International Arbitration oder die United Nations Commission on International Trade Law (Uncitral), die abwechselnd in Wien und New York tagt. Insgesamt haben die EU-Mitgliedsaaten 1400 solcher Abkommen geschlossen. Die meisten davon unterhält Deutschland mit 140, die wenigsten Irland, das kein einziges unterschrieben hat.