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Angst vor Ölpest in der Arktis

Von WZ-Korrespondent Jörg Michel

Politik

Indigene Präsidentin des Arktischen Rats begrüßt Ressourcenabbau.


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Ottawa. In der Arktis ist eine neue Zeit angebrochen. Das polare Eis schmilzt angesichts der Klimaerwärmung immer schneller. Viele Nationen haben ein Auge auf die bisher verborgenen Rohstoffe geworfen und Ölkonzerne sichern sich immer mehr Bohrlizenzen. Die Folgen für das fragile arktische Ökosystem könnten verheerend sein, insbesondere wenn es bei Probebohrungen zu Unfällen kommen sollte.

Einem solchen Szenario wollen die polaren und nordischen Staaten nun vorbeugen. Im Falle einer Ölpest sei eine schnelle und effektive internationale Kooperation notwendig, um die Schäden für das verletzliche Ökosystem zu minimieren, heißt es in dem Entwurf für ein neues Abkommen, das auf der Außenministertagung des Arktischen Rates nächste Woche beschlossen werden soll. Das geplante Abkommen ist erst der zweite verbindliche Vertrag in der Geschichte der 1996 gegründeten Organisation. Dort sitzen die Anrainerstaaten Kanada, die USA, Russland, Dänemark (Grönland), Norwegen, Island, zudem die nordischen Staaten Schweden und Finnland sowie Vertreter der Ureinwohner. Vor zwei Jahren wurde ein erstes Abkommen über Bergungseinsätze unterzeichnet.

Diesmal geht es darum, die Zusammenarbeit im Fall einer Ölpest zu regeln. Laut Entwurf, der der "Wiener Zeitung" vorliegt, ist jeder Mitgliedstaat verpflichtet, ein Überwachungssystem sowie einen Notfall- und Rettungsplan zu erstellen und für die entsprechende personelle und technische Ausstattung zu sorgen. Außerdem sind die Länder angehalten, sich gegenseitig über Gefahren und Unfälle zu informieren und sich bei Bedarf gegenseitig zu helfen. In Regierungskreisen in Ottawa hieß es, der Vertrag sei ein Durchbruch, da er erstmals die internationale Kooperation bei Ölunfällen regle und den Abbau von Rohstoffen in der Arktis sicherer mache.

Umweltschützer dagegen sind entsetzt. Sie wehren sich gegen die Ausbeutung der Rohstoffe und befürchten katastrophale Ölunfälle, vergleichbar mit der Explosion der Plattform "Deep Water Horizon" vor drei Jahren im Golf von Mexiko. Damals waren fast fünf Millionen Barrel Öl ins Meer geströmt und es dauerte annähernd drei Monate, bis die Lecks überhaupt gestopft werden konnten.

Unentdeckte Bodenschätze

"Die Ölförderung in Polargebieten sollte komplett verboten werden", sagte die Arktis-Expertin von Greenpeace, Christy Ferguson. In der entlegenen Region seien aufgrund der Witterungsverhältnisse effektive Notfalleinsätze nahezu unmöglich und die ökologischen Gefahren ungleich größer als im Süden. Umweltorganisationen befürchten, dass der neue Vertrag den Ölkonzernen in der Arktis Tür und Tor öffnet und die Erkundungen beschleunigt. Das Abkommen sei weitgehend zahnlos: Es enthalte keine verbindlichen Sicherheitsvorschriften für die Ölkonzerne. Unklar sei, wer bei einem Unfall in welchem Umfang zur Rechenschaft gezogen wird.

In der Arktis ist in den letzten Jahren eine Art Goldrausch ausgebrochen. Laut US-Geologen lagert in dem Gebiet fast ein Viertel der Öl- und Gasvorräte der Welt. Damit könnte man die ganze Erde etwa drei Jahre lang versorgen. Dazu kommen Bodenschätze wie Gold, Zink, Kupfer und Eisenerze sowie bisher unerreichbare Fischgründe. Die meisten Reichtümer lagern nahe den Küsten in den Hoheitsgebieten der Anrainer.

Noch gibt es in der Arktis keine kommerzielle Ölförderung. Zahlreiche Länder haben Konzernen aber Bohr- und Erkundungslizenzen für das Gebiet erteilt. In Russland etwa stehen die staatlichen Konzerne Gazprom und Rosneft in den Startlöchern, die ersten Probebohrungen stehen kurz bevor. In Kanada haben unter anderem BP und Exxon ihre Ansprüche gesichert und unternehmen derzeit seismische Tests.

Es gibt allerdings auch gegenteilige Entwicklungen. In Alaska musste Shell seine Bohrpläne aufgrund technischer Probleme aufschieben. In Grönland hat die Regierung wegen unklarer ökologischer Folgen ein Bohr-Moratorium erlassen. Studien zufolge war die Sommereisdecke in der Arktis 2012 wegen der Klimaerwärmung auf ein Rekordtief gesunken.

Der Ressourcenabbau in der Arktis erhält nun Schützenhilfe von unerwarteter Seite: Leona Aglukkaq, 46, stammt aus Nunavut, dem arktischen Territorium im hohen Norden Kanadas, das fünfmal so groß ist wie die Deutschland, in dem aber nur 30.000 Menschen leben. Die meisten sind Inuits wie Aglukkaq.

Inuit wollen mitbestimmen

Nächste Woche übernimmt Aglukkaq auf Vorschlag Kanadas den Vorsitz des Arktischen Rates, turnusmäßig für zwei Jahre. Sie ist die erste Inuk an der Spitze des Gremiums, gleichzeitig ist sie die höchste Repräsentantin der weltweit mehr als eine Million Artkis-Bewohner.

Aglukkaq will ein Signal setzen, dass die Stimmen der Ureinwohner bei der Entwicklung und Erschließung der Polargebiete ernster genommen werden sollen. "Wir leben seit Generationen in der Arktis und wissen am besten, wie man dort lebt und überlebt", sagt sie. Aufgewachsen ist Aglukkaq in dem kleinen Dorf Gjoa Haven. Als Jugendliche hat sie hautnah die massiven sozialen Probleme erleben müssen, die viele Dörfer jenseits des Polarkreises plagen: Arbeitslosigkeit, Wohnraummangel, Alkoholabhängigkeit, hohe Selbstmordraten. Daher entschloss sie sich schon als 14-Jährige, Politikerin zu werden. 2008 wurde sie ins Parlament in Ottawa gewählt - und wurde als erste Inuk Kanadas ins Kabinett berufen: Die konservative Politikerin ist bis heute Ministerin für Gesundheit und die Entwicklung des Nordens. In dieser Position setzt sich Aglukkaq für den schonenden Abbau von Bodenschätzen und für die umstrittene Robbenjagd ein. Auch als Chefin des Arktischen Rates will sie die Förderung der Ressourcen vorantreiben und der Industrie Förder- und Bohrlizenzen erteilen - sehr zum Missfallen anderer Ureinwohnergruppen und von Naturschützern, die das Polargebiet am liebsten in einen Nationalpark verwandeln würden. Das aber will Aglukkaq verhindern: "Wir Inuit leben vom Land und essen Robben- oder Eisbärenfleisch. Wenn uns Umweltschützer das alles wegnehmen, dann bleibt uns nur wenig."