Kreml-Prestigeprojekt droht zur politischen Niederlage zu werden.
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Moskau. Fünf Wochen vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Sotschi ist Russland in Schockstarre. Aus Angst vor weiteren Terroranschlägen wurden in mehreren Städten die öffentlichen Silvesterfeiern abgesagt, vor öffentlichen Gebäuden, Bahnhöfen und Flughäfen im ganzen Land weitere Sicherheitskräfte postiert.
Es ist ein Szenario, das Wladimir Putin rund um die Wettspiele in der Kaukasusregion unbedingt verhindern wollte. Russlands mächtiger Präsident hatte sein Prestigeprojekt trotz massiver Sicherheitswarnungen und Protesten der Lokalbevölkerung durchgesetzt. Mit der jüngsten Terrorserie in der südrussischen Stadt Wolgograd, die 34 Todesopfer forderte, wurden die schlimmsten Befürchtungen nun bestätigt. Doku Umarow, Anführer des selbst ernannten Kaukasus-Emirats, hatte bereits im Juli damit gedroht, die "auf den Gebeinen ermordeter Kaukasier" veranstalteten Wettkämpfe mit allen Mitteln verhindern zu wollen. Nun haben die islamistischen Separatisten aus dem Nordkaukasus ihre Drohung wahr gemacht.
"Die Anschläge waren ein persönlicher Schlag gegen Putin", sagt Kaukasus-Experte Alexej Malashenko vom Carnegie Center in Moskau. Und er wird nicht der letzte gewesen sein. "Die Frage heute ist nicht ob, sondern wann der die nächste Bombe hochgeht", ist der Experte überzeugt.
Unangekündigt reiste Putin derweil nach Wolgograd, legte am Mittwoch - mit eisiger Miene - einen Rosenstrauß an dem Ort nieder, an dem zwei Tage zuvor eine Bombe einen Linienbus in Stücke gerissen hatte, besuchte mit einem Journalistentross mehrere Verletzte im Spital der eine Million Einwohner-Stadt - ehemals Stalingrad - und versprach zur Beruhigung zusätzliche Anstrengungen für die Sicherheit der Olympischen Winterspiele in Sotschi.
Der Chef des russischen Olympischen Komitees widersprach umgehend: Was möglich sei, werde bereits getan. So plant der Kreml, 60.000 Sicherheitskräfte in der Olympia-Region zusammenzuziehen - rund doppelt so viel wie 2012 bei den Spielen in London. Kriegsschiffe sollen vor der Schwarzmeerküste kreuzen, Drohnen die Luft überwachen und mehr als 1400 Videokameras allein in Sotschi jeden Winkel ausleuchten. Zudem werden Telefon- und Internetverkehr gefiltert und Gäste der Spiele erstmals mit einem speziellen Zuschauerpass ausgestattet.
Doch Putin betont weiter, die Spiele, ja ganz Russland sei sicher vor Terror. Mit martialischen Worten hat der Ex-KGB-Oberst in seiner Neujahrsansprache dem bewaffneten Widerstand im Kaukasus - einmal mehr - den Krieg erklärt. Russland werde "entschieden und unnachgiebig den Kampf gegen Terroristen bis zu deren vollständiger Ausradierung fortsetzen", so Putin. Schon vor 14 Jahren, zu Beginn des zweiten Tschetschenien-Krieges, hatte er angekündigt, "die Banditen bis in die Toiletten zu verfolgen und dort runterzuspülen". Erreicht hat er das Gegenteil. Die Menschenrechtsverletzungen, die im Namen des Anti-Terror-Kampfes vor allem an der Zivilbevölkerung der Kaukasus-Republiken begangen werden, haben dazu geführt, dass sich immer mehr junge Männer dem Widerstand anschlossen. Fast täglich kommt es zu Anschlägen auf russische Sicherheitskräfte, am instabilsten ist die Lage in Dagestan. Allein im Vorjahr wurden dort offiziell 34 Bombenattentate verübt - die Dunkelziffer liegt aber laut Menschenrechtsorganisationen weit höher.
Auch die Attentäter der jüngsten Terroranschläge in Wolgograd - einschließlich eines Selbstmordanschlags im Oktober - weisen den Ermittlern zufolge Verbindungen zu Terrorzellen in Dagestan auf. Zu schaffen macht dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB dabei die Tatsache, dass sich auch immer mehr ethnische Russen den Rebellen anschließen. So soll ein junger Konvertit namens Pavel Petschenkin am Sonntag das Selbstmordattentat in der Bahnhofshalle Wolgograds verübt haben; im Frühjahr 2012 hatte er sich einer Zelle in Dagestanangeschlossen. Auch der - inzwischen getötete - Drahtzieher des Selbstmordanschlags in der Ein-Millionen-Metropole im Oktober war laut FSB ein Russe; und Ehemann der dagestanischen Attentäterin.
Faymann reist nach Sotschi
Auch jenseits der Kaukasus-Wirren bleibt die Menschenrechtslage in Russland prekär. Mehrere westliche Staats- und Regierungschefs haben deshalb ihre Teilnahme an den Winterspielen abgesagt. Nicht so Kanzler Werner Faymann. Er reist Anfang Februar mit Sportminister Gerald Klug nach Sotschi, wie er nun der "Kronen Zeitung" verriet. Er sehe die Olympischen Spiele "nicht als eine Veranstaltung an, wo man durch Abwesenheit irgendwas demonstriert", sagte er jüngst.