Von der Lockerung der 35-Stunden-Woche bis zur Gehalts-Nullrunde - werden derartige Reformen auch nur angesprochen, läuft Frankreichs Linke Sturm.
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Paris. Der Bericht mit Reformvorschlägen für mehr Wirtschaftswachstum ist noch gar nicht veröffentlicht, da sorgen die befürchteten, sogenannten Schock-Maßnahmen bereits für Aufruhr in Frankreich. Medienberichten zufolge berühren die Empfehlungen der Ökonomen Henrik Enderlein und Jean Pisani-Ferry Tabu-Themen wie eine Lockerung der 35-Stunden-Woche in einigen Sektoren, eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und das Einfrieren der Gehälter über drei Jahre hinweg, um die Unternehmen wieder wettbewerbsfähiger zu machen.
Deutschland, das in dem Bericht ebenfalls behandelt wird, wird demnach dazu aufgefordert, bis 2018 nicht nur wie angekündigt zehn Milliarden Euro, sondern weitere 20 Milliarden in seine Infrastruktur zu investieren.
Das Reformpapier, das beide Regierungen Mitte Oktober bei Enderlein, Chef des Jacques Delors Instituts in Berlin, sowie Jean Pisani-Ferry, dem obersten Wirtschaftsstrategen des französischen Premierministers Manuel Valls, angefordert haben, wird den Wirtschaftsministern Sigmar Gabriel und Emmanuel Macron am Donnerstag in Paris übergeben. Die beiden Experten haben die Presseberichte dementiert und klagen über verkürzte Darstellungen. Doch schon formiert sich Widerstand bei der französischen Linken, auch wenn ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums versuchte, die aufkommende Empörung zu bremsen, indem er erklärte, die Vorschläge stammten nicht von den Regierungen, sondern aus der Feder zweier Ökonomen.
Zerrissene Sozialisten
Seit Monaten rebelliert der linke Flügel der regierenden Sozialisten gegen die als unternehmerfreundlich geltende Politik, für die Premier Valls wie auch der neue Wirtschaftsminister Macron stehen. Linkspolitiker befürchten, dass das großzügige französische Sozialmodell für eine "neo-liberale", von der deutschen "Spar-Obsession" geleitete Politik geopfert würde. Minister, die die Linie der Kritiker vertraten, mussten das Kabinett bei einer Umbildung Ende August verlassen. Der Streit bringt die Sozialisten an den Rand der Spaltung.
Nun erteilte Parteichef Jean-Christophe Cambadélis einer weitergehenden Flexibilisierung des Arbeitsmarktes eine Absage: Von daraus resultierenden Einsparungen würden nur Aktionäre profitieren, solange es kein Wachstum gebe. "Das Problem liegt weniger bei den einzelnen Staaten - auch wenn Deutschland mehr für die Belebung der Konjunktur tun könnte -, sondern in Brüssel", sagte er mit Blick auf das neue Investitionspaket in Höhe von 300 Milliarden Euro, das EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Mittwoch präsentiert. "Es ist besser, sich auf europäische Wachstumsprogramme zu konzentrieren, als Frankreichs Errungenschaften zu beschneiden." Auch die Kommunistische Partei warnte, eine Gehalts-Nullrunde wäre "wirtschaftlich ein sehr schwerer Fehler, sozial eine Provokation und politisch eine neue Etappe im Prozess, der Überdruss und Verzweiflung nährt und damit die Rechte und den Front National".
Vor dem Hintergrund eines schwachen Wirtschaftswachstums (auch wenn die Wirtschaft im dritten Quartal ein überraschendes Plus von 0,3 Prozent verzeichnete), der fortschreitenden Deindustrialisierung und einer stetig wachsenden Arbeitslosigkeit wird über die richtige Wirtschaftspolitik gestritten: Weisen Investitionsprogramme aus der Krise oder geht es nur mit der Kombination aus Haushaltsdisziplin und Strukturreformen?
Wenig Spielraum
Angesichts der Neuverschuldung, die in diesem und nächstem Jahr laut Berechnungen der Kommission mit 4,4 und 4,5 Prozent der Wirtschaftsleistung die EU-Defizitkriterien deutlich übersteigt und wohl frühestens 2017 auf die geforderten drei Prozent gedrückt wird, bleibt der Regierung ohnehin kaum Handlungsspielraum. Noch wird in Brüssel über den Umgang mit dem Defizitsünder und mögliche Strafen und Auflagen diskutiert, nachdem Paris bereits zum dritten Mal einen Aufschub gefordert hat. Während der französischen Linken schon Debatten über Reformanstrengungen zu weit gehen, gelten genau diese Reformanstrengungen in Brüssel als nicht ausreichend.