Die Angst vor einem "schiitischen Halbmond" im Nahen Osten, der vom Libanon im Westen bis Iran und Irak im Osten reicht und von Teheran angeführt wird, sitzt den Sunniten im Nacken. Die Hisbollah bestimmt die Politik Libanons, die Schiiten haben die Macht im Irak übernommen und der Iran stärkt durch die Handlungsunfähigkeit des Westens im Atomstreit seine Machtposition.
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Das ist der Grund, warum am Anfang des heurigen Libanonkonflikts in arabischen Medien deutliche Kritik an der Provokation der Hisbollah gegen Israel geäußert wurde. Die Hisbollah wurde als Handlanger Irans gesehen, der hier seine Großmachtansprüche anmeldete. Deshalb könnte stimmen, was israelische Zeitungen berichteten: Dass Israel in der ersten Kriegswoche von manch arabisch-sunnitischem Regime signalisiert wurde, man sei über eine Niederlage der Hisbollah nicht traurig. Wegen der grausamen Bilder aus dem Libanon wurde dann aber der moderate arabische Ton gegen Israel deutlich verschärft und Irans Führung bekam Rückendeckung für ihrer Unterstützung der Hisbollah.
Die Sunniten, die nach dem Sturz der schiitischen Fatimidendynastie in Ägypten (969-1171) die Regionalpolitik beherrschten, fühlen sich seit dem Irakkrieg in der Defensive. Ironischerweise übernahm dank des Krieges gegen Saddam Hussein am Ende die iranfreundliche, schiitische Mehrheit die Macht in einem Staat, der vorher zentraler Bestandteil des sunnitischen Lagers war.
Dieser Machtwechsel und die Tatsache, dass die etwa 140 Millionen Schiiten zwischen Libanon und Pakistan in den vergangenen Jahren wieder ungehindert zu den großen Heiligtümern im Irak pilgern konnten, hat zu einer schiitischen Renaissance in der Region geführt.
Die etwa zehn Prozent umfassende, unterdrückte schiitische Minderheit in Saudi-Arabien ist so eifrig zu den Kommunalwahlen gegangen wie keine andere Gruppe des Landes. Unter dem sunnitischen Herrscherhaus in Bahrain leben ohnehin schon 75 Prozent Schiiten; im Libanon stellen Schiiten mit 45 Prozent ebenfalls die größte Bevölkerungsgruppe. Nun bricht Syrien, das von Alawiten regiert wird, aus seiner Isolation aus und sucht das Bündnis zum Iran. Aus sunnitischer Sicht sieht das aus wie eine vom Iran dominierte Allianz, die eines Tages von Libanon, Syrien, Irak bis Iran und darüber hinaus reichen könnte.
Hinzu kommt Irans Präsident Mahmud Ahmadinejads Bestrebung, die Revolutionsideologie in der Region zu erneuern; besonders gefährlich ist dies dann, wenn der Iran in ein paar Jahren über einen atomaren Schutzschild verfügen sollte. Das wiederum macht US-Präsident George W. Bush Kopfzerbrechen. Fazit: Ohne Teheran "läuft" künftig nichts mehr in der Region, denn 2006 ist durch regionale Ereignisse und die Strategie der iranischen Führung der Einfluss, die Macht und das Ansehen des Gottesstaates bei vielen Muslimen gestiegen.