Moratorium soll verhindern, dass das Virus in Hände von Bio-Terroristen gerät.
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Wien. Leere Geste oder echte, ethische Auseinandersetzung? Aus Angst vor Bio-Terrorismus unterbricht ein Team von Influenza-Forschern für die Dauer von 60 Tagen freiwillig seine Arbeiten an einem Supervirus. Gesundheitspolitiker sollen in dieser Zeit Maßnahmen beschließen, die verhindern, dass der Erreger in falsche Hände gerät.
Das Moratorium betrifft eine im Labor hergestellte Variante des Vogelgrippe-Erregers H5N1. Das Virus tötet fast alle Vögel und bis zu 60 Prozent aller infizierten Menschen. Seit 2003 wurden weltweit fast 600 Erkrankungsfälle beim Menschen gezählt. Doch während der Erreger in seiner ursprünglichen Form kaum von Mensch zu Mensch übertragen wird, haben Virologen um Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam vergangenen Juli H5N1 genetisch verändert und eine Mutation erzeugt, die über die Luft übertragbar ist. Der neue Erreger verbreitet sich so schnell und leicht wie ein Schnupfen - per Tröpfcheninfektion. Solch ein hoch ansteckendes Virus könnte im schlimmsten Fall eine Pandemie mit Millionen Toten auslösen.
Öffentliche Kontroverse
Die Nationalen Gesundheitsforschungsinstitute der USA hatten die Studien finanziert, um die Infektionsgefahr von H5N1 besser einschätzen und Vorbeugung treffen zu können. "Anhand der Labor-Mutation können wir festmachen, wie sich der Erreger auch in der Natur verändern könnte und die Funktionstüchtigkeit von Medikamenten prüfen", erklärt Foucier im Fachjournal "Science". Die Forschungsarbeiten würden allerdings nun aufgrund der öffentlichen Kontroverse um das Supervirus unterbrochen.
In der Debatte geht es um die Freiheit der Forschung versus die Restriktionen der Internationalen Biowaffen-Konvention. Biowaffen dürfen demnach nicht hergestellt werden und diesbezügliche Forschung ausschließlich zum Schutz davor angelegt sein. "Nun aber hat die Wissenschaft zu medizinischen Zwecken im Grunde eine Biowaffe hergestellt, die Terroristen absichtlich missbrauchen könnten. Die Frage ist, ob solches Wissen öffentlich zugänglich sein soll", sagt der Wiener Experte für Biosicherheit, Markus Schmidt, zur "Wiener Zeitung".
Washington hatte im Dezember an Forscher und Fachjournale appelliert, detaillierte Daten des Erregers unter Verschluss zu halten. Die USA und andere Länder fürchten, dass Terroristen das gefährliche und hochansteckende Virus für Biowaffen verwenden könnten. Die Wissenschafter hatten zugestimmt, jedoch mit der Einschränkung, ihr Wissen mit Fachkollegen teilen zu dürfen.
"Wir sehen ein, dass wir die Vorteile unserer Untersuchungen klar darlegen und Maßnahmen zur Reduzierung möglicher Risiken vorschlagen müssen", heißt es nun in einer gemeinsamen Erklärung der Forscher. "Nature" und "Science" veröffentlichten das von 39 H5N1-Experten unterschriebene Dokument. Nach Angaben der Journale will die Weltgesundheitsorganisation Experten und Behörden zu einer Konferenz Ende Februar in Genf einladen. Auch der größte internationale Wissenschafterverband AAAS werde das Thema bei seiner Jahresversammlung erörtern.
Der geballten Expertise zum Trotz könnte ein tiefschürfendes Ergebnis ausbleiben. "Können Menschen, die erst seit 50 Jahren intensiv am genetischen Code forschen, die Risiken genetisch modifizierter Organismen überhaupt abschätzen?", fragt der Salzburger Philosoph Günther Witzany in der Online-Ausgabe von "Science". Schmidt betont, dass harte Richtlinien zur Grenze zwischen Forschung und Biowaffen-Herstellung mehr Zeit benötigen könnten: "Es wäre überraschend, wenn in 60 Tagen eine neue Regel entsteht. Aber das Moratorium zeigt, dass das Ganze nicht ausschließlich auf freier Selbstkontrolle hängen bleiben wird", sagt er.
Wie lange die Entwicklung eines Regelwerks dauern kann, verdeutlicht ein Beispiel aus einem anderen Forschungsbereich, der ähnlich unberechenbare Konsequenzen haben könnte - die Synthetische Biologie. So hatte der US-Forscher Craig Venter, Sequenzierer des menschlichen Genoms, am 10. Mai 2010 erstmals eine synthetische Zelle präsentiert. Ihr Genom wurde an seinem Institut auf dem Computer entworfen, das Chromosom mit Chemikalien gebaut und die Zelle in eine bakterielle Empfängerzelle transferiert: Eine neue, winzige Bakterie (Mikroplasme) entstand.
Jahre davor hatte allerdings der US-Bioethiker Arthur L. Caplan Venter eine unabhängige Arbeitsgruppe zu den ethischen Konsequenzen der Synthetischen Biologie vorgeschlagen: Egal, zu welchem Schluss sie käme, er müsse sich daran halten. Venter finanzierte die aus Vertretern der Weltreligionen und Fachexperten bestehende Gruppe. In der 1999 erschienenen, ersten bioethischen Studie zur Synthetischen Biologie sahen die Experten "keinen Grund, warum Venter seine Forschung nicht weiterführen sollte", warnten jedoch, dass Organismen entweichen und die Natur zerstören könnten. Das damals von ihnen geforderte Regelwerk zur Schaffung künstlicher Organismen steht nach wie vor aus.