Die Statistik ist düster: In Pakistan sind seit Juli 2007 bei etwa 1600 Menschen bei Terroranschlägen ums Leben gekommen. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Situation verschlechtert, ist erschreckend. Nach Angaben des Pakistanischen Instituts für Friedensstudien hat es allein im Vorjahr 2148 Attacken von Terroristen, Aufständischen und religiösen Fundamentalisten gegeben - das waren 746 Prozent mehr als 2005. Kann es eigentlich noch schlimmer kommen, fragen sich in Pakistan viele.
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Manche bezeichnen das Land bereits als einen "failed state": einen gescheiterter Staat, der die Kontrolle über Teile seines Gebietes verloren hat, nicht mehr für die Sicherheit seiner Bürger garantieren kann. Auf der Liste der gescheiterten Staaten, den der "Fund of Peace" jedes Jahr herausbringt, rangiert Pakistan inzwischen auf Platz 9 von 177. "Pakistan wird zum Somalia von Südasien", giftete jüngst die indische Regierung über ihren verfeindeten Nachbarn.
Die Auswirkungen eines Staatsversagens in Pakistans könnten weit schwerer wiegen als etwa im Fall von Afghanistan, mit unkalkulierbaren regionalen und globalen Risiken, schlussfolgerte der amerikanische Think-Tank "Atlantic Council" jüngst in einem Bericht: "Mit Nuklearwaffen, einer überdimensionalen Armee und einer Bevölkerung, die fünfmal so groß ist wie die Afghanistans, scheint Pakistan immer weniger in der Lage zu sein, auf sich allein gestellt seine Probleme zu lösen." Doch niemand hat ein Patentrezept, wie Pakistan stabilisiert werden kann. Skeptiker glauben, dass das Land wie Jugoslawien zerfallen könnte. Ein Bürgerkrieg in Pakistan würde den Extremismus weiter anheizen und die gesamte Region ins Chaos stürzen.
In Washington haben bereits Diskussionen begonnen, ob die neue Front im Anti-Terror-Kampf nicht Afghanistan, sondern viel mehr Pakistan ist. Seit drei Jahrzehnten schwächen Korruption, Drogenhandel, Militärherrschaft und wachsender Extremismus die Fundamente der islamischen Republik.
Die pakistanische Armee führt im Moment in den Grenzgebieten zu Afghanistan mit Unterstützung der USA einen unpopulären Krieg gegen Al Kaida und Taliban-Kämpfer, der von vielen Pakistanis als Bürgerkrieg empfunden wird.
Islamisierung dank USA
Ironischerweise hatte Amerika in den 80er Jahren in Pakistan diese Kräfte gefördert und die "Gotteskämpfer" gegen die Sowjetunion in Afghanistan ausgerüstet. Mit Washingtons Hilfe unterzog Militärdiktator Zia ul Haq Pakistan elf Jahre lang einem radikalen Islamisierungskurs und stärkte die extremistischen Kräfte. Die historische Verbindung zwischen dem pakistanischem Militär und den Fundamentalisten macht die Bekämpfung der Kräfte heute extrem kompliziert.
Der neue amerikanische Präsident Barack Obama ist jedoch entschlossen, den Kurs seines Vorgängers weiterzuführen und die Grenzgebiete mit Drohnenattacken zu überziehen, um die Unterschlupf von Al Kaida- und Taliban-Kämpfern zu zerstören. Seit 2004 sollen in Pakistan 320 Menschen bei solchen Angriffen unbemannter Flugzeuge getötet worden sein. Keiner weiß, ob es immer nur Terroristen sind, die hier bombardiert werden. Der Technologie-Krieg Amerikas aus der Luft hat auf dem Boden noch mehr Feinde geschaffen. "Trotz der Sorgen über den Zorn der Öffentlichkeit" würden die US-Luftangriffe weitergehen, erklärte CIA-Direktor Leon Panetta jüngst.
Berichten zufolge wollen die USA ihre Angriffe sogar auf andere Gebiete in Belutschistan, im Nordwesten Pakistans, ausdehnen. Seit die USA und pakistanische Armee in dem unwirtlichen Grenzland zu Afghanistan Krieg führen, versuchen die Extremisten eine neue Front aufzumachen und haben ihren Terror inzwischen auf das ganze Land ausgeweitet.
Zwei blutige Coups erregten in letzter Zeit Aufsehen, weil sie in Lahore erfolgten, der Kulturmetropole Pakistans, die nur wenige Kilometer von der indischen Grenze entfernt liegt. Dort griffen 14 bewaffnete Männer die Cricket-Nationalmannschaft von Sri Lanka an, dann folgten diese Woche stundenlange Gefechte um eine Militärschule, die etliche Tote forderten. Die Taliban, die sich zu dem Anschlag bekannt haben, wollen die Armee offenbar zwingen, ihre Kräfte auch in andere Gebiet zu verlagern, um den Druck in den Grenzregionen zu mindern.
Die Lage in Pakistan ist weit verfahrener als die in Afghanistan. Doch anders als Afghanistan ist das Land mit seinen 170 Millionen Einwohnern zum allergrößten Teil moderat. Bei der letzten Wahl vor einem Jahr hatten gerade einmal drei Prozent für religiöse Parteien gestimmt.
Leise Hoffnung
Neben den Atomwaffen besitzt Pakistan auch erstaunlich freie und politisch wache Medien. Pakistan hatte mit Benazir Bhutto als erstes muslimisches Land der Welt eine Frau als Regierungschefin. Und es hat mit seinen hartnäckigen Anwälten ein soziale Bewegung für Rechtsstaat und Demokratie. Vom Militärregime unrechtmäßig entlassene Richter wurden nun wieder eingesetzt und haben ihrerseits das Politikverbot für Oppositionsführer Nawaz Sharif und seinen Bruder aufgehoben. Das neue Selbstbewusstsein der Zivilgesellschaft und der "Männer in Schwarz" könnte mithelfen, den Aufstand der Taliban einzudämmen.
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