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Angstsparen in Deutschland -Vom Wirtschaftswunderland zum Jammertal

Von Wolf Pampel

Wirtschaft

In Deutschland hat sich ein gefährlicher Virus festgesetzt. Die Stimmung ist häufig schlechter als die Wirtschaftsdaten. Obwohl der kollektive Wohlstand - wenn auch nur minimal - von Jahr zu Jahr steigt, hat die Weltuntergangsstimmung Konjunktur. Negativ-Nachrichten prägen die Zukunftserwartungen, zumal ein geschlossenes Konzept zur Überwindung der dringendsten Probleme nicht auszumachen ist. In diesem Klima der Unsicherheit sinken die Investitionen, und die Konsumenten halten ihr Geld zurück.


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Obwohl das Bruttonationaleinkommen pro Einwohner von 1991 bis 2002 von 18.800 auf 25.600 Euro zugenommen hat, ist das subjektive Wohlbefinden derzeit schlechter als unmittelbar nach der deutschen Einheit. Klagen waren schon immer Wegbegleiter von Handel und Handwerk, jede Tarifauseinandersetzung löste auch in früheren Jahrzehnten Schwarzmalerei bei den betroffenen Branchen aus. Aber der ehemalige Wirtschaftsminister und Bundeskanzler Ludwig Erhard - personifiziertes Symbol des deutschen Wirtschaftswunders - konnte noch gelassen formulieren: "Um meinen Schreibtisch katastropht es von morgens bis abends, aber ich warte noch immer auf die Katastrophe."

Das Jammern auf hohem Niveau zieht mittlerweile tiefe Spuren. Zuversicht und Vertrauen sind Unsicherheit und Zukunftsängsten gewichen. Der Euphorie der deutschen Einigung folgte in den späten neunziger Jahren die Illusion der unbegrenzten Geldvermehrung durch das Spiel an der Börse. Doch der Zusammenbruch der Aktienblase 2001 löste tiefen Katzenjammer aus.

In unbewältigten Vereinigungsproblemen mit hohen Belastungen für die Sozialsysteme, riesigen Transferleistungen von West nach Ost, hohen Steuern und Abgaben sieht der ehemalige Bundesminister und Hamburger Bürgermeister, Klaus von Dohnanyi, eine Hauptursache der Misere. Der permanente Wahlkampf auf Grund der besonderen Rolle der Länderkammer lähmt zusätzlich die Politik.

Hinzu kommen externe Schocks, die der größten europäischen Volkswirtschaft zu schaffen machen: Allein der Börsenkollaps hat nach Darstellung der Bundesbank in den Jahren 2000 und 2001 privates Geldvermögen im Wert von 160 Mrd. Euro vernichtet. Der Terrorschock vom 11. September 2001 und der Irak-Krieg mit steigenden Ölpreisen wirkten wie zusätzliche Bremsen für die Konjunktur.

Schließlich hat die Arbeitslosigkeit eine neue Dimension erreicht. Weniger in der absoluten Höhe, vielmehr im Vordringen in höhere Schichten. Früher waren Bergleute, Stahl- oder Automobil- sowie Bauarbeiter von diesem Schicksal betroffen. Mittlerweile ist auch die obere Hälfte bedroht: Börsianer, Bankangestellte und -manager, Ingenieure und Journalisten sind plötzlich mitten in der Problemzone.

Die in hartem Wettbewerb stehenden Medien verstärken zusätzlich die angeschlagene Stimmung. Vor gut einem Jahr mit mageren Inflationsraten von etwas über 1% tobte die heiße "Teuro- Debatte". Nur zwölf Monate später - mit annähernd gleicher Teuerung - geisterte das Gespenst der Deflation durch die Republik.

Für den Chef-Volkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Otmar Issing, sind die Reaktionen in Deutschland fast schon von Pawlowscher Natur. Sobald das Wort "Deflation" auftauche, erschienen sofort die Bilder von 1929/30. Diesen Vergleich hält der ehemalige Geldpolitiker für abwegig. Zwischen 1929 und 1932 fielen die Konsumentenpreise um 25%, die Großhandelspreise sogar um 33%.

Die Stärken Deutschlands werden kaum gesehen: hervorragende Infrastruktur, relativ stabiler Mittelstand, eine gute Ausbildungs- und Forschungslandschaft, Rechtssicherheit, sozialer Friede und eine weitgehend korruptionsfreie Verwaltung. Immerhin hat das Internationale Institut für Management Development (IMD) in Lausanne den Standort Deutschland für 2003 auf Position 5 gesetzt - vor die großen Nachbarländer Großbritannien (7) und Frankreich (9). Der einstige Angstgegner Japan erreicht gerade Platz 11.

Doch Zuversicht ist derzeit ein knappes Gut. Während das lähmende Schauspiel gegenseitiger Schuldzuweisungen zwischen Wirtschaft, Politik, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften seinen Lauf nimmt, verhalten sich die verunsicherten Konsumenten durchaus rational. "Sie halten ihr Pulver trocken, weil die Zukunft einfach nicht durchschaubar ist", resümiert der Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft für Konsumforschung, Klaus Wübbenhorst. Damit verschärft sich das ohnehin vorhandene Problem der schwachen Binnennachfrage.

2002 ist der private Verbrauch erstmals um 0,6% zurückgegangen. Angst vor Jobverlust, unsicherer Altersversorgung und Rücklagen für Notfälle dämpfen die Konsumlaune. Die Einkommen nehmen wegen steigender Steuer- und Abgabenlast ohnehin kaum zu. Und dennoch wurde die private Ersparnis 2002 um 4,4% auf 144 Mrd. Euro erhöht. Die Sparquote stieg auf 10,4% (2001: 10,1%).

Nun soll die zunächst verschobene Steuerreform vorgezogen und damit das Stimmungstief überwunden werden. Doch die Skepsis sitzt tief. Nicht nur die Berliner Kakophonie über Gegenfinanzierung oder Schuldenausweitung dämpft die Erwartungen. Vielmehr fürchten viele, dass geringere Steuern an anderer Stelle wieder eingetrieben werden. Die jüngste Debatte über die Dieselsteuer oder die Belastungen durch die so genannte Gesundheitsreform bestätigen die Befürchtungen.

Die Pferde müssen die Tränke nicht nur gezeigt bekommen, sie müssen auch wieder saufen, formulierte schon der ehemalige Wirtschaftsminister Karl Schiller bei der Überwindung der ersten Nachkriegsrezession 1966/67. Wenn allerdings der Stimmungsumschwung in großen Teilen der Bevölkerung, in Unternehmen und Politik nicht eintritt, bleiben alle finanzpolitischen Manöver ohne Wirkung.