Die Türkei stellt sich darauf ein, beim EU-Gipfel in vier Wochen weniger als ein bedingungsloses "Ja" zum Beginn von Beitrittsgesprächen zu bekommen.
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Zwar betonen Regierungspolitiker in der Öffentlichkeit, es wäre für die Türkei inakzeptabel, wenn der Gipfel am 17. Dezember den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Bedingungen verknüpfen würde. Doch hinter den Kulissen wächst die Einsicht, dass sich die Türkei wohl mit einigen Zugeständnissen an die Europäer anfreunden muss.
Wenn die EU etwas anderes vorschlagen sollte als das Ziel einer türkischen Vollmitgliedschaft, "ist die Sache erledigt", sagte der türkische Außenminister Abdullah Gül jetzt in einem Interview der regierungsnahen Zeitung "Zaman". Damit spielte Gül auf Forderungen einiger Politiker in der EU an, bei den Verhandlungen mit der Türkei statt einer EU-Mitgliedschaft eine "privilegierte Partnerschaft" anzustreben. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan unterstrich in den vergangenen Tagen, dass die Türkei mit den in den vergangenen zwei Jahren in Gang gesetzten Reformen ihre Hausaufgaben gemacht habe: Nun sei die EU an der Reihe.
EU-Bedingungen absehbar
Das öffentlich demonstrierte Selbstbewusstsein ist aber nur eine Seite der Medaille. Der türkischen Regierung ist klar, dass sie beim Gipfel im Dezember ihren Willen nicht vollständig durchsetzen können werde. So ist absehbar, dass der Gipfelbeschluss wie auch schon der Türkei-Bericht der EU-Kommission vom Oktober den Hinweis enthalten wird, dass die Beitrittsverhandlungen zwischen EU und Türkei einen "Prozess mit offenem Ende" darstellen. Das heißt, dass der Beginn der Verhandlungen keine Garantie eines späteren EU-Beitritts der Türkei ist. Zudem dürfte die Forderung nach einer Begrenzung des Zuzugs türkischer Arbeitnehmer in die EU im Gipfelbeschluss erwähnt werden. Die EU-Staats- und Regierungschefs seien wegen der Stimmungslage in ihren jeweiligen Ländern kaum geneigt, darauf zu verzichten, kommentierte die Zeitung "Milliyet" am Freitag. Auch Diplomaten in Ankara sind der Ansicht, dass die Türkei diese Art von Einschränkungen akzeptieren muss. Ankara wisse, dass sie keine große Chancen habe, eine Aussage über die "ergebnisoffenen" Beitrittsverhandlungen aus dem Gipfelpapier herauszuhalten, sagt ein westeuropäischer Vertreter in der türkischen Hauptstadt. Inakzeptabel wäre dies für die Türkei nicht - trotz der starken Worte von Erdogan und Gül. So lange der Gipfel die Entscheidungen über Beitrittsgespräche nicht noch einmal vertage, habe die Türkei ihre wichtigsten Ziele erreicht, so der Diplomat. Selbst wenn der Gesprächsbeginn in die zweite Hälfte des kommenden Jahres platziert würde, könnte dieses Ergebnis als großer Erfolg verkauft werden.
Einen solchen Erfolg braucht Erdogan. Er hat alles auf die Europa-Karte gesetzt. Seit dem Regierungsantritt seiner AKP vor fast genau zwei Jahren hat die Türkei ein Reformpaket nach dem anderen erlebt; viele Veränderungen wurden gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt. Innenpolitische Gegner, die einen Misserfolg der Regierung am 17. Dezember nur zu gerne sehen würden, hat Erdogan in Hülle und Fülle. APA