Die Türkei betont einmal mehr ihre Kompetenz, Vermittler zu spielen: Sie will einen Beitrag zur Stabilität am Balkan leisten.
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Für Abdullah Gül reicht der Balkan bis in die Türkei. Der türkische Präsident sah es nicht ein, warum der westeuropäische Unmut über eine mögliche EU-Mitgliedschaft seines Landes so viel größer ist als über einen Beitritt der Balkanstaaten. "Auch wir sind der Balkan", erklärte er noch als Außenminister.
Als Präsident reiste er im Vorjahr nach Serbien - als erstes türkisches Staatsoberhaupt seit 23 Jahren. Und am Samstag empfängt er seine Amtskollegen aus Serbien und Bosnien-Herzegowina in Istanbul. Mit Boris Tadic und Haris Silajdzic will er darüber sprechen, wie die Stabilität am Balkan gesichert werden kann.
Das Treffen ist ein Ergebnis der Initiative, die mit Güls Besuch in Belgrad ihren Anfang nahm. Die Außenminister der drei Länder kamen danach mehrmals zusammen, nun sind die Staatspräsidenten an der Reihe.
Es ist keine leichte Aufgabe für die Türkei, zwischen den beiden Nachbarn zu vermitteln. Denn Serbien und Bosnien-Herzegowina haben immer wieder ein gespanntes Verhältnis, nicht zuletzt wegen der Bewertung von Kriegsverbrechen nach dem Zerfall Jugoslawiens. Und Bosnien selbst hat mit Konflikten im Inneren zu kämpfen: Vor den im Herbst anstehenden Parlamentswahlen sind von der EU geforderte Reformen kaum umsetzbar. Und dazu kommen noch Rufe aus der Republika Srpska nach einer Abspaltung von dem ungeliebten Staatengefüge, das die internationale Gemeinschaft als Voraussetzung für ein Friedensabkommen sah.
So hat Bosnien auf seinem Weg in die Europäische Union noch etliche Hürden zu nehmen. Dem Land wurde - anders als Serbien oder Montenegro - auch nicht die Visafreiheit für Reisen in die EU gewährt. Das wurde in der Türkei, die sich selbst um die Abschaffung des Visumzwangs bemüht, mit Unmut quittiert: Es sei ein schlechtes Signal, wenn die Muslime in Bosnien nicht dieselben Rechte erhalten wie die Christen in Serbien, hieß es aus Ankara.
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Doch steckt hinter dem Engagement der Türkei mehr als nur kulturhistorisches Interesse an den Balkanstaaten, die einst Teil des Osmanischen Reiches waren. Es ist eher die Vermittlerrolle, die Ankara in den letzten Jahren so gerne betont. Nicht zuletzt den Europäern möchte es signalisieren: "Seht her, ihr müsst mit uns rechnen, wir haben euch etwas zu bieten. Wer ist denn besser geeignet als die Türkei, zwischen dem Osten und dem Westen, zwischen den Kulturen zu vermitteln?"
Dabei stützt sich die türkische Außenpolitik, die öfter impulsiv ist als strategisch ausgerichtet, am liebsten auf ihre persönlichen Netzwerke in der Umgebung und zieht ihre Kreise dann weiter. Das gilt auch für die Wirtschaft.
Zwar sind die wichtigsten Handelspartner noch immer EU-Länder. Doch der Handel mit Syrien und dem Irak - ebenso wie mit Russland - wächst ständig. Und generell daran interessiert, die Exporte zu steigern und das hohe Handelsbilanzdefizit zu senken, wendet sich die Türkei verstärkt auch neuen Märkten zu - neuerdings eben denen in ihrem Westen. So ist etwa erst heuer ein Freihandelsabkommen mit Serbien in Kraft getreten.
Auch wenn die Türkei mit ihren Exporten nicht einmal unter den 20 wichtigsten Partnern Serbiens ist, könnte ihre Produktpalette auf dem Balkan gut passen, meint ein Wirtschaftsexperte. Die Märkte seien dort weniger gesättigt. Geringer könnten auch die Vorurteile sein: Den Türken werde mit weniger Misstrauen begegnet, bloß weil sie Türken sind.