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Premier Erdogan steigert seine Popularität in der arabischen Welt. | Unbehagen im Westen; Kritik von kurdischer Seite. | Istanbul/Wien. In den klimatisierten Konferenzsälen, dort, wo einander derzeit Präsidenten und Premiers die Klinke in die Hand geben, ist die Hitze der Debatte auch nicht viel geringer als auf der Straße. Seit Tagen protestieren in Istanbul immer wieder Menschen gegen das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen. | Israel warnt vor Reisen in die Türkei - Ägypten unterläuft Gaza-Blockade
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Und auch für die Politiker, die am gestrigen Montag zu einem zweitägigen Spitzentreffen in die Türkei gekommen waren, sind die Vorfälle rund um die Erstürmung der Gaza-Hilfsflotte in der Vorwoche ein Thema.
Dabei sollte es bei der Tagung der "Konferenz für Interaktionen und vertrauensbildende Maßnahmen" um eben solche gehen. Zwanzig Staaten gehören der Initiative an, darunter Russland, China, Indien und Syrien. Der afghanische Präsident Hamid Karzai ist nach Istanbul gekommen, ebenso wie der iranische Staatschef Mahmoud Ahmadinejad. Für Gastgeberin Türkei wäre es ein ideales Forum gewesen, sich so zu präsentieren, wie sie es in den vergangenen Monaten so gern getan hat: als Regionalmacht, als Vermittlerin zwischen Ost und West, als ein Staat, dessen Bevölkerung muslimisch ist und nach Demokratie verlangt.
Populist, nicht Islamist
Doch nach dem Tod türkischer Staatsbürger vor der Küste des Gaza-Streifens konnte die Türkei zunächst nicht neutral bleiben. Mit harschen Worten verurteilte Ankara das Vorgehen der Israelis. Premier Recep Tayyip Erdogan wusste, dass ihm das sowohl Sympathien in der arabischen Welt als auch im eigenen Land einbringen würde. Die Popularität - und Erdogan ist viel mehr Populist als Islamist - unter den Muslimen im In- und Ausland war dem guten Taktiker offenbar mehr wert als das Unbehagen des Westens darüber, dass die Türkei Israel dermaßen abkanzelte.
Allerdings muss Erdogan nun aufpassen. Je mehr Ankara gegen die Regierung in Jerusalem wettert, je stärker sie zur Partei wird, umso mehr verliert sie an Glaubwürdigkeit als Vermittlerin. Schon jetzt sehen westeuropäische Skeptiker eines türkischen EU-Beitritts neue Argumente für sich: Die Türkei sei gar nicht an einer Annäherung an Europa interessiert; sie wende sich immer mehr ihren östlichen Nachbarn zu.
Dass sie dabei auch islamistisch werden könnte, mögen auch einige rechtsgerichtete und nationalistische Politiker im Land selbst befürchten, die der Regierungspartei AKP von Anfang an religiöse Umsturzpläne unterstellt haben. Zwar sind im kommenden Jahr Parlamentswahlen angesetzt und die AKP hofft weiterhin auf die Unterstützung der neuen aufstrebenden Mittelschicht, die ihre islamische Tradition pflegen möchte. Doch deren Stimmen hat sie schon bei der letzten Wahl bekommen, und die Scharia ist trotzdem nicht eingeführt worden.
Innenpolitisch riskant ist Erdogans Haltung daher aus anderen Gründen. Mit seiner mangelnden Distanz gegenüber der Hamas stößt er viele Kurden in der Türkei vor den Kopf. Die palästinensische Bewegung stuft Ankara nämlich - anders als etwa die EU - nicht unbedingt als Terrororganisation ein und plädiert für deren Einbindung in die Friedensgespräche mit Israel. Umgekehrt gelten die Mitglieder der PKK, der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans, als Terroristen - und Gespräche mit ihnen zur Beilegung des jahrzehntelangen Konflikts in der Türkei lehnt Ankara ab.
So werfen einige kurdische Kommentatoren die Frage auf, wieso türkische Politiker lediglich israelische Soldaten als Mörder bezeichnen, während in der Türkei kaum eine Woche vergeht, wo nicht Menschen in den Auseinandersetzungen zwischen Armee und PKK ums Leben kommen. Und, fragen sie weiter, wenn die Hamas als möglicher Gesprächspartner einer Regierung fungieren kann, warum konnte es dann die DTP nicht, die prokurdische und bereits aufgelöste Partei in der Türkei? Diese Fragen könnte sich Erdogans AKP spätestens im kommenden Wahlkampf noch häufiger stellen lassen müssen.