Zum Hauptinhalt springen

Ankaras Vabanquespiel

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Mit Luftangriffen auf PKK-Stellungen setzt türkische Regierung Friedensprozess mit den Kurden aufs Spiel.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Istanbul. Westliche Politiker drängen die Türkei schon lange, den kurdischen Verteidigern der belagerten syrischen Stadt Kobane gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu helfen. Nun hat das türkische Militär militärisch eingegriffen - wenn auch anders als vorgesehen. Erstmals seit dem Abschluss eines Waffenstillstands vor eineinhalb Jahren bombardierten türkische Kampfjets am Montag und Dienstag Stellungen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in der südöstlichen türkischen Provinz Hakkari. Von einem "umfassenden Luftschlag" berichtete die Zeitung "Hürriyet". Zahlreiche PKK-Kämpfer seien dabei getötet worden, teilte der türkische Generalstab am Dienstag mit. Damit ist der seit März 2013 anhaltende Waffenstillstand zwischen der Regierung und der auch von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuften PKK möglicherweise am Ende.

Öcalan stellte Ultimatum

Während die PKK der Regierung in Ankara eine Verletzung der Waffenruhe vorwarf, gaben kurdische Politiker aus der Türkei zunächst keine Stellungnahme zu den Luftangriffen ab, die auch als Aufkündigung des seit zwei Jahren laufenden Friedensprozesses mit der PKK interpretiert werden können. Auffallend ist, dass die Attacken kurz vor Ablauf eines Ultimatums erfolgten, das der seit 1999 in der Türkei inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan der Regierung gestellt hatte. Darin fordert Öcalan "konkrete Schritte" bis zum heutigen Mittwoch ein, um den Aussöhnungsprozess zu retten. Andernfalls könnten die seit anderthalb Jahren eingestellten Gefechte zwischen den kurdischen Rebellen und der türkischen Armee erneut beginnen.

Bisher hat Ankara der kurdischen Minderheit zwar einzelne Erleichterungen wie muttersprachliche Radiosender oder Kurdisch-Unterricht zugestanden, aber keine substanziellen politischen Zugeständnisse gemacht. Weil das türkische Militär die eingeschlossene syrische Kurdenstadt Kobane von jedem Nachschub abschottet, war es in den vergangenen Tagen in vielen türkischen Städten zu Unruhen gekommen, bei denen mindestens 41 Menschen starben. Gleichwohl goss Präsident Recep Tayyip Erdogan weiter Öl ins Feuer, als er die PKK als Terrororganisation mit den IS-Milizen gleichsetzte.

Die türkische Regierung betrachtet die Verteidiger von Kobane, die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG), als Teil der PKK, da sie miteinander verbündet sind. Im Internetmedium Twitter warfen viele Nutzer der islamisch-konservativen Regierung in Ankara jetzt vor, sich mit der Bombardierung der PKK offen auf die Seite der IS-Extremisten zu stellen.

Nach Angaben türkischer Medien griffen Kampfflugzeuge von den Militärflughäfen Diyarbakir und Malatya aus Ziele bei der Ortschaft Daglica im äußersten Südosten der Türkei an. Der türkische Generalstab teilte mit, die Luftangriffe seien eine Reaktion darauf, dass PKK-Kämpfer in vergangenen Tagen dort mehrfach eine Station der Gendarmerie beschossen hätten. Der militärische Arm der PKK erklärte in einer Pressemitteilung, die Luftangriffe hätten bereits am Sonnabend begonnen, nachdem es dort zu Gefechten gekommen sei, in deren Verlauf zwei türkische Soldaten getötet worden seien.

Tatsächlich hatte es in den vergangenen zwei Jahren immer wieder Gefechte des Militärs mit Anhängern der PKK gegeben, die aber von der Regierung heruntergespielt und von den Medien kaum erwähnt wurden. Das ist diesmal anders.

Seit die Türkei international unter Druck steht, den belagerten Kurden Kobanes durch die Öffnung eines Korridors zu helfen, haben Ankara und das Militär den Ton gegenüber der PKK deutlich verschärft. Die Angriffe könnten auch als Antwort auf Drohungen des PKK-Vizevorsitzenden und amtierenden -Militärchefs Cemil Bayik interpretiert werden, der kürzlich mit der Aussetzung des Friedensprozesses und der Wiederaufnahme des Guerillakrieges gedroht hatte, sollten bei Unruhen in den türkischen Kurdengebieten weiterhin Menschen getötet werden.

Die linke PKK wurde 1978 gegründet und begann 1984 als Antwort auf die systematische Unterdrückung der Kurden durch Ankara im Südosten der Türkeimit ihrem bewaffneten Untergrundkampf für ein unabhängiges Kurdistan. 1999 wurde der PKK-Gründer und spätere Vorsitzende Öcalan vom türkischen Geheimdienst aus Kenia entführt und von einem Staatssicherheitsgericht zum Tode, später zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Krieg forderte insgesamt bis zu 45.000 Opfer.

US-Luftangriffe in Kobane

Unterdessen wurde auch am Dienstag in und um Kobane erbittert gekämpft. US-Kampfjets bombardierten tagsüber IS-Stellungen am Stadtrand. Die Luftangriffe schwächen die Extremisten inzwischen offenbar, denn es gelang den Kurden nach Angaben von Beobachtern, einen strategisch wichtigen Hügel westlich der Stadt zurückzuerobern.