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Anke Richter

Von Martin Zinggl

Reflexionen

Anke Richter wanderte nach Neuseeland aus. Wie man sich gegen teutonische Klischees verteidigt und vom "Kraut" zur Kiwi wird, beschreibt die Journalistin selbstironisch in ihrem neuen Buch.


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Anke Richter tritt auf die hölzerne Terrasse ihres kleinen Cottage-Hauses. Tui-Vögel zwitschern im Flachsbusch. Von der Veranda aus überblickt sie den malerischen Hafen Lytteltons, einem Vorort der neuseeländischen Stadt Christchurch. Türkisblaues Wasser, weiße Wolken, grüne, saftige Hügel und keine Menschenseele weit und breit. Ein ganz normaler Sonntagmorgen am anderen Ende der Welt. Wenn da nicht ein Schutthaufen aus zerborstenen Ziegeln vor der Holzveranda läge. Drinnen im Haus klafft ein großes Loch, wo einst der Kamin stand. Hässliche Narben vom großen Erdbeben im Februar. Richter bindet sich ihr mahagonibraunes, glattes Haar zu einem hochgesteckten Knoten zusammen und holt ihr Rennrad aus der Garage. Zeit fürs wöchentliche Training. Ein Riss zieht sich von oben nach unten durch die Garagenwand, das Tor hängt schief. Auch wenn nicht wirklich viel Rennstrecke zur Auswahl steht, versucht sich die jung gebliebene 47-Jährige fit zu halten: Die Passstraße bleibt noch immer gesperrt. Zu groß ist die Gefahr, dass riesige Felsbrocken bei einem Nachbeben die Hänge herabrollen.

Lyttelton galt als Epizentrum des verheerenden Bebens mit 181 Toten und rund 6.000 Verletzten. Sechzig Prozent der Stadt liegen in Schutt und Asche. Dass Anke Richters Haus noch steht, ist ein Wunder. Und dass der quirligen Deutschen der Humor nicht vergangen ist, ebenfalls.
Die grüne Idylle hat einen Riss bekommen – nicht nur äußerlich. "Jeder in Christchurch hat ein Trauma hinter sich und etwas verloren. Die Menschen haben sich verändert – aber nicht nur negativ. Man rückt mehr zusammen, hilft sich gegenseitig". Richter spricht schnell. Die einen haben Schutt weggetragen, die anderen für die Nachbarn Muffins gebacken. Es gab tagelang keinen Strom und erst nach Wochen wieder fließend Wasser. "Unschöne Szenen", sagt Richter "aber wenn man bedenkt, wie viel Glück wir im Gegensatz zu anderen hatten, können wir uns wirklich nicht beschweren". Das Kuriosum des schwärzesten Tages in Neuseelands jüngster Geschichte: Als die Journalistin nach Hause kommt und die Zerstörung sieht, findet sie im Briefkasten ihr soeben erschienenes Buch vor. "Da wusste ich wirklich nicht mehr, ob ich lachen oder weinen soll. Was für eine bittere Ironie". Sie beißt sich auf die Unterlippe.

Die Sehnsucht nach mehr Lebensqualität und weniger Stress zogen die deutsche Auslandskorrespondentin und ihren Mann, damals Urologe in Kiel, vor acht Jahren in die Ferne. Gemeinsam mit den beiden Söhnen übersiedelte das Ehepaar an den "schönsten Arsch der Welt", wie Richter selber sagt. Ihr Mann arbeitet seitdem im Krankenhaus von Christchurch, die Kinder wachsen bikulturell auf: Vormittags Arbeit und Schule, nachmittags Surfen. Das Zentrum der Südinsel Neuseelands ist ihr neues Zuhause – und seit dem 22. Februar mehr denn je. Auch wenn die Lebensqualität rapide gesunken ist – Geschäfte, Freunde, kulturelles Leben fehlen – und der wochenlange Stress der Nachbeben enorm war. "Ich fühle mich dieser Stadt jetzt erst recht verbunden. Es geht ja hier um mehr als um Gebäude".

Von ihrem Cottage geht man steil den Berg hinunter. Der Asphalt hat Risse. Richter schiebt ihr Rennrad langsam durch die kleine Hauptstraße Lytteltons, vorbei an Mauerresten. Neben der kleinen, zierlichen Frau wirken die Schutthaufen noch gewaltiger. Das legendäre Restaurant "Volcano" – Lyttelton liegt an einem Vulkankrater – wurde gerade abgerissen. Im alten Ballsaal des "Empire Hotel" klaffen nur noch Lücken dort, wo einst die ersten Siedler speisten, Antarktis-Expeditionen gefeiert wurden, russische Seeleute herumstreunten und sich bis vor einigen Monaten die Nachteulen der Großstadt trafen. Lyttelton war ein lebendiges Kneipen- und Künstlerviertel. Statt im Szene-Café sitzt man jetzt auf Klappstühlen am Straßenrand, vor Absperrgittern. Jemand hat aus Filz das Wort "Love" daran gehängt. "Das Improvisieren hat auch seinen Reiz", sagt Richter. "Die Kiwis haben diesen Pioniergeist und lassen sich nicht unterkriegen. Das berührt mich sehr". Die Autorin schwärmt von der Unkompliziertheit und der Herzlichkeit der Menschen um sie herum, die stolz sind auf ihr bikulturelles, atomfreies Land. Die Kultur der Maori ist in der Gesellschaft tief verankert. Maori und Neuseeland gehören untrennbar zusammen. "Davon könnte sich manches Land eine Scheibe abschneiden".

Ironischerweise hat Richter den Alltag vor dem Beben in ihrem neuen Buch "Was scheren mich die Schafe" festgehalten. Mit viel Biss, Selbstironie und schwarzem Humor ist ihr eine Momentaufnahme des Lebens in ihrer Wahlheimat gelungen, wie es sie für lange Zeit nicht mehr geben wird. "Vielleicht auch gar nicht mehr", ergänzt die Autorin mit leiser Stimme.
Dabei ist der Inhalt ihres Buches ein ganz anderer. Vom Auswandern, vom Fremdschämen, vom Deutschsein im Ausland und dem schweren Umgang mit der eigenen Kultur handelt Richters Werk. Jahrelang bemüht sich die Ich-Erzählerin tapfer, endlich vom deutschen "Kraut" zur neuseeländischen Kiwi zu werden – und entlarvt sich dabei selber erst recht als typisch deutsch. Eine Persiflage? Roman oder Reportage? "Ein bisschen was von allem. Manches ist schamlos übertrieben, aber im Kern ist es wahr", sagt die Autorin und grinst.

Das Leben zwischen Farmern und Farnen – auch nur ein Klischee? "Natürlich lebt man hier mehr im Einklang mit der Natur und hat mehr Muße. Beruflicher Erfolg steht dabei nicht so sehr im Vordergrund". Das klingt entspannt. Und dennoch stimmt auch im scheinbar perfekten Leben der Deutschen mit Doppelstaatsbürgerschaft nicht alles – abgesehen von den Erdbeben. Ein Kulturschock der besonderen Art: als "die Deutsche" wahrgenommen zu werden.  Nationalität als Persönlichkeitsmerkmal. "Je weiter weg man von Deutschland ist, desto rudimentärer sind die Vorstellungen der Menschen dort über meine Herkunft". In 18.000 Kilometer Entfernung halten sich teutonische Stereotype von Dirndl, Sauerkraut und Stechschritt eisern. Solche Zerrbilder schmerzen auf Dauer, auch wenn sie nicht umsonst existieren, wie die Autorin betont. Schließlich gibt es die Klischees umgekehrt genauso, wenn auch positiver: "Neuseeländer springen ja auch nicht den ganzen Tag Bungy, essen nur Kiwis und scheren Schafe. Und Hobbits leben hier auch keine. Im Gegensatz zu den Neuseeländern sind wir Deutschen nun mal verkrampft, streit- und kritikfreudig und wissen immer alles besser. Außerdem tragen viele Touristen auch noch Sandalen mit Socken. Das nervt". Nicht nur im Ausland. Richter verzieht das Gesicht. Sie wirkt beschämt. "Aber zum Glück gibt es hier an den Badestränden keine Liegestühle , die man mit Handtüchern okkupieren kann".

Die Assimilation fiel der norddeutschen Immigrantin nicht immer leicht. Die größte Hürde dabei: Nichts Unangenehmes ansprechen zu dürfen. Lieber um den heißen Brei herumreden als Klartext zu sprechen. "Die Kiwis sind sehr empfindlich, wenn es um Kritik geht. Probleme kommen hier nicht direkt auf den Tisch. Es wird immer das Positive betont". Hilfe fand Anke Richter unter anderem in Einwandererkursen, in denen man viel von neuseeländischen Benimm- und Verhaltensregeln erfährt.
Im Buch vergrault die Protagonistin Anke viele neuseeländische "Landsleute" mit ihrer direkten, ehrlichen, deutschen Art. Gleichzeitig schämt sich "die Deutsche" dafür, dass sie nicht aus ihrer Haut kann. Ein ewiger Konflikt, bei dem schließlich ein stattlicher Maori hilft, den Anke bei einem bikulturellen Crash-Kurs kennenlernt. Der "Eingeborenen-Guru" rät ihr, zur eigenen Kultur und den Wurzeln zu stehen.

"Das Buch ist eine Abrechnung mit der Deutschen in mir selbst", sagt die Autorin. "Schon komisch: Man verlässt Deutschland, um den Deutschen zu entkommen und mutiert dadurch erst recht zum typischen Deutschen. Ein unheimliches Phänomen". Sind sie denn wirklich so furchtbar, die Germanen in Goretex, die mit Wohnmobilen in Neuseeland einfallen? "Ach was", lacht Richter versöhnlich. "Ich habe längst meinen Frieden damit gemacht und kokettiere oft mit dem sperrigen deutschen Image. Wenn mich etwas stört, dann entschuldige ich mich damit, dass ich jetzt einen "German moment" habe, und spucke es aus". Anke ist auf einem Selbstfindungstrip und lernt zu akzeptieren, wer sie ist, woher sie kommt und wo sie hingehört. Darum auch der Titel ihres Buches: "Was scheren mich die Schafe". Achtmal so viele Schafe wie Menschen gibt es in Neuseeland. Auch bei den Richters gab es ein Lamm im Garten, von der Familie mit der Flasche aufgezogen. "Ein traumatisches Erlebnis", erzählt die Autorin und lacht. Das inkontinente Tier namens Millie hat das Haus vollgepinkelt und die Gemüsebeete zertrampelt. "Lamm mag ich seitdem am liebsten geschmort."

Den auffallendsten Unterschied zwischen alter und neuer Heimat sieht Richter im "understatement" der Menschen. "Angeber haben hier keine Chance", sagt die Wahlneuseeländerin. In ihrem Buch klingt das dann so: "Es gibt wohl keine Nation, die andere so gerne verbessert und meint, alles zu wissen, wie wir Deutschen. Die sich beliest, sämtliche Fakten über das Reiseziel kennt und meint, jedem Einheimischen sein Land erklären zu müssen. Passieren kann einem Deutschen im Ausland nur Unvorhergesehenes, und damit Schlechtes". Richter schüttelt schmunzelnd den Kopf. "Schon schizophren, dass man nur die Embleme anderer Kulturen mag. Zum Beispiel Paua-Muschel-Ohrringe aus Neuseeland, aber keinen Edelweiß-Schmuck". Sie zieht sich ihren Fahrradhelm auf, klickt in die Pedale und radelt aus ihrer neuen Heimat hinaus –entlang einer Schafweide.

Anke Richter: Was scheren mich die Schafe. Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung.  Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, 304 Seiten broschiert, 15,40 Euro.