"Heute haben wir die letzte Chance, zur Wahrheit zu verhelfen, in die Öffentlichkeit zu kommen und Gerechtigkeit walten zu lassen", erklärte der Präsident des Bundesverbandes der Israelitischen | Kultusgemeinden Österreichs (IKG), Ariel Muzicant, am Donnerstag. Dazu wurde eine neue Anlaufstelle für jüdische Opfer des Nationalsozialismus und deren Nachkommen ins Leben gerufen, die Daten über | Raub und Enteignung sammeln, prüfen und als Vertretung der Opfer agieren soll.
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"Es gibt 55.000 jüdische und zigtausende andere Haushalte in Österreich, die beraubt wurden", so Muzicant. Mit klingenden Namen verbundene Gesten seien gut und schön, aber es gehe "um die kleinen
Händler oder Hilfsarbeiter". Das was die Juden in Österreich besessen hätten, sei nicht verschwunden: "Das hat sich dann wer angeeignet".
Rechtsvertretung will die Anlaufstelle keine sein. Auf der Basis der Daten, die gesammelt werden, müßten später die öffentliche Hand und private Firmen tätig werden. Wer was bekommt oder nicht
bekommt, sollten jedoch die Vertreter der Opfer entscheiden und nicht die Republik.
Die Anlaufstelle ist auch als Ergänzung zur Historikerkommission gedacht und wird mit dieser zusammenarbeiten. Dies sei umso erforderlicher, da sich die Historikerkommission nicht mit
Restitutionsansprüchen von Einzelpersonen befassen wird. "Das lustige an der Situation:", so Muzicant, "Man weiß zwar aufgrund von genauen Aufzeichnungen der Nazis, was zwischen 1938 und 1945
geschah, jedoch gibt es keine Aufzeichnungen von nach 1945". Der Aufarbeitung dieser Zeit widmet sich die Kommission.
Auch mit dem Nationalfonds der Republik soll die Zusammenarbeit gesucht werden, obwohl dieser nur Vertreter des Staates sei.
Muzicant hofft, in den nächsten Wochen mit den Verbänden World Jewish Congress, Jewish Claims Conference, World Jewish Restitution Organisation, Vereinigung der österreichischen Juden in Israel sowie
in Amerika zu einer Vereinbarung zu kommen, daß die neue Anlaufstelle als gemeinsame Institution betrachtet wird.
Der IKG-Präsident zeigte sich "optimistisch, daß wir die Mehrheit der Österreicher ins Lager der Anständigen bringen" und diese somit sachlich, rechtlich und politisch-moralisch "richtig"
agieren werden. Derzeit leben noch 25.000 Juden, die vor 1938 in Österreich gelebt haben.
Die Anlaufstelle sieht Muzicant als Fortsetzung der Tätigkeit des Mauerbach-Fonds. Dieser Fonds war aus dem Auktionserlös von Kunstwerken aus ehemaligem jüdischen Besitz, deren Eigentümer nicht mehr
zu eruieren waren, mit mehr als 100 Mill. Schilling gespeist worden. Das Geld soll jüdischen Überlebenden des Holocaust, deren Monatsbruttoeinkommen 15.000 Schilling nicht überschreitet, zu Gute
kommen.
Bisher sind bei dem Fonds 7.000 Anträge eingegangen, 4.900 wurden positiv erledigt.
Die Anlaufstelle (1., Desider Friedmann-Platz 1, Tel: 01/531 04/46, Fax: DW 30) wird jeweils von Montag bis Donnerstag von 9 bis 12 Uhr Sprechstunden abhalten.