Vorstoß für transatlantische Freihandelszone. | Reibungsverluste vermeiden. | Berlin. Ein Blitzbesuch in Washington am gestrigen Donnerstag war die erste Auslandsreise der deutschen Bundeskanzlerin im neuen Jahr: Hinflug, Arbeitsgespräch mit US-Präsident George Bush im Weißen Haus, Pressekonferenz, privates Essen und Rückflug. Doch auf ihrer Agenda hat sie Themen, die für zehn Besuche reichen würden.
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So wolle sie unter anderem über die Lage in Afghanistan, im Nahen Osten und über das iranische Nuklearprogramm sprechen, kündigte Angela Merkel vor ihrem Abflug an. Ebenso wird die Situation im Irak nach der Hinrichtung Saddams eine Rolle spielen. Die ins Stocken geratene Doha-Runde (über Handelserleichterungen für Entwicklungsländer) und den Klimaschutz will die Kanzlerin bei Bush ebenfalls ansprechen.
Vision "TAFTA"
Zweifellos bewegen diese Themen die Welt. Aber Merkel wollte noch einen weiteren, vor allem wirtschaftspolitischen Akzent setzen. Schon am vierten Tag ihrer neuen Rolle als EU-Ratspräsidentin war ihr Ziel, der Idee einer transatlantischen Wirtschaftsgemeinschaft neues Leben einzuhauchen. "Das ist für mich von strategischer Bedeutung", zeigt sie sich entschlossen. USA und EU repräsentieren zusammen fast drei Viertel der Weltwirtschaft.
Unionskreise sprechen schon seit längerem von einer "TAFTA", einer transatlantischen Freihandelszone. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert ein "Rahmenabkommen über eine transatlantische Wirtschaftspartnerschaft". Die politische Schubkraft der deutschen EU-Ratspräsidentschaft könne das Projekt zum Erfolg führen, hofft dessen Sprecher Klaus Bräunig.
Solchermaßen unterstützt durch deutsche Wirtschaftsverbände und die AmCham, die amerikanischen Handelskammer in Deutschland, will Merkel konkrete Verbesserungen beim Patentrecht, bei der Finanzmarktaufsicht oder bei der Angleichung technischer Standards erreichen.
"Es ergibt doch zum Beispiel viele Reibungsverluste, wenn das Patentrecht in Amerika anders aufgebaut ist als in Europa", beklagt sie. Im Rahmen der G8 - deren Vorsitz Deutschland heuer gleichfalls führt - will Merkel auch über die Zukunft der sogenannten "Hedge-Fonds" reden. Hier gehe es vor allem um eine bessere Transparenz und Kontrolle, die derzeit geringer sei als bei anderen Finanzmarktinstrumenten.
Allein durch die Einführung gemeinsamer technischer Standards in den USA und in der EU könnten mehrere Milliarden Euro eingespart werden, schätzt der Präsident der AmCham, Fred B. Irwin.
Auch er unterstützt Merkels Pläne für eine Beseitigung von Handelsschranken. "Das kostet nur die Konsumenten Geld, weil die Firmen die Belastung umlegen", sagte er.
Schwerpunkt Nahost
Die deutschen Oppositionsparteien insistierten indessen auf dem außenpolitische Thema, auf das Merkel selbst am meisten Wert legt. Sie hatte im Vorfeld gesagt, sie wolle darauf drängen, dass in die Bemühungen des Nahost-Quartett, bestehend aus der EU, USA, UNO und Russland, neuer Schwung komme. Im Februar will sie zu diesem Zweck auch mehrere arabische Staaten besuchen.
FDP-Chef Guido Westerwelle forderte Merkel auf, bei Bush auf strategische Klarheit in der Nahost-Politik zu dringen. Zudem müsse die Welt wissen, wohin Bush sein Land in der Irak-Frage führen wolle. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, betonte, Merkel müsse einen "rechtsstaatlichen Kampf gegen den Terrorismus" und mehr Klimaschutz anmahnen. Der Regierungskoordinator für die transatlantischen Beziehungen im Auswärtigen Amt, Karsten Voigt (SPD), erklärte, ohne gemeinsames Vorgehen Europas und Amerikas seien keine Fortschritte im Nahen Osten möglich.
Für Angela Merkel war dies der dritte Besuch im Weißen Haus seit ihrem Amtsantritt als Bundeskanzlerin. Nach der Abkühlung des transatlantischen Verhältnisses unter Gerhard Schröder wegen Differenzen in der Irak-Politik hat Merkel die Wogen wieder geglättet. George Bush, in der Heimat immer mehr isoliert genau wegen seiner Haltung zum Irak, reagierte umso dankbarer, bezeichnete Merkel als wichtigste Politikerin in Europa und folgte ihrer Einladung nach Mecklenburg-Vorpommern.
Partner und Freunde
Für beide Seiten sind gute Beziehungen von hohem Wert. Außerhalb der EU sind die USA wichtigster Handelspartner Deutschlands. Deutschland und die USA sind für einander wichtige Investitionsstandorte: Die USA sind Hauptanlageland für deutsche Unternehmen und der größte ausländische Investor in Deutschland. 16 Millionen US-Soldaten waren - oft mit ihren Familien - seit dem letzten Krieg in Deutschland stationiert, 46 Millionen Amerikaner stammen von Deutschen ab.
Nach den USA stellen die Deutschen in Afghanistan und auf dem Balkan das größte Militärkontingent. Ein Netz von Austausch- und Verbindungsoffizieren in beiden Ländern liefert einen Beitrag zu den militärischen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA.
Deshalb hat sich Merkel auf die Fahnen geschrieben: "Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht voneinander entfernen, sondern uns annähern, wo es für beide Seiten Vorteile bietet."