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Annalena Baerbock: Lichtgestalt war einmal

Von Alexander Dworzak

Politik

Die deutschen Grünen fallen nach den Diskussionen um Glaubwürdigkeit und Kompetenz ihrer Kanzlerkandidatin unter die 20-Prozent-Marke.


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Den Weg von Euphorie zur Ernüchterung beschreiten die deutschen Grünen derzeit in rasantem Tempo: Vor einem Monat lagen sie in Umfragen nur einen Prozentpunkt hinter der konservativen Union. Über den möglichen Einzug ins Kanzleramt nach der Bundestagswahl Ende September diskutierte ganz Deutschland. Davon kann mittlerweile keine Rede mehr sein. Laut aktueller Umfrage des Insa-Instituts rutschen die Grünen erstmals seit März unter die 20-Prozent-Marke. Mit 19,5 Prozent rangieren sie nun acht Prozentpunkte hinter CDU/CSU.

Der Parteitag der Grünen am vergangenen Wochenende hat somit keine Trendwende gebracht. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock laboriert weiter an den groben Fehlern der vergangenen Wochen. Erst musste sie eingestehen, dass sie Sonderzahlungen ihrer Partei über 25.000 Euro für die Jahre 2018 bis 2020 zu spät an die Bundestagsverwaltung gemeldet hatte. Von einem "blöden Versäumnis" sprach Baerbock. Mehr als das waren die mehrfachen Ungereimtheiten im Lebenslauf der 40-Jährigen. Mitgliedschaften in Organisationen stimmten so nicht, auch bei der einstigen Büroleitung für eine EU-Abgeordnete nahm es Baerbock nicht genau.

"Das war Mist", bekannte sie. Und zwar in doppelter Hinsicht: Die Grünen agieren gerne aus der Position der moralisch Erhabenen oder werden zumindest oftmals so wahrgenommen. Umso schwerer wiegen dann eigene Versäumnisse. Noch schlimmer: Die Kanzlerkandidatin hat ihre eigene Glaubwürdigkeit - das größte Kapital in der Politik - leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Und besser wird die Sache erst recht nicht, wenn Grüne ausrücken, um die Kritik an Barbock als Frauenfeindlichkeit abzutun. Auf die "einzige Frau im Rennen" werde "draufgehauen", monierte die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt.

Auch in Sachen Kompetenz ist Baerbocks Ruf ramponiert. Sie galt bis vor kurzem als Person, die sich in alle Bereiche einlesen kann und auch Details nicht scheut. Co-Parteichef Robert Habeck, der bei der Kanzlerkandidatur zurückstecken musste, verfügt über auffallend weniger Leidenschaft bei Themen, die ihn nicht brennend interessieren. Aber ausgerechnet die Frau ohne angebliche inhaltliche Schwäche schrieb etwas aus dem Einmaleins der deutschen Politik, den Begriff der sozialen Marktwirtschaft, der SPD zu anstatt dem CDU-Politiker Ludwig Erhard.

Dabei sollte doch Baerbocks Emsigkeit die fehlende Regierungserfahrung kompensieren. Im Gegensatz zu Habeck hat sie niemals in einer Landesregierung Verantwortung übernehmen müssen. Und der nunmehrige Spitzenkandidat der Union, Armin Laschet, wird im Wahlkampf wohl bei jeder Gelegenheit betonen, dass er mit Nordrhein-Westfalen das bevölkerungsstärkste Bundesland regiert.

"Würfel Armin" Laschet

Aber auch im Lebenslauf des 60-Jährigen sind Ungereimtheiten aufgetaucht. Seine Mitgliedschaft des "Direktoriums zur Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen" endete laut dem Portal t-online.de bereits im vergangenen Jahr. Auf Laschets Webseite ausgespart ist sein Lehrauftrag an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule, der nämlich endete unrühmlich: 2015 wurde publik, dass die Prüfungen zu Laschets Seminar im Jahr zuvor verloren gegangen waren. Laschet "rekonstruierte" die Noten nachträglich anhand angeblicher Aufzeichnungen, die er jedoch bereits vernichtet hatte, ehe er vor dem Wissenschaftsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags dazu aussagte. Außerdem vergab er 35 Noten, obwohl nur 28 Studenten die Prüfung ablegten. Der Fall wurde nie restlos aufgeklärt, geblieben sind die Vermutung, die Noten wurden wahllos vergeben und der Spitzname "Würfel Armin" in Anspielung daran.

Heute kann sich Laschet zwar über einen komfortablen Vorsprung auf die Grünen freuen. Nach dem harten Kampf mit Markus Söder um die Kanzlerkandidatur bei den Konservativen herrscht auch wieder mehr Ruhe. Für eine Vorentscheidung im Wahlkampf ist es aber noch zu früh. Und jene 27,5 Prozent, bei denen CDU/CSU nun halten, würden das schlechteste Ergebnis der Union in der Geschichte der Bundesrepublik bedeuten.