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Anregender Widerstand

Von Werner Schuster

Wissen
Im 6. Wiener Gemeindebezirk wird an den Vielseitigen erinnert.
© Bella47, CC BY-SA 3.0 AT, via Wikimedia Commons

Eine Erinnerung an den vor 30 Jahren verstorbenen Volksbildner, der KZ-Häftling, KPÖ-Mitglied und Wiener Kulturstadtrat war.


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"Wer war Viktor Matejka?", fragt man sich vielleicht, wenn man an der Matejka-Stiege im sechsten Wiener Gemeindebezirk - vis-à-vis vom Apollo-Kino - vorbeikommt. Auf einem Schild stehen die Lebensdaten (1901-1993) und der Zusatz "Politiker, Volksbildner, Wiener Kulturstadtrat". Was hat ein Kulturstadtrat so Besonderes getan, dass ihm eine Stiege gewidmet wurde? Nun, Matejka hat - das bestätigen viele Zeitzeugen - gleich nach dem Zweiten Weltkrieg Wiens Kulturleben reanimiert. In nur vier Jahren hat er den Wiener Kulturfonds gegründet, um Künstler materiell zu unterstützen, ihnen aber auch zu Kerzen und Petroleum (zum Heizen) verholfen.

Er hat die Ausstellungen "Niemals vergessen" (bereits 1946!), "Wien baut auf" und "Wien 1848" organisiert. Er hat die Büchereien mit gespendeten und von geflüchteten Nazis zurückgelassenen Büchern ausgestattet. Er hat sich um die Modeschule, die Musiklehranstalten und um die Sportförderung gekümmert. Dies und vieles mehr, unbürokratisch, hemdsärmelig - und bis spät in die Nacht.

In Dachau inhaftiert

Sich selbst beschrieben hat er mit den Titeln seiner Bücher "Widerstand ist alles" (1984) und "Anregung ist alles" (1991). Widerstand (von innen) hat er gegen den österreichischen Ständestaat (1934- 1938) geleistet, gegen das System Konzentrationslager (1938-1944) und gegen die Stalin-Verehrung der KPÖ (ab 1945). Anregung hat er als Volksbildner gegeben, als Kulturstadtrat, als De-facto-Chefredakteur der kulturpolitischen KPÖ-Zeitschrift "Tagebuch" und als Hansdampf in allen (kulturellen) Gassen bis zu seinem Tod. Seine politischen Positionen waren, so der Historiker Werner Michael Schwarz (im "Wien Museum Magazin", 2020), "sehr stabil, aber ihre Kombination war ungewöhnlich: strikter Gegner des Nationalsozialismus, kritischer Katholik, Aufklärer, bekennender Österreicher und unorthodoxer Linker. Für diese Kombination gab es keine Partei." Folgerichtig hat sich Matejka, obwohl KPÖ-Mitglied von 1945 bis 1966, nicht als Kommunist bezeichnet.

Viktor Matejka war Sohn eines Heurigensängers, der später Gerichtsdiener wurde, und eines früheren Dienstmädchens. Sein Studium der Geschichte und Geografie finanzierte er sich als Nachhilfelehrer, Zettelverteiler, Filmstatist und als Theaterdiener im Burgtheater. Ab 1925 betätigte er sich als Vortragender und Kursleiter an den Volkshochschulen Wiens. 1934 wurde er vom ständestaatlichen Regime zum geschäftsführenden Obmann der Volkshochschule Ottakring bestellt und 1936 von Bürgermeister Richard Schmitz "wegen staatsfeindlicher Ausrichtung" abgesetzt. Von 1936 bis 1938 wirkte er als Bildungsreferent der von der Dollfuß-Diktatur gleichgeschalteten Arbeiterkammer Wien. Das warf man ihm später vor, und er rechtfertigte sich damit, dass er sich darum bemüht hätte, verbotene Kultur- und Sportorganisationen zu reaktivieren. Allerdings konnte er in einer Stadt, in der schon der sozialdemokratische Gruß "Freundschaft" verboten war, nicht viel bewirken.

Viktor Matejkas Registrierungskarte als Häftling im KZ Dachau.
© Arolsen Archives, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Nach dem "Anschluss" Österreichs wurde Matejka im April 1938 vom nationalsozialistischen Regime mit dem sogenannten Prominententransport ins Konzentrationslager Dachau deportiert. Bis 1944 war er inhaftiert. Werner Michael Schwarz: "So absurd es klingt, aber gerade unter den furchtbarsten Bedingungen, der permanenten Todesdrohung, konnte Matejka offenbar seine Positionen und Fähigkeiten besonders entfalten, weil er mit seinem ideologischen Crossover zu einem Dialog mit seinen Mithäftlingen aus den unterschiedlichen politischen Lagern fähig war. In Dachau dürfte er sich auch bei seinen kommunistischen Mithäftlingen, nicht zuletzt durch seine Aktivitäten in der Lagerbibliothek, ein großes Ansehen erworben haben, das vermutlich für seine Karriere nach 1945 maßgeblich mitverantwortlich war."

Parteiaustritt 1966

Als KPÖ-Mitglied war er in der Nachkriegszeit suspekt, und innerhalb der KPÖ war er umstritten. Das belegt die folgende Stellungnahme eines anonym bleibenden Mitarbeiters (in den Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 1/2003), die Matejka allerdings sehr anschaulich beschreibt: "Der Genosse Matejka hat sich in Wien einen Namen gemacht. (...) Er ist überall dabei, wo es sich um kulturelle Bestrebungen handelt, und er hat Vereinigungen und Personen mit Rat und Tat geholfen. Er ist ein Volksbildner mit Leib und Seele. Er will Kunst und Wissen ins Volk tragen und den Besitz kultureller Güter möglichst vielen vermitteln.

Er hat einmal erklärt, daß der Praterausrufer, der mit den Worten: ,Hereinspaziert, meine Herrschaften‘ die Kunden anlockt, schon immer sein Vorbild gewesen ist. Er möchte überall dabei sein, bei den Freistilringern und den Symphonikern, bei den bildenden Künstlern und den Philatelisten, bei den Werbegraphikern und bei Augarten-Porzellan, bei Heimatpflegern und beim Olympischen Komitee, in allen Premieren der Wiener Kinos und Theater usw. usw. Und seine Anregungen sind immer praktisch und wertvoll. (...) Er ist bereit, zu helfen, wobei er dem kleinen Kunstschüler ebenso hilft wie Kokoschka und Charoux. Er verfügt über sehr viele und wertvolle Kontakte." Nachsatz: "Er übersieht nur, (...) daß 99 % der Dinge, die er mit so viel Enthusiasmus und so viel Hingabe betreibt, mit dem Kampf der Arbeiterklasse nichts zu tun haben."

Nach 1949 blieb Matejka als KPÖ-Abgeordneter noch bis 1954 Mitglied des Gemeinderats. Er wurde "Tagebuch"-Mitherausgeber - und bot, so der Journalist und Theaterautor Fritz Herrmann, eine "linkshumane, klug dosierte Ideologieofferte an eine insgesamt leider nicht interessierte Gesellschaft". Nach seiner Pensionierung im Dezember 1966 trat er aus der Partei aus. Danach, so Herrmann, "begegnete dir das offizielle Österreich immer menschlicher". Sogar für einen Kommunismus-Feind wie Hans Weigel wurde Viktor Matejka ab 1966 zur "Institution". Wer sich mit Kultur beschäftigte, begegnete ihm sozusagen immer und überall. Er plauderte, diskutierte, monologisierte - und mischte sich ein.

In einer Stadt mit nicht-amtsführenden Stadträten war er gewissermaßen ein amtsführender Nicht-Stadtrat. Er sammelte weiterhin seine Zeitungsausschnitte und ordnete sie, und er schrieb weiterhin Briefe. Über diese meinte Helmut Zilk, Kulturstadtrat von 1979-83: "Er hat in ihnen regelmäßig analysiert, was ich getan, welche Ideen ich präsentiert hatte, und hat seine Meinung und seine Beurteilung abgegeben."

"Wer war Viktor Matejka?", fragte Franz Richard Reiter 1994 in einem gleichnamigen Buch (im Elephant Verlag), und mehr oder weniger bekannte Personen gaben Auskunft:

- "Fan von Gustav Mahler und Paul Löwinger, Arnold Schönberg und Hermann Leopoldi" (Dramaturg und Autor Robert Dachs)

- "(...) hat 1936 die Gründung des Arbeiter-Schriftstellerverbandes initiiert" (Bibliothekar Herbert Exenberger)

- "Es gibt kaum einen Künstler, der ihm nicht etwas verdankt" (Autor Ernst Hinterberger)

- "(...) hielt Privatvorlesungen für einen Zuhörer" (Univ.-Prof. Felix Kreissler)

- "Gefürchteter Dazwischenredner" (Schuldirektor Erich Grubhofer)

- "Meister der Intervention" (Hermann Precht, deutscher Politiker)

- "Laizistischer Franziskaner" (Univ.-Doz. Reinhold Knoll)

- "Ein großer Selbstdarsteller" (Grün-Politiker Dieter Schrage).

Und André Heller schrieb in seinem Matejka-Nachruf in der "Bühne": "... der unermüdlichste, unerbittlichste und anstrengendste Freund."

Nur zwei von 39 Befragten äußern in Reiters Buch auch ein klein wenig sorgenvolle Kritik (etwa, dass er sich in späten Jahren von der Kultur-Schickeria zu sehr vereinnahmen hätte lassen). Und man muss tief graben, um jemanden zu finden, der Matejka nicht mochte oder sich kritisch über ihn äußerte. Und wenn, dann kommt nicht mehr dabei heraus als: "Matejkas Plaudereien an der Grenze zwischen Wahrheit und Dichtung machten ihn bis ins hohe Alter zu einem gern gesehenen Gast bei allen möglichen Veranstaltungen" (so der Historiker Willi Weinert 2003).

Porträt-Sammler

Wahrheit und Dichtung. Ein wenig stutzt man schon, wenn man in Matejkas Erinnerungen liest, dass er von Kaiser Franz Joseph ein Zuckerl in den Mund gesteckt bekommen habe; dass er 1925 in Sandalen zu seiner Promotion gegangen sei; dass er sich 1937 (als Arbeiterkammer-Bildungsreferent!) in Paris und London bei Diplomaten und Politikern persönlich für die Rettung Österreichs eingesetzt habe; dass ihm ein Arzt den Blinddarm herausoperiert habe, damit er 1945 nicht noch als Soldat eingezogen worden wäre, usw. usf. - Matejka selbst erinnert sich an eine Dame, die zu ihm gesagt hat: "Wenn’s vielleicht auch nicht ganz wahr ist, so haben Sie’s gut erfunden."

Ein Teil von Matejkas privater Kunstsammlung.
© Robert Schediwy, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

All das war Viktor Matejka. Und auch noch Kunstsammler - von Porträts seiner selbst. Er zählt sicher zu den am häufigsten Abgebildeten in der Sammlung des Wien Museums. Seine Porträts reichen zumindest bis in die KZ-Haft in Dachau zurück und stammen von Künstlern wie Georg Eisler, Otto Rudolf Schatz, Alfred Hrdlicka, Max Weiler oder Oswald Oberhuber. Gesammelt hat er auch Kunstwerke von Hähnen, angeblich waren es an die 4.000 Stück. Was kann das bedeuten, fragte sich Werner Michael Schwarz: "Es ist (...) verführerisch, darüber Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit zu ziehen. Der Hahn steht ja für Kampflust, Mut und Eitelkeit - sicher nicht ganz falsch."

Werner Schuster lebt und arbeitet als Kulturarbeiter und freier Journalist in Wien.