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Anreiz schlägt Fahrverbot

Von Farhad Shikhaliyev

Gastkommentare
Farhad Shikhaliyev ist Mobilitätsexperte und der österreichische Country Manager der Mobilitätsplattform Bolt.
© Bolt

Was muss passieren, damit Menschen ihr Auto stehen lassen?


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Auf der ganzen Welt lassen heute am Ende der Mobilitätswoche Menschen ihre Autos stehen. Auch auf die Gefahr hin, dass man es im Straßenbild gar nicht sieht: Diese Menschen versuchen andere zu motivieren, sich nachhaltiger zu Fuß, per Rad, Öffis oder geteilter Mobilität zu bewegen. 500 österreichische Gemeinden sowie weltweit 2.000 Städte sind jedes Jahr dabei. Der Anteil der autofreien Haushalte steigt in vielen Städten. In Wien schafft es schon fast die Hälfte, autofrei zu bleiben. In den Regionen ist die Sache eine andere. Je weiter man in Österreich von einer Stadt entfernt wohnt, desto latenter hängt man vom Auto ab. Noch gibt es etwa kein attraktives Car-Sharing in Österreichs Regionen.

Wie also bekommt man Menschen dazu, das Auto stehenzulassen? Mit Verboten wie in den 1970ern? Damals wurde jeder österreichische Autofahrer aufgrund der Energiekrise verpflichtet, an einem frei wählbaren Wochentag auf sein Fahrzeug zu verzichten. Knapp 30 Prozent der Wiener wählten den Dienstag. Ausgenommen waren Lastwagen, Arbeitsmaschinen, Taxis und Zweiräder ebenso wie Einsatzfahrzeuge oder Autos von Post, Bahn, Bundesheer und Diplomaten. Ebenso ausgenommen waren Pendler, die eine Bestätigung des Arbeitgebers einreichten, dass sie ihren Job unmöglich öffentlich erreichen konnten, und zu einer Verwaltungsabgabe von 45 Schilling inklusive Stempelmarke bereit waren. Nach fünf Wochen wurde die Verordnung aufgehoben. Studien über die Auswirkungen auf den Treibstoffpreis oder gar die Umwelt sind rar.

Jetzt schlägt die Internationale Energieagentur im Rahmen ihres Zehn-Punkte-Plans für fortgeschrittene Volkswirtschaften wieder einen autofreien Sonntag in Städten vor. Der Plan soll in vier Monaten 2,7 Millionen Barrel Rohöl pro Tag einsparen. Das könnte nebenbei auch die Inflation senken. Denn fossile Brennstoffe sind eine Hauptursache für jede Inflationsperiode seit dem Zweiten Weltkrieg, sagt Mark Zandi, Chefökonom der Ratingagentur Moody’s. Der Treibstoffpreis sollte auch fallen. Gar nicht davon zu sprechen, wie positiv es sich aufs Klima auswirken würde. Denn seit 1990 sind die emittierten Treibhausgase durch den Verkehrssektor in Österreich um 74,4 Prozent gestiegen.

Statt autofreier Tage die Öffi-Nutzung fördern

Doch so hoch der Bedarf, das Potenzial und die Symbolkraft sind, so wenig Realwirkung hätte ein autofreier Tag etwa in Wien. Eine VCÖ-Analyse geht davon aus, dass die 53 Prozent der Wiener Haushalte mit Auto dieses ohnehin nicht jeden Tag nutzen. Noch dazu fährt ein wachsender Teil davon elektrisch. Na gut, dann halt für zwei oder drei Tage oder alternativ eine Kilometerbeschränkung pro Monat, auch für Lkw? Das müsste mit einer Telematikbox im Auto exekutiert werden, die irgendwer bezahlen müsste. Dem Klima würden wir mit Verboten jedoch einen Bärendienst erweisen. Sie schüren eine Ablehnung, die wir uns beim Verkehr einfach nicht leisten können. Immerhin produziert der Bereich den zweitgrößten Anteil an den nationalen Gesamtemissionen.

Stellen Sie sich vor, das Display ihres Autos zeigt Ihnen wachsende Bäume und süße Häschen am Straßenrand, wenn Sie spritsparend fahren, und sterbende Bäume, wenn Sie es nicht tun. Üblicherweise nerven Verhaltenshinweise des Fahrzeugs wie etwa das Piepsen, wenn der Gurt nicht angelegt ist. Aber wie viele würden den Wald auf dem Display dauernd sterben lassen? Das sind Anreize, um Menschen zu Verhaltensänderungen zu motivieren, ohne etwas zu verbieten. Experten nennen das Nudging: Wer aufs Auto verzichtet, könnte Goodies bekommen - die natürlich reizvoll genug sein müssen, etwa Gutscheine für grüne Mobilität. Bologna, Wien oder Bayern planen Nudging-Projekte via App, die klimafreundliches Verhalten belohnen. Für Öffi- statt Autofahrten gibt es Punkte, die man in Öffi- oder Konzerttickets eintauschen kann. Dann gibt es da noch den erzwungenen Anreiz: So gehören Bremsschwellen zu den erfolgreichsten Maßnahmen zur Geschwindigkeitsreduktion. Man kann sie ignorieren - aber dann rumpelt es unangenehm.

Den größtmöglichen Anreiz erleben Menschen, wenn sie weniger für Mobilität zahlen müssen. Für ein E-Auto lädt man erstens vor allem Strom aus erneuerbare Energiequellen und zahlt zweitens nur halb so viel wie beim Tanken von Sprit. 52 Millionen verkaufte 9-Euro-Tickets in drei Monaten in Deutschland zeigen, wie man Menschen mit attraktiven Öffis vom Auto weglocken kann. In Graz gibt es immer wieder Gratis-Öffi-Tage, etwa an den Einkaufssamstagen in der Vorweihnachtszeit, um nicht zu viel Wertschöpfung an Amazon zu verlieren. Das funktioniert. Und noch besser funktioniert es mit einer guten Anbindung. Deshalb ist die Förderung geteilter Mobilität für die letzte Meile nach Hause so wichtig. Das Erfolgsprinzip bleibt das gleiche: Jeder gesetzte Anreiz ist besser als ein Verbot.