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Das Gesundheitsbewusstsein der Österreicher ist scheinbar gestiegen: Selbständige, die im Rahmen einer Vorsorgeruntersuchung bestimmte Gesundheitsziele definieren und erreichen, müssen nur noch die Hälfte des Selbstbehaltes bezahlen. Dieses Vorsorgeprogramm der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft (SVA) habe dazu geführt, dass die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen bei den Selbständigen im ersten Halbjahr um 42,8 Prozent gestiegen sei, erklärte SVA-Obmann und Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl am Donnerstag stolz.
Deswegen will Leitl auch am Selbstbehalt festhalten - zum einen, weil er eine steuernde Funktion hat: Die Selbständigen gehen laut Leitl nur noch dann zum Arzt, wenn es wirklich nötig ist - nämlich durchschnittlich dreimal im Jahr. Und zum anderen, weil der Selbstbehalt sozusagen die Voraussetzung für das Anreizsystem darstellt.
Die aktuellen Zahlen besagen allerdings auch, dass die Beamten, die ebenfalls einen Selbstbehalt bezahlen, viermal im Jahr zum Arzt gehen. Und die Unselbständigen, die überhaupt keine Selbstbehalte zahlen, sogar fünfmal. Wer hat hier nun tatsächlich das höhere Gesundheitsbewusstsein? Man könnte schließlich genauso behaupten, dass die Menschen mehr auf ihre Gesundheit achten, wenn sie nichts bezahlen müssen. Man könnte auch sagen: Selbständige betreiben eher Raubbau an ihrer Gesundheit, weil sie im Gegensatz zu unselbständig Beschäftigten nicht in den Krankenstand gehen können: Sie arbeiten lieber krank, als einen Verdienstentgang in Kauf zu nehmen und obendrein beim Arzt einen Selbstbehalt zahlen zu müssen.
Wer fünfmal im Jahr zum Arzt geht, dem müsste man doch sensiblere Antennen für seinen eigenen gesundheitlichen Zustand zusprechen als jemandem, der das seltener tut. Es sei denn, er ist unselbständig, will sich vor der Arbeit drücken und hat einen Arzt, der das unterstützt. Aber Missbrauch gibt es bekanntlich überall - umgekehrt bräuchte sich ein Selbständiger nur einen Arzt zu suchen, der die erreichten Gesundheitsziele bestätigt, um sich so die Hälfte des Selbstbehaltes zu ersparen.
Insofern verwundert es, dass Leitl das Motto "Nicht Verwalten von Krankheit, sondern Fördern von Gesundheit" als neue gesundheitspolitische Philosophie verkauft, die seiner Meinung nach sogar als Vorbild für andere Versicherungen dienen soll. Denn solange der Weg zum Arzt aus Kostengründen vermieden wird, negiert man die Krankheit und ignoriert damit die Gesundheit.