Ukrainer müssen hilflos zusehen, während Moskau Fakten schafft.
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Simferopol/Kiew/Moskau. Moskau zieht auf der ukrainischen Halbinsel Krim fast schon stündlich die Daumenschrauben an: Am Donnerstag sprach sich das Regionalparlament der Autonomen Republik zunächst für den Anschluss der Krim an Russland aus. Die Bürger der mehrheitlich von Russen bewohnten Halbinsel sollen bereits am 16. März in einem Referendum darüber abstimmen, ob die Region Teil der Ukraine bleibe oder an Russland angegliedert werde, erklärte Rustam Temirgaliew, der stellvertretende Ministerpräsident der Krim. Der neuen ukrainischen Regierung blieb nur, die geplante Volksabstimmung als illegal zu bezeichnen - tun konnte Kiew nicht viel: Die ukrainischen Soldaten auf der Krim sitzen in ihren Kasernen fest. Temirgaliew erklärte, die einzig legitimen Streitkräfte auf der Krim seien die russischen Truppen. Die ukrainischen Einheiten würden fortan als Besatzer betrachtet. Die Soldaten müssten entweder ihre Stützpunkte räumen oder die russische Staatsbürgerschaft annehmen und sich der russischen Armee anschließen. Und im Übrigen: Der Parlamentsbeschluss über die Abspaltung der Krim von der Ukraine gelte ab sofort. Auch in Russland selbst wurden Vorbereitungen für eine Annexion der Krim getroffen. Ein bereits eingebrachter Gesetzentwurf sieht Erleichterungen für den Beitritt zu Russland vor - "ich sage es ganz offen, das Gesetz wurde für die Krim geschrieben", sagte Sergej Mironow, einer der Verfasser des Gesetzes und Chef der kremlnahen Oppositionspartei "Gerechtes Russland". Gegner eines Anschlusses dürfte die Minderheit der Krimtataren sein, aus deren Reihen Stimmen kommen, die Ukraine möge "unteilbar" bleiben.
Der ukrainische Premier Arseni Jazenjuk, der sich gestern beim EU-Sondergipfel über die Ukraine in Brüssel aufhielt, reagierte auf Russlands Aktionen mit scharfen Worten: Man würde mit dem Kreml gern über Wirtschaftsbeziehungen reden. "Doch stattdessen müssen wir über Krieg zwischen zwei sonst befreundeten Ländern sprechen", sagte der Parteigänger Julia Timoschenkos.
"Russische Stiefel"
Die Krim bleibe ein integraler Bestandteil der Ukraine. "Diese illegale Entscheidung, das sogenannte Referendum - dafür gibt es überhaupt keine Rechtsgrundlage", sagte der aus Czernowitz stammende prowestliche Politiker. "Wir sind bereit, unser Land zu schützen". Bei einer weiteren Eskalationen würden "die ukrainische Regierung und das Militär gemäß Verfassung tätigwerden". Die Ukraine sei schon öfter provoziert worden, gab Jazenjuk zu Protokoll, aber "wir haben nicht Gewalt angewendet, wir haben uns zurückgehalten". Er glaube immer noch, dass diese Krise friedlich gelöst werden könne. Sollten aber "russische Stiefel und russische Panzer im 21. Jahrhundert auf unserem Boden stehen, ist das nicht akzeptabel. Wie weit soll das gehen, und wo ist die Grenze? Vielleicht rücken sie bis an die Grenze der Ukraine zur EU vor." Dies werde dann eine Frage der weltweiten Sicherheit. "Alles läuft aus dem Ruder. Das ist nicht akzeptabel, ohne rechtlichen Anlass, ohne eigentlichen Grund. Ein Land, das Atomwaffen hat, startet eine Invasion in einem anderen Land. Da muss etwas gemacht werden, das System muss erneuert werden".
Dass die Ukraine heute kein Land ist, das Atomwaffen hat, geht auf das sogenannte Budapester Memorandum von 1994 zurück. Darin haben die USA, Großbritannien und Russland die Unabhängigkeit und politische Integrität der Ukraine garantiert - im Gegenzug für den Verzicht Kiews auf Atomwaffen. Nun hat der Kreml das Memorandum gebrochen: freilich nicht hochoffiziell, da die russischen Soldaten ohne Hoheitsabzeichen auftreten, de facto aber schon.
OSZE-Beobachter gestoppt
Das Vorgehen Moskaus auf der Krim wird in Kiew wohl auch jenen Kräften Auftrieb geben, die eine atomare Wiederbewaffnung des Landes fordern - wie der nationalistischen Partei Swoboda. Und es wird wohl auch den Drang Kiews, sich unter den rettenden Schutzschirm der Nato zu begeben, eher fördern als behindern. Dem Parlament in Kiew wurde am Mittwoch bereits ein entsprechender Gesetzesentwurf vorgelegt. Unter dem gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch war 2010 ein Gesetz beschlossen worden, das die militärische Bündnisfreiheit des Landes veranker hat.
Russland geht mit dem Westen indessen weiter auf Kollisionskurs. Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurde in der Ukraine von Bewaffneten der Zugang zur Krim verwehrt. Die Kämpfer seien "sehr professionell, sehr gut ausgebildet", meldete die Agentur AFP unter Berufung auf westliche Diplomatenkreise. An der Mission beteiligte Mitgliedsländer der OSZE bestätigten, dass die Beobachter in die südukrainische Stadt Cherson umkehren mussten. Die OSZE hatte auf Ersuchen der Übergangsregierung in Kiew 35 Militärbeobachter aus 18 Ländern in die Ukraine geschickt, darunter auch zwei Offiziere des Bundesheeres. Den beiden Österreichern soll es gut gehen.