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Anschobers Beitrag zur Corona-Verunsicherung

Von Karl Ettinger

Politik

Der Gesundheitsminister äußerte via Twitter Vermutungen über Ansteckungen bei Partys, von denen er selbst nicht weiß, ob sie stimmen. Er hat schon in den vergangenen Wochen seine eigene Strategie über Bord geworfen. Eine Analyse.


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Im heurigen Frühjahr bis in den Sommer hinein hat sich Rudi Anschober bei den Österreichern durch seine besonnene, beruhigende Umgangsweise mit der Corona-Epidemie viel Vertrauen geschaffen. Umso mehr fällt seit September den Österreichern auf, wie unsicher der Gesundheitsminister inzwischen bei der Bewältigung der zweiten Corona-Welle ist. Mittlerweile leistet der Grünen-Politiker und Minister selbst schon einen erheblichen Beitrag, die Verunsicherung der Bevölkerung weiter voranzutreiben. Augenscheinlich wurde das mit einem Tweet, den der aus Oberösterreich stammende grüne Spitzenpolitiker zum Rekord mit gut 2200 Corona-Neuinfektionen in seinem Heimatbundesland abgesetzt hat. Darin trägt er Mutmaßungen weiter, Partys knapp vor den bundesweit drastisch verschärften Corona-Schutzmaßnahmen hätten zur Ausbreitung enorm beigetragen.

Anschober hat mit seinem Beitrag in den sozialen Medien genau das gemacht, wovor die türkis-grüne Bundesregierung in den vergangenen Monaten seit dem Corona-Lockdown Mitte März immer wieder gewarnt hat, nämlich zusätzlich zur Verunsicherung der Menschen in Österreich beigetragen. Im Corona-Krisenstab in Oberösterreich ist man nachdenklich und besorgt, warum ausgerechnet das Land ob der Enns inzwischen die Bundeshauptstadt Wien klar als Bundesland mit den meisten Neuinfektionen in absoluten Zahlen pro Tag abgelöst hat.

 

Genau in dieser Phase hat der Gesundheitsminister am Samstag getwittert, er sei im Zug nach Oberösterreich gesessen. Zig Personen hätten ihm erzählt, dass es am letzten Wochenende viele Partys gegeben habe. Frei nach dem Motto: "Einmal geht’s noch vor dem Lockdown." Im folgenden Satz räumte der Ressortchef dann aber ein: "Ich weiß ja nicht, ob das stimmt." Danach setzte er fort: "Falls es stimmt, ist das dramatisch. Denn das sehen wir heute in den Zahlen. Nicht nur in Oberösterreich." Ende der Durchsage Anschobers via Twitter.

Österreich hat am Samstag mit mehr als 8.000 Corona-Neuinfektionen einmal mehr einen neuen Tageshöchstwert erreicht. Oberösterreichs hat dazu mit einem Viertel der bundesweiten Neuerkrankungen beigetragen. Ein Grund für den Anstieg der Zahl ist in Oberösterreich auch, dass zugleich die meisten Tests pro Tag durchgeführt wurden, nämlich gut 5000. Darunter befanden sich dann 39 Prozent positive Tests. Die Angaben, dass sich drei Viertel der Patienten im privaten Bereich und im Freizeitbereich angesteckt haben, sind mit Vorsicht zu genießen, weil in der Mehrheit der Corona-Fälle die Kette der Kontaktpersonen gar nicht mehr nachverfolgt werden kann. Österreichweit gelingt das nur mehr in gut einem Viertel der Fälle.

Warnung vor Mangel an Intensivbetten in Spitälern

Genau in einer solchen Situation verlässt sich Österreichs Gesundheitsminister, der bei jedem seiner Presseauftritt an die Eigenverantwortung der Menschen appelliert, auf Wahrnehmungen vom Hörensagen über Partys. Das schließt sich an Aktionen des Ressortchefs, die seit dem Sommer nicht zuträglich für das Vertrauen der Bevölkerung in das zuständige Regierungsmitglied in der Corona-Krise waren. Wochenlang hat er seit Juli ohnehin knappe Ressourcen an Mitarbeitern für die Ausarbeitung der Corona-Ampel eingesetzt, die die Bundesregierung gleich nach dem Start mit den österreichweit einheitlichen Maßnahmen, die von der Ampel abgewichen sind, unbrauchbar gemacht hat.

Der Gesundheitsminister hat noch wenige Tage, bevor die türkis-grüne Bundesregierung die am 3. November deutlich verschärften Corona-Maßnahmen mit der drohenden Überlastung der Intensivstationen in den Spitälern begründet hat, ein anderes Bild gezeichnet. Dass nämlich kein Grund zur Panik bestehe, es vielmehr noch Kapazitäten in den Intensivstationen gebe, hat Anschober den Österreichern mit Verweis auf die damals vorliegenden Zahlen und vor allem auf die prognostizierte Entwicklung erklärt. Nur ein paar Tage später war das alles überholt.

In der Rückschau hat der Gesundheitsminister die Österreicher vor allem auch mit der Beschwörung, es stünde eine entscheidende Woche oder entscheidende Tage bevor, zum Mitmachen bei den jeweils geltenden Schutzmaßnahmen animiert. Das macht es den Menschen schwer, dem obersten Verantwortlichen für das Gesundheitswesen jetzt zu glauben, dass die nun bevorstehende Woche tatsächlich die entscheidende sei, ob man eine Trendwende bei den seit Wochen steigenden Corona-Neuinfektionen schafft. Eines dürfen die Österreicher mit Sicherheit erwarten. Gegen Ende der Woche muss die Bundesregierung nach einer Analyse aller Daten sagen, wie es weitergeht. Anschober hat die Bevölkerung dabei unterschwellig bereits vorbereitet, dass eine nochmalige Verschärfung der Corona-Schutzmaßnahmen für die zweite Novemberhälfte bevorsteht.

Arbeitslose sollen eingesetzt werden

Während Anschober via Twitter Mutmaßungen weitergibt, dass Partys die Corona-Ausbreitung angeheizt haben, ist er als Sozialminister gleichzeitig bereits über Wochen in einem anderen Zusammenhang auffällig ruhig. Während das Bundesland Kärnten bereits seit September ausreichend qualifizierte Langzeitarbeitslose zur Unterstützung der überlasteten Behörden bei der Nachverfolgung der Kontaktpersonen von Corona-Erkrankten einsetzt, kommt auf Bundesebene erst jetzt die formal zuständige Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) drauf, dass das Potenzial bei Arbeitslosen dafür genützt werden könnte. Die Grünen haben stets den Sozialbereich als einen ihrer Schwerpunkte betrachtet. Anschober ist Sozialminister. Wenngleich ÖVP-Regierungskollegin Aschbacher formal für das Arbeitsmarktservice (AMS) zuständig ist, gab es für den grünen Sozialminister keinen Grund, in dieser Debatte nicht selbst Vorschläge in der Regierung zu machen.

Nachdem in allen Bundesländern ein Mangel an Helfern bei der Nachverfolgung von Kontakten bereits über Monate herrscht, hätte nichts dagegen gesprochen, sich längst genau anzusehen, inwieweit bei mehr als 400.000 offiziell gemeldeten Arbeitslosen in Österreich ein Teil davon – und zwar jene mit ausreichend Qualifikation - in allen Bundesländern dafür eingesetzt werden können. Anschober hat vor allem darauf verwiesen, dass die Gesundheitsagentur Ages dafür Personal zur Verfügung stellen könne.

Allerdings war dann nicht einmal herauszubekommen, inwieweit das für Wien genützt wurde. In Anschobers Büro wurde auf eine diesbezügliche Nachfrage der "Wiener Zeitung" auf die Ages verwiesen, dort herrscht auf die entsprechende Nachfrage seit Wochen Sendepause. Abgesehen davon stehen dafür in der Ages nur 60 Personen insgesamt für Aushilfen bei der Corona-Kontakt-Suche zur Verfügung. Das wird für die überlasteten Krisenstäbe in ganz Österreich nicht ausreichen. Soviel lässt sich bei allen Unwägbarkeiten mit Sicherheit sagen.