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Peter Paczolay hätte es sich mit der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften zur Neuregelung der ungarischen Medienlandschaft einfach machen können. Der Präsident des Verfassungsgerichts leitet die höchste Rechtsinstanz des Landes bis auf weiteres - und damit auch über den 1. Jänner 2012 hinaus. An diesem Tag tritt das Grundgesetz in Kraft, das die aus dem Jahr 1948 stammende Verfassung ersetzt. Für viele Beobachter im In- und Ausland markiert es, vor allem wegen eines umstrittenen "nationalen Bekenntnisses" in der Präambel, den entscheidenden Wendepunkt beim Umbau Ungarns zum autoritär geführten Staat, dem ein scheinbar übermächtiger Regierungschef Viktor Orban seinen Stempel aufdrückt.
Dem Premier wird vorgeworfen, er arbeite auf eine Aushöhlung der Gewaltenteilung hin, wobei er sich die Justiz längst gefügig gemacht habe. Das machen die Kritiker vor allem am Verfassungsgericht fest. Dieses darf inzwischen keine Gesetze mit Budget- oder Finanzbezug mehr verwerfen. Zudem urteilen dort demnächst in der Mehrzahl Juristen, welche der Regierungspartei Fidesz zumindest nahestehen.
Paczolay, der gerade kein Fidesz-Mann ist, muss sich in diesem Umfeld behaupten. Vor diesem Hintergrund wäre es für ihn vielleicht opportun gewesen, beim Urteil über das Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienstleistungen, welches das Verfassungsgericht teilweise für nichtig erklärte, ein wohlwollendes Zeichen Richtung Fidesz zu setzen. So hätte er sich mit einem abweichenden Votum von der Mehrheit seiner Kollegen absetzen können. 3 der 15 Verfassungsrichter machten immerhin von dieser Möglichkeit Gebrauch. Einer solchen Versuchung hat Paczolay freilich widerstanden. Im Übrigen hält mit Istvan Stumpf auch ein ehemaliger Minister aus Orbans erstem Kabinett das Mediengesetz in seiner aktuellen Fassung nicht für verfassungskonform.
Es ist zu wenig, die Entscheidung des Gerichts als letztes Zucken des Rechtsstaates zu deuten, mit dem es bald ohnehin vorbei ist. Vielmehr haben die Richter, allen voran Paczolay, unter Beweis gestellt, dass sie ihre Unabhängigkeit ernst nehmen und dies auch weiterhin zu tun gedenken, zumal sie ausdrücklich den Arbeitsstil der Regierung Orbans kritisierten, die Gesetze im Parlament durchpeitschen lässt. Für die Ungarn, und das gilt gerade für jene, die in den vergangenen Monaten immer wieder für einen politischen Kurswechsel auf die Straße gingen - teilweise sollen es mehr als 100.000 Menschen gewesen sein -, kann das nur Ansporn sein, die Demokratie eben nicht vorzeitig verloren zu geben.