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"Anstand hat nichts mit Wohlstand zu tun"

Von Konstanze Walther

Wirtschaft
Kaffee als ehemaliges "Kolonialprodukt" ist der Pionier unter den Fairtrade-Produkten.
© Fairtrade

Der Geschäftsführer von Fairtrade Österreich, Hartwig Kirner, über fair gepreiste Lebensmittel in Zeiten der Krise.


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Wiiener Zeitung: Herr Kirner, es ist Mitte Mai. Sind Sie noch im Homeoffice?

Hartwig Kirner: Wir haben diese Woche wieder begonnen, im Büro zu arbeiten. Davor waren wir acht Wochen im Homeoffice. Die Mitarbeiter, die keine Betreuungspflichten haben, sind jetzt wieder im Büro. Die meisten sind recht froh darüber.

Wo erwarten Sie den größten Einbruch bei den Fairtrade-Produkten aufgrund der Corona-Pandemie?

Die größten Schwierigkeiten haben die Blumenfarmen und Blumenhändler. Die Nachfrage ist hier zeitweise um 80 Prozent eingebrochen. Deren Lieferketten sind stark betroffen. Die Blumen werden mit dem Flugzeug transportiert. Wenn die Passagiermaschinen aus Afrika in Europa nicht mehr landen, können im Frachtraum auch die Rosen nicht mitfliegen.

Neben fair gehandelten Blumen hat Fairtrade vor allem Kaffee, Südfrüchte und Schokolade im Programm. Wie macht sich Corona hier bemerkbar?

Die Lieferketten sind hier intakt: Diese Produkte kommen vor allem über den Seeweg, und die Häfen waren für Frachtschiffe immer offen. Was den Absatz betrifft: Alle Kaffeeröster, die in die Gastronomie liefern, sind natürlich stark betroffen. Denen hat der Lockdown ordentlich geschadet. Für Fairtrade insgesamt und für die Kaffeebauern konnte ein guter Teil über die erhöhte Nachfrage im Bereich Lebensmittelhandel, also in den Supermärkten kompensiert werden. Wenn die Leute im Büro keinen Kaffee trinken, trinken sie ihn eben zuhause. Die Schokoladenhersteller hatten allerdings eine echt schlechte Ostersaison. Denn wenn man niemanden besuchen kann, kauft man auch keine Ostergeschenke. Da ist sicherlich gegenüber dem Vorjahr einiges auf der Strecke geblieben.

Fairtrade Österreich hat diese Woche die Jahresbilanz für 2019 vorgelegt. Der Verein hat 2019 einen Gesamtumsatz von 351 Millionen Euro gemacht, ein Plus von 5,4 Prozent zum Jahr davor. Gibt es für das zweite Quartal 2020, in dem der Lockdown schlagend wurde, schon Zahlen?

Wir erwarten, dass das zweite Quartal in bestimmten Warengruppen Rückgänge zeigen wird, aber dass wir mit dem Quartal drei auf das normale Niveau zurückkommen, vielleicht sogar den Absatz erhöhen. Ich habe aber erfreuliches Feedback über die Entwicklung des Absatzes von Bio-Produkten bekommen. Die hatten zuletzt deutliche Zuwächse. Was man auch im Supermarkt sieht: dass die Menschen eher hochwertigere Produkte kaufen. Nach dem Motto: Wenn man sich schon die Mühe macht, zuhause zu kochen, dann wird vielleicht nicht nur das Billigste gekauft. Wenn wir in dieser Krise etwas Gutes sehen wollen, dann, dass die Lebensmittel wieder mehr Wert bekommen haben. Ich will es aber nicht schönreden, für einige Partnerfirmen in Österreich hat diese Krise Herausforderungen gebracht.

 

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Aufgrund der Krise haben viele Menschen zumindest kurzzeitig ihren Arbeitsplatz verloren oder sind auf Kurzarbeit. Fairtrade-Produkte kosten immer ein wenig mehr, damit die Produzenten ein gesichertes Einkommen haben. Haben Sie Angst, dass Fairtrade- und Bioprodukte weniger nachgefragt werden? Es ist doch ein Zeichen von Wohlstand, mehr für ein Produkt zu zahlen, obwohl es im Karton nebenan im Regal billiger ist.

Ich glaube, das ist eine falsche Schlussfolgerung. Andere Menschen anständig zu behandeln, Anstand zu haben - das hat nichts mit Wohlstand zu tun. Ich hoffe, dass wir auch wegen der Krise jene Menschen mehr schätzen, die uns im Homeoffice ein gutes Leben ermöglicht haben. Das sind die, die nicht zuhause bleiben konnten. Dazu gehört die Kassiererin im Supermarkt, der Lkw-Fahrer. Und auf der anderen Seite der Produktions- und Lieferkette: die Bäuerin und der Bauer. Ohne deren Arbeit hätten wir nichts zu essen. Ich hoffe, wir ziehen die richtigen Schlussfolgerungen aus der Krise. Dass man eben nicht sagt: "Ich habe selbst weniger Geld - deswegen geht mich das Schicksal anderer nichts mehr an." Die allermeisten Menschen hierzulande werden ja zum Glück nicht so weit in ihrem Einkommen abrutschen, dass sie sich nicht einmal mehr Lebensmittel leisten können. Ich glaube, dass Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit im Konsum einen deutlichen Aufschwung erfahren werden.

Da wäre ich mir nicht so sicher, dass alle das machen werden.

Es müssen nicht alle sein - das ist das Gute. Es ist schon mal wichtig, dass ein großer Teil der Bevölkerung - diejenigen, die finanziell gut genug gestellt sind, dass sie nicht jeden Cent dreimal umdrehen müssen -, dass die verstärkt die richtigen Schlüsse ziehen und damit die gesamte Gesellschaft mitziehen.

Es war schon ohne Wirtschaftskrise gesellschaftlich hoch umstritten, für Ökologisierung mehr zu zahlen.

Die Frage kann nicht sein, ob wir es uns leisten können, den Klimawandel zu bekämpfen, die Frage muss sein: Können wir uns leisten, es nicht zu machen? Wir haben jetzt ziemlich drastische Maßnahmen getroffen, um eine reale Bedrohung von der älteren Generation abzuwenden. Wir sollten jetzt nicht sagen: "Tut uns leid, liebe junge Leute, aber jetzt können wir kein Geld mehr aufbringen", um wesentlich gelindere Maßnahmen für eine existenzielle Krise, die die Jüngeren betrifft, aufzubringen. Wir haben jetzt gesehen: Es geht, wenn es sein muss. Gegen die Klima-Krise wird es auch nie eine Impfung geben.

Wirkt sich die Pandemie schon bei der Ernte in Lateinamerika oder Afrika aus?

Nachdem das Virus im Globalen Süden angekommen ist, gibt es derzeit noch keine Rückgänge. Jetzt wissen wir nicht zuverlässig, wie die Infektionsraten dort aussehen, weil es dort nicht annähernd so viele Tests gibt wie bei uns. Ein anderer Unterschied zu Europa ist: Es gibt dort keine Auffangpakete vom Staat. Und wenn die Menschen schon vorher von der Hand in den Mund gelebt haben, können die nicht einfach zwei Monate zuhause bleiben.

Wie ist es um das Fairtrade-Unternehmen in Österreich bestellt? Werden Sie Ihren Mitarbeiterstand von 20 Personen stabil halten?

Ja - das kann ich mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Wir sind als Verein ja nicht verpflichtet, Gewinn zu machen. Wir haben genügend Reserven angehäuft, dass wir diese Krise gut überstehen werden. Wir waren ein Monat in Kurzarbeit, aber jetzt sind wir wieder zurück.