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Zahlreiche Firmen und Verbände wollen EU-Gesetzgebung beeinflussen.
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Brüssel/Wien. Die Ermittler ließen sich mehr als ein Jahr Zeit. 15 Monate dauerten die Untersuchungen, und sie liefen in fünf Ländern. Es geht um Korruption, versuchte Einflussnahme, vielleicht auch Machtmissbrauch - all das, was jene bestätigt, die Politiker als Menschen betrachten, die sich in erster Linie selbst bereichern wollen. Doch manchmal enden solche Geschichten vor Gericht. Für Ernst Strasser beispielsweise. Er wird sich demnächst wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit verantworten müssen. Gegen den früheren österreichischen Innenminister und ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament wird Anklage erhoben, teilte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien mit.
Doch die Ereignisse, die als Lobbyingaffäre bekannt wurden, hatten ihre Folgen auch in Brüssel: Das Europäische Parlament selbst hat einen beträchtlichen Imageschaden erlitten. Es war nämlich nicht nur Strasser allein, der sich willig gezeigt haben soll, von zwei als Lobbyisten auftretenden Zeitungsreportern Schmiergeld anzunehmen. Die Journalisten gingen auch auf einen rumänischen EU-Abgeordneten, ebenfalls einst Minister in seinem Land, zu. Adrian Severin soll daraufhin für seine "Beratungsdienste" eine Rechnung in Höhe von 12.000 Euro ausgestellt haben. Für ein finanzielles Angebot offen zeigte sich außerdem der slowenische Europamandatar Zoran Thaler. Wie Strasser war der Ex-Außenminister vor dem Einzug in die EU-Volksvertretung eine Zeit lang in der Privatwirtschaft tätig.
Falsche Beratungsverträge, fingierte Dienstleistungen
Alle drei Abgeordneten wiesen die Bestechungsvorwürfe später von sich - und alle drei mussten früher oder später ihre Parlamentariersitze räumen. Es waren nicht zuletzt die Fraktionen der Mandatare, die Europäische Volkspartei und bei Severin die Sozialdemokraten, die Druck auf ihre Mitglieder ausübten, ihre Funktionen zurückzulegen. Severin musste aus der Partei ausgeschlossen werden, weil er sich weigerte, sich von seinem Mandat zu trennen. Olaf, das europäische Amt für Betrugsbekämpfung, empfahl den jeweiligen nationalen Behörden, weiter gegen Thaler und Severin zu ermitteln.
Der rumänische Politiker muss sich nun zusätzlichen Vorwürfen stellen. Die Antikorruptions-Staatsanwaltschaft in Bukarest untersucht auch Hinweise, dass Severin das Budget des EU-Parlaments um mehr als 430.000 Euro geschädigt hat. Er wird beschuldigt, EU-Finanzierungen auf unlautere Weise verwendet zu haben. Zu diesem Zweck sollen Beratungsverträge mit sechs rumänischen Firmen unterzeichnet worden sein, die aber die vereinbarten Dienstleistungen nie erbracht haben. Laut rumänischen Medien droht Severin eine mehrjährige Haftstrafe.
Doch während sich die Ermittlungen gegen die Abgeordneten, auf die jeweiligen Länder verlagerten, musste das EU-Parlament ebenfalls handeln, um wenigstens einen Teil des Vertrauens der Bürger in die Institution wieder zurückzugewinnen. Nach einigem Tauziehen beschloss es einen Verhaltenskodex, nach dem sich alle Mandatare richten müssen.
Parlament verpflichtetsich zu mehr Transparenz
"Mehr Transparenz" lautet nun das Motto. So sollen die EU-Abgeordneten alle Nebeneinkünfte offenlegen: jegliche vergütete regelmäßige sowie gelegentliche Tätigkeit - wie das Halten von Vorträgen -, Beteiligungen an Firmen oder auch finanzielle Unterstützung von Dritten, "wobei die Identität dieser Dritten anzugeben ist", wie es im Kodex heißt.
Ähnliche Verpflichtungen hat es zwar schon zuvor gegeben, doch künftig soll ihre Einhaltung strenger überprüft werden - von einem eigenen Kontrollausschuss. Jedenfalls müssen die Parlamentarier auch unregelmäßige zusätzliche Einkommen offenlegen, wenn sie 5000 Euro im Jahr übersteigen.
Grenzen sind ebenfalls bei der Annahme von Geschenken gezogen. Diese dürfen einen Wert von 150 Euro nicht übersteigen.
Zwei Hauptstädtedes Lobbying
Zur bis dahin kaum geregelten Lobbyisten-Tätigkeit gibt es nun auch striktere Vorgaben. Während sie ihr Mandat ausüben, dürfen die Abgeordneten keine solchen Aktivitäten setzen, wenn diese bezahlt werden. Und ehemalige Volksvertreter, die als Lobbyisten arbeiten, verlieren für diese Zeit einige Privilegien, die ihnen sonst zustehen würden - etwa das Recht auf die Nutzung der Infrastruktur des Abgeordnetenhauses. Einen Verhaltenskodex für ihre Mitglieder hat übrigens auch die ÖVP erst vor einigen Wochen beschlossen.
Dass jedoch durch solche Anstandsregeln generell die Versuche einer Intervention geringer werden, ist ausgeschlossen. Denn wie Washington ist Brüssel eine Lobbying-Hauptstadt. Zahlreiche Verbände und Interessensvertretungen; Beraterfirmen mit Kundschaft, die von Regierungen außerhalb der EU bis hin zu Ölkonzernen reicht, aber auch Nichtregierungsorganisationen, die sich für strengere Umweltschutz-Standards einsetzen, bemühen sich, den Prozess der europäischen Gesetzgebung zu beeinflussen. Wie viele Lobbyisten in Brüssel tätig sind, ist nicht genau bekannt, da sich nicht alle registrieren lassen. Schätzungsweise sind es zwischen 5000 und 15.000.
Ihr aller Ziel aber ist, rechtliche Vorschriften mitzugestalten, die einmal in ein Gesetz gegossen werden sollen. Dafür gibt es gleich mehrere Möglichkeiten. Zum einen kann die Europäische Kommission überhaupt auf den Gedanken gebracht werden, einen neuen Gesetzesvorschlag zu erarbeiten. Denn diese Behörde ist es, die einen Entwurf vorlegen kann, den am Ende die Mitgliedstaaten der EU beschließen müssen. Bei bereits geplanten Regelungen gibt es ebenfalls die Chance, von außen einzuwirken. Das kann etwa bei sogenannten Konsultationen passieren, wo Interessensverbände oder Firmen ihre Meinung zu den Plänen abgeben.
Und dann kommt das EU-Parlament ins Spiel. Es muss nämlich ein Gesetz absegnen. Da es aber - anders als die nationalen Abgeordnetenhäuser - nicht unbedingt für oder gegen eine Regierung stimmen muss, fühlt es sich freier, Anträge auf die Abänderung der Vorschläge der Kommission zu stellen. Davon machen die Mandatare auch tatsächlich häufig Gebrauch: Die meisten Gesetzesentwürfe sehen am Ende anders aus als von der Kommission vorgeschlagen. Welcher Art die Änderungen sein sollten, können die Abgeordneten wiederum von Lobbyisten erfahren. Ein zusätzlicher finanzieller Anreiz schien dabei manchem Mandatar willkommen gewesen zu sein.