Rund 80.000 österreichweit nach dem Burgenland-Modell anzustellen, würde zumindest 1,5 Milliarden Euro kosten.
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Pflege von Angehörigen und Erwerbsarbeit lassen sich nicht gut miteinander vereinbaren. Im Burgenland werden diese deshalb seit Oktober 2019 auf Wunsch beim Land angestellt. Mit Ende Juni waren 202 Personen - davon 78 Prozent Frauen, 22 Prozent Männer, mehr als die Hälfte ist über 50 Jahre alt - beim rot regierten Land als pflegende Angehörige beschäftigt.
Wiens Stadtrat Peter Hacker (SPÖ) hat das Modell bereits als "super" bezeichnet und den Fonds Soziales Wien damit beauftragt, ein entsprechendes Konzept für die Stadt zu erarbeiten - "als kleines Zusatzangebot und Ergänzung zu den zahlreichen bestehenden Pflegeangeboten in Wien", wie es seitens des Stadtratbüros gegenüber der "Wiener Zeitung" heißt. Im Kleinen startet auch das schwarz-blau regierte Oberösterreich damit: Im Rahmen eines Pilotprojektes werden schon mit September insgesamt 30 Angehörige beeinträchtigter Kinder und Jugendlicher ein Jahr lang befristet beim Land angestellt.
Sozialminister Wolfgang Mückstein von den Grünen ist allerdings "skeptisch", ob das die richtige Unterstützung für pflegende Angehörige ist. ÖVP-Klubobmann August Wöginger bezeichnet das Konzept sogar als "Augenauswischerei" und schlägt stattdessen einen jährlichen Bonus von 1.500 Euro für pflegende Angehörige vor. Klar ist jedenfalls, dass so ein Modell mit Anstellungen von Angehörigen ziemlich teuer kommt.
Das Modell Burgenland im Detail
Ab der Pflegestufe fünf gibt es im Burgenland eine Entlohnung von 1.700 Euro netto monatlich. Das sind 2.360 Euro brutto. Den Dienstgeber, also das Land, kostet das knappe 43.000 Euro im Jahr. Bei Pflegestufe vier reduziert sich die Anstellung auf 30 Stunden, bei Pflegestufe drei auf 20 Stunden - damit auch das Einkommen. 5,4 Millionen Euro hatte das Burgenland dafür für 2020 budgetiert. Geworden sind es letztlich 2,9 Millionen Euro, weil es weniger als gedacht in Anspruch nehmen. Bei 400 bis 600 Angehörigen rechnete das Burgenland im Vollausbau mit 13 Millionen Euro, wie die "Wiener Zeitung" bereits kurz nach dem Start im Burgenland berichtete.
Laut Sozialministerium bezahlt das Land die Angestellten nicht vollständig: "Primär wird die Anstellung von der pflegebedürftigen Person bezahlt, wobei hier die eigene Pension und das Pflegegeld herangezogen werden". Diese müssen ihre Pension über dem Ausgleichszulagen-Richtsatz sowie einen Teil des Pflegegelds an das Pflegeservice Burgenland bezahlen. Die Differenz auf das volle Einkommen trägt dann das Land.
Heuer waren es von Jänner bis Mai 1,7 Millionen Euro. Es gebe ein "stetes Wachstum" von rund 15 Personen im Burgenland pro Monat; man ist stolz darauf, auch fünf Wochen Urlaub zu finanzieren. "Soziale Gerechtigkeit ist unsere politische Triebfeder", gibt der burgenländische Soziallandesrat Leonard Schneemann (SPÖ) dieser Zeitung schriftlich mit auf den Weg.
Oberösterreich behält 50 Prozent des Pflegegeldes ein und rechnet mit Bruttogehältern ab 1.965,70 Euro. Für das Pilotprojekt mit 30 Personen sind 857.000 Euro veranschlagt.
300 angestellte Angehörige nach dem burgenländischen Modell würde Kärnten circa 5,7 Millionen Euro jährlich kosten. "Wir diskutieren das Modell, es gibt aber noch offene rechtliche Fragen beim Urlaubsanspruch und Krankenständen", heißt es aus dem Büro der zuständigen Landeshauptmann-Stellvertreterin Beate Prettner (SPÖ). Ungeklärt ist zudem, ob Kärnten mit dem Geld andere Leistungen für pflegende Angehörige aufstockt. Einmal im Jahr finanziert man diesen etwa einen einwöchigen Urlaub. Man kann mobile Dienste bis zu 30 Stunden im Monat zum halben Selbstbehalt zukaufen, bis zu 28 Tage im Jahr stellt Kärnten eine Heimbetreuung als Entlastung.
Auch in Salzburg hat man sich für professionelle Unterstützung als Entlastung entschieden. Hier sind es zehn Stunden pro Monat, ab Pflegestufe fünf 20 Stunden, die das Land kostenfrei zur Verfügung stellt, "verlässlich und dauerhaft, im Vollausbau seit Oktober 2020", heißt es aus dem Büro Landeshauptmann-Stellvertreter Heinrich Schellhorn (Grüne). Anstellungen seien derzeit kein Thema.
Im ÖVP-geführten Tirol werden Anstellungen "derzeit geprüft", solche Entscheidungen aber "nicht leichtfertig getroffen". Aus dem Büro von Niederösterreichs Landesrätin Christiane Teschl-Hofmeister (ÖVP) heißt es, der Landtag habe das burgenländische Modell am 1. Juli abgelehnt. Nun will man das Thema "ganzheitlich diskutieren", "zumal die Pflege durch Angehörige ein wesentlicher Bestandteil der aktuellen Pflegereform ist". Und: Das Land forciere bundesweite Angebote.
Kosten für Karenz und Versicherung des Bundes
Im türkis-grünen Regierungsprogramm festgehalten sind der Pflege-daheim-Bonus, ein pflegefreier Tag als Unterstützung, Community Nurses als organisatorische Hilfe, für die der Nationalrat eben erst die rechtliche Grundlage beschlossen hat, oder, dass die Pflegekarenz auch für Selbständige möglich sein soll - die "Wiener Zeitung" berichtete über Konstruktionsfehler des Pflegekarenz-Modells bereits ausführlich.
Realistischerweise wäre die Pflegekarenz für rund 80.000 von den 801.000 Personen, die laut der Studie "Angehörigenpflege in Österreich" in die Pflege eines Angehörigen zu Hause involviert sind, attraktiv. Der Grund: Sie sind noch im Erwerbsalter und bewältigen die Pflege eines Angehörigen alleine. 1.738 Angehörige machen eine Pflegekarenz oder -teilzeit, sie erhielten bis zu drei Monate lang Unterstützung in der Höhe des Arbeitslosengeldes, höchstens aber 1500 Euro pro Monat, weitere 1.656 eine Familienhospizkarenz, die auch länger möglich ist.
Für die Hospizkarenz gab der Staat 2020 7,7 Millionen Euro aus, für Pflegekarenzgeld 4,3 Millionen Euro, also 2.462 Euro pro Person und Jahr. Hätten alle 80.000 damals Pflegekarenz gemacht, wären also fast 200 Millionen Euro fällig gewesen. Und würde man alle 80.000 anstellen, kostet das die Länder - die Kärntner Rechnung hochgerechnet - insgesamt 1,5 Milliarden Euro. 1500 Euro Pflege-Daheim für 80.000 Angehörige machen 120 Millionen Euro.
Der Bund finanziert zudem die Weiterversicherung für pflegende Angehörige, die weder erwerbstätig noch in Pflegekarenz und auch nicht in Pension sind. Das haben 2020 immerhin 15.152 für durchschnittlich zehn Monate in Anspruch genommen. In den vergangenen zehn Jahren kam das übrigens für zehn Mal so viele Frauen wie Männer in Frage. In Summe kostete das 2020 53 Millionen Euro.