Rumänen und Bulgaren fühlen sich als Bürger zweiter Klasse.
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Sofia/Bukarest. (n-ost) "Die Diskussion ist heuchlerisch und bedient den Alltagsrassismus", empört sich Ion Nitu. Der Fliesenleger aus Bukarest arbeitet seit einigen Monaten in Berlin. Angesichts der Debatte über Armutsmigration fragt sich der 41-Jährige, was in Deutschland eigentlich los ist. "Warum fragt Horst Seehofer die bayerischen Bauunternehmer nicht, was sie ihren Arbeitern bei Projekten in Rumänien zahlen?", sagt Nitu.
Ähnlich wie Nitu geht es vielen Rumänen. Spätestens seit der Wirtschaftskrise sind die Aussichten auf eine Angleichung des Wohlstandsgefälles zwischen Rumänien und Westeuropa in weite Ferne gerückt. Rund drei Millionen rumänische Staatsbürger leben bereits heute in Westeuropa, überwiegend in Italien und Spanien. Kaum einer von ihnen denkt über eine Rückkehr nach. "Andererseits möchten sich immer weniger Rumänen in Deutschland oder Großbritannien als Europäer zweiter Klasse behandeln lassen", sagt die rumänische Politologin Alina Mungiu-Pippidi von der Hertie School of Governance in Berlin.
Auch der rumänische Botschafter in London, Ion Jinga, kritisiert die "anti-osteuropäische Hysterie". Als diese immer weitere Kreise zog und nicht nur das traditionell euroskeptische Großbritannien, sondern auch Deutschland erfasste, platzte auch dem sozialdemokratischen rumänischen Premier Victor Ponta der Kragen. Der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Europäischen Parlament Elmar Brok (CDU) hatte Anfang des Jahres vorgeschlagen, von Rumänen und Bulgaren Fingerabdrücke zu nehmen, um Sozialleistungsmissbrauch zu verhindern.
"Das ist populistische Demagogie, die sich faschistischen Gedankenguts bedient", verurteilte Victor Ponta den Vorstoß. Auch der konservative Staatspräsident Traian Basescu distanzierte sich von seinen deutschen Parteikollegen aus CDU und CSU und stellte klar, dass Freizügigkeit zu den Kernerrungenschaften der europäischen Integration gehört.
"Die furchtbare rumänische Invasion ist offensichtlich ausgeblieben", stellt Botschafter Ion Jinga ironisch fest. Auch aus Bulgarien gibt es noch keine Einwanderungswelle. Die Reporter am Flughafen von Sofia wurden enttäuscht, als sie den befürchteten Aufbruch von Armutsemigranten dokumentieren wollten. Vor allem Auslandsstudenten und schon länger fern der Heimat arbeitende Bulgaren stiegen in halbleere Busse und Flugzeuge nach Deutschland oder London.
Prognosen bulgarischer Politiker und Sozialexperten vom Ausbleiben der Auswanderungswelle scheinen sich zu bewahrheiten: "Die Bulgaren, die emigrieren wollten, haben dies längst getan", sagt etwa Bulgariens Arbeits- und Sozialminister Hassan Ademov. Tatsächlich haben seit 1989 rund bereits zwei Millionen Bulgaren ihr Glück und Auskommen in reicheren Ländern vor allem Westeuropas und Nordamerikas gesucht.
Obwohl Bulgarien mit Rumänien bereits im Jahr 2007 der Europäischen Union beigetreten ist, wird ihnen der Zutritt zum grenzenlosen Schengen-Raum noch immer verwehrt. Nun sehen viele sich erst recht zu EU-Bürgern zweiter Klasse degradiert. "Wir Bulgaren stellen uns Fragen zu Demokratie, Toleranz und Humanität der britischen Gesellschaft", kommentierte Staatspräsident Rossen Plevneliev die auf der britischen Insel geführte Diskussion um seine Landsleute. Diese diene "kurzfristigen politischen Interessen", argwöhnt er.