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Anti-Terrorkampf auf Dänisch

Von Petra Ramsauer

Politik

Reden statt Strafen lautet die neue Form der De-Radikalisierung. Experten beraten, wie sich der Ansatz global umsetzen ließe.


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Aarhus. In vielen Ländern Europas wären er und sein Gebetshaus Ziel einer Polizei-Aktion geworden: Verhaftung, Beschlagnahmung von Dokumenten, Anklage wegen Beihilfe zum Terror. Doch Oussama el Saadi, der Imam der dänischen Grimhojvej Moschee, erhielt stattdessen einen Anruf des Polizeipräsidenten. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" nennt er diesen Tag im Jänner 2013 "einen kleinen Feiertag": Zum ersten Mal habe er sich als Däne behandelt gefühlt (siehe Interview). In dem Gespräch sei es nicht um die Androhung von Strafen gegangen. "Er wollte mit mir ein Projekt starten. Als Partner."

Das hat den Imam zu Recht überrascht. 22 der 33 Dschihadisten, die aus Aarhus Richtung Syrien ausgereist waren, haben zuvor in seiner Moschee gebetet. "Wir hatten keine Ahnung", sagt er. Dies dürfte nur begrenzt stimmen. In seinem Gebetshaus, das auch als Büro eines Vereins fungiert, stapeln sich Hilfsgüter für Syrien. Vor Jahrzehnten ist der gebürtige Palästinenser nach Dänemark eingewandert, heute ist er Ende 40 und macht keinen Hehl daraus, dass er für eine sehr konservative Auslegung des Islams steht.

In der Grimhojvej Moschee am Stadtrand, in einer Sackgasse neben einer Schnellstraße, hört Aarhus auf, die hübsche dänische Großstadt zu sein und wird zu einer eintönigen, von Betonburgen geprägten Metropole. In Häusern mit rostbraunen Wasserflecken an den Fassaden leben jene, die sich mit dem Gegenwert eines gepflegten Abendessens in der Innenstadt zwei Wochen über Wasser halten müssen.

Keine Beweise aus Syrien

Die Gegend scheint den idealen Nährboden für Extremismus zu bieten. Dänemark zählt wie Belgien zu den EU-Staaten, aus denen besonders viele Dschihadisten in den Krieg reisten. Massiv betroffen war die 320.000-Einwohner-Stadt Aarhus. Von hier aus brachen ab 2012 mindestens 33 Jugendliche Richtung Syrien auf, 16 sind zurück. Ins Gefängnis kamen sie nicht, die Polizei bot ihnen stattdessen die Teilnehme an einem Mentoring-Programm an. Zehn folgten der Aufforderung und konnten zurück auf die Uni, in ihren Job als Automechaniker oder bekamen die Chance auf eine völlig neue Berufslaufbahn.

Das Frappierende daran: Seit dem Start des Projekts Anfang 2013 hörten die Ausreisen mit einem Mal auf. Auch deshalb gilt es als globales Vorzeigeprogramm. So wurden im Februar 2015 Polizeichef und Bürgermeiter der Stadt ins Weiße Haus nach Washington geladen, um US-Präsidenten Barack Obama ihre Erfahrungen zu präsentieren. Kommendes Wochenende soll das bahnbrechende Modell in Aarhus mit 300 globalen Experten diskutiert werden. Der Termin steht schon seit Monaten fest, nun hat er tragische Aktualität erlangt.

"Was wir hier tun, ist Kriminal-Prävention im klassischen Sinn, unsere Arbeit verringert Risiken", erklärt Polizeichef Jorgen Ilum. Laut dänischen Gesetzen ist die bloße Reise nach Syrien nicht ausreichend, um jemanden anzuklagen und zu verurteilen. "Wenn ich keine Beweise für eine Straftat bekomme - und wie sollte man das in Syrien oder im Irak -, dann muss ich solche Personen laufen lassen. Doch sie alleine zu lassen, wäre für die dänische Gesellschaft ein großes Risiko. Denn wenn die Rückkehrer nicht Fuß fassen, ist die Gefahr, dass sie auf dumme Gedanken kommen, beträchtlich."

"Wir wissen, wo ihr lebt"

Sobald die Polizei von einer Rückkehr erfährt wird der Betroffene "eingeladen": "Wir fragen ganz locker: Hast Du Lust, mit uns einen Kaffee zu trinken? Reden wir ein bisschen?", so Ilum. Von den 16 Rückkehren hätten sechs dankend abgelehnt: "Denen haben wir aber sehr deutlich gesagt: Wir und der Geheimdienst wissen, wo ihr lebt und wer ihr seid. Achtung!" Bei den restlichen zehn gelang es, dass sie nach ihrer Rückkehr aus Syrien auch in Dänemark ankommen konnten. Dabei helfen Mentoren, etwa ein Jurist, der aus einer muslimischen Einwandererfamilie stammt, sowie Psychologen und Sozialarbeiter. Die Hilfe reicht von der Job-Suche bis zur Therapie einer möglichen Post-Traumatischen Belastungsstörung.

Als das Projekt 2007 entwickelt wurde, ging es darum, Jugendlichen einen Ausweg aus rechtsradikalen Milieus zu zeigen. Danach wurde es für potenzielle islamistische Extremisten adaptiert. Im Zentrum steht die enge Kooperation mit lokalen Polizeibeamten und Sozialarbeitern, die als erste Ansprechpartner für besorgte Angehörige oder Nachbarn dienen. "Die Leute vor Ort genießen das Vertrauen der Bevölkerung, weil alle wissen, dass wir sorgsam mit den Informationen umgehen", sagt Ilum. So werden radikalisierte Jugendliche, die auffälliges Verhalten zeigen, erst einmal ohne großes Aufsehen zu einem Gespräch gebeten. "Wir können natürlich nie sicher sein, dass uns die Rückkehrer die Wahrheit erzählen über das, was sie getan haben", sagt Illum.

Nach etlichen Gesprächen weiß er genau, warum sie wirklich ins radikale Milieu abgedriftet sind: "Die meisten der 33 Ausreiser waren sehr gut situiert, gut ausgebildete oder am Weg dorthin. Irgendetwas gab ihnen das Gefühl, nicht dazuzugehören. In dem muslimischen Jugendzentrum des Imams in der Grimhojvej Moscheen waren sie dann plötzlich Teil von etwas; fanden einfache Antworten auf ihre Sorgen: Ich werde in Dänemark nicht angenommen, weil ich Muslim bin."

Radikalisierung im Gefängnis

Einen massiven Rückschlag erhielt das ambitionierte Projekt im Februar dieses Jahres. Der 22-jährige Omar Abdel Hamid El-Hussein griff am 14.Februar 2015 eine Veranstaltung im Kopenhagener Kulturzentrum Krudttønden an, tötete den Dokumentarfilmer Finn Nørgaard und verletzte drei Polizisten. In der folgenden Nacht attackierte er eine Synagoge und erschoss einen jüdischen Wachmann. Auch El-Hussein gab an, im Namen des IS gehandelt zu haben. Wenige Wochen nach den "Charlie Hebdo"-Anschlägen in Paris rückte Dänemark ins Visier der Gruppe, Kritik an dem "sanften" Ansatz in Aarhus wurde laut. Sie verstummte allerdings schnell und schlug ins Gegenteil um; denn Omar Abdel Hamid El-Hussein schien - wie die Attentäter vom "Charlie Hebdo"-Anschlag - in einem Pariser Gefängnis radikalisiert worden zu sein.