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Anti-Terrorkampf blieb am Amtsweg stecken

Von Edith Grünwald

Politik

Es war der bisherige Höhepunkt der Anhörungen vor der Kommission zur Untersuchung der Terroranschläge vom 11. September. Die Aussagen des ehemaligen Anti-Terrorberaters der US-Regierung, Richard Clarke, erschütterten nicht nur die Mitglieder der Kommission sondern vermutlich alle Zuschauer, die das Geschehen am Mittwoch live in den amerikanischen Nachrichtensendern mitverfolgen konnten.


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Die Regierung von US-Präsident George W. Bush habe die Terrorbedrohung in den ersten acht Monaten vor 9/11 zwar als "ernstes, aber nicht dringendes Problem" betrachtet, stellte Clarke dem amtierenden Präsidenten und seinem engsten Mitarbeiterstab kein gutes Zeugnis aus. Seine zahlreichen Warnungen vor der Stärke der El Kaida und einem möglicherweise drohenden Terroranschlag blieben am Amtsweg stecken.

Besonders eindrucksvoll war die Schilderung der frustrierenden Erlebnisse mit der behäbigen Bürokratie im Weißen Haus. Clarke berichtete anschaulich wie er zu Beginn der Amtszeit der Bush-Regierung im Jänner 2001 mit seinem Anliegen von der neuen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice quasi an den Start zurückverwiesen wurde. Das von ihm vorgeschlagene Treffen zur Terror-Bedrohung auf höchster Ebene kam nicht zustande, denn er sollte sich zuerst mit untergeordneten Stellen abstimmen. Dadurch kam es bei der Anti-Terrorstrategie zu einer monatelangen Verzögerung, klagte Clarke. Es sei ihm nicht gelungen, dass die Terror-Bedrohung bei einem Treffen der höchsten Verantwortlichen überhaupt besprochen wurde.

Zahlreiche Warnungen vor der Stärke der Terrororganisation El Kaida in den Monaten vor den Terroranschlägen am 11. September 2001 seien ohne Taten der Bush-Regierung geblieben, berichtete Clarke. "Ich war so frustriert dass ich im Juli 2001 um Versetzung gebeten habe". Schließlich habe er in einem Bericht an Sicherheitsberaterin Rice seine Enttäuschung ausgedrückt, dass die Regierung nicht reagiert habe. "Wie würden Sie sich fühlen, wenn bei einem Anschlag von El Kaida hunderte Amerikaner getötet würden?", fragte Clarke am 4. September 2001, wenige Tage vor den Terrorattentaten.

Auf die hypothetische Frage der 9/11-Kommission, was die Bush-Regierung versäumt habe und was er selber getan hätte, wenn er angehört worden wäre, meinte Clarke: Im Herbst 2001 habe das FBI jedenfalls gewusst, dass sich zwei Mitglieder der El Kaida in den USA aufhielten. Seiner Meinung nach hätten die Behörden eine landesweite Fahndung nach den beiden starten sollen. Die zwei Männer waren unter den 19 Terroristen, die am 11. September vier Flugzeuge entführten. Dann wäre die Ausführung des Terroranschlags zumindest erschwert worden.

Zwischen den Zeilen klang ein allzu menschliches Szenario durch: Der Übergang von einer demokratischen Regierung zu einer republikanischen Führung, der die Handlungsfähigkeit der US-Spitze verlangsamte. Eine neue Sicherheitsberaterin, die offenbar eine hierarchische Amtsauffassung pflegte und mit ihren Untergebenen, auch wenn sie langjährige Erfahrung im Anti-Terrorkampf hatten, recht autoritär umging. Der mühsame Weg durch die Instanzen, der im Juli durch den allgemeinen Sommerurlaub von US-Beamten im August erneut unterbrochen wurde. Und ein US-Präsident, zu dem offenbar ein direkter Zugang nicht möglich war, sondern der sich ganz auf seinen engsten Mitarbeiterstab verließ. Die Ansammlung dieser Faktoren zeichnete das Bild eines riesigen Apparats, der letztlich in der entscheidenden Frage versagt hat: Trotz Billionen-Aufwands zum Schutz Amerikas konnten am 11. September 2001 19 Selbstmordattentäter fast 3.000 Menschen töten.

Clarke war bereits seit den letzten Monaten der Präsidentschaft von George Bush, dem Vater von George W. Bush, als Berater für Anti-Terrorfragen zuständig. Dieses Amt hatte er auch in den folgenden acht Jahren der Präsidentschaft von Bill Clinton inne. Unter George W. Bush war er zunächst weiterhin Anti-Terrorberater, war jedoch später nur mehr für Fragen von Cybersecurity zuständig und ging Anfang 2003 in Pension.

Das Weiße Haus hat bisher alle seine Vorwürfe zurückgewiesen und Clarke umgekehrt vorgehalten, er wolle nur den Verkauf seines in diesen Tagen erschienenen Buches "Against All Enemies: Inside America's War on Terror" ankurbeln. Doch die Aussagen des ehemaligen Anti-Terrorberaters müssten die Verantwortlichen und die amerikanische Öffentlichkeit aufrütteln und zu einem Umdenken führen.