Seit Corona leben Asiaten außerhalb Asiens in Angst. Die Zahl an Übergriffen ist den USA beängstigend hoch.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Es ist nicht die Delta-Variante, die die chinesische Studentin Zhenghao Lin nervös macht, es sind die steigenden Übergriffe auf Amerikaner mit asiatischen Wurzeln. Sie wird nicht müde, sich zu fragen, warum bin ich bloß als Chinesin geboren? Warum kann ich keine weiße Amerikanerin oder eine Latina sein?
Tatsächlich sind die aktuellen Zahlen hinsichtlich Angriffe auf asiatisch-stämmige Amerikaner in New York um 223 Prozent gestiegen, in San Francisco um 140 Prozent, um 80 Prozent in Los Angeles, gefolgt von Boston mit 60 Prozent. Die Schülerin Karen Zhang versucht auf der Plattform "U-M Against AAPI Hate", eine Erklärung zu finden: "Bei der Gewalt gegen Asiaten in Amerika geht es auch um Bildung. Viele Hassverbrechen passieren einfach, weil man uns nicht als Teil der Gesellschaft wahrnimmt. Wir sind als Minderheit Fremde geblieben."
Der verstärkte anti-asiatische Rassismus lässt auch Weina Zhao an ihre Zeit in der Volksschule erinnern. Dort wurde sie das erste Mal als "Schlitzauge" bezeichnet. Lange hat sie aus Scham nicht darüber reden können und in den letzten zwanzig Jahren gelernt, mit "ihrer Andersartigkeit" zu leben. Bis zum Ausbruch von Covid-19 und den damit einhergehenden Sprüchen wie "Made in China" wünscht sie sich plötzlich wieder, ihr chinesisches Äußeres unsichtbar zu machen. Sie erzählt, dass sie seit Corona nicht mehr die Rolltreppe auf der linken Seite hochgeht, sondern wie alle anderen in der Stehreihe bleibt, um nicht aus heiterem Himmel angefeindet zu werden, oder, wie sie sagt, "aufgrund ihres asiatischen Äußeren erspäht wird und so verkappten Rassisten Futter gibt".
Mythos: Vorzeigeminderheit
Die Filmemacherin verfolgt aufmerksam die zunehmenden rassistischen Tendenzen. "Anti-asiatischer Rassismus stellt noch immer weltweit ein unausgesprochenes Problem dar", erzählt Zhao der "Wiener Zeitung". Sie definiert die Situation als äußerst komplex: Das Problem liege im Mythos der "vorbildlichen Minderheit", die Asiatinnen und Asiaten in den USA darstellen. Dieses "positive" Stereotyp habe viele chinesisch-diasporische Menschen in den USA dazu veranlasst, sich nie mit Rassismus auseinanderzusetzen, weil sie ja in dieser rassistischen Wertungsskala als "höher" eingestuft wurden. Darum gebe es Leute, die sich auch heute weigern, sich als Ziel von rassistischen Attacken zu sehen oder Rassismus als Problem zu sehen, weil dadurch das Zugehörigkeitsbild zerstört werde und sie so auch nicht als "weiße Amerikaner" durchgehen.
Von den rund 23 Millionen asiatisch-stämmigen Amerikanern fürchtet sich laut jüngsten Umfragen jeder Dritte vor einer Aggression. Dokumentiert wurde auch, dass es seit März 2020 etwa 6.603 Übergriffe gegen Asiaten gab. Sie werden zu 70 Prozent verbal belästigt und beleidigt, zu rund 21 Prozent absichtlich gemieden und ignoriert, zu acht Prozent körperlich angegriffen, zu sechs Prozent angespuckt oder angehustet, zu je vier Prozent online beziehungsweise am Arbeitsplatz diskriminiert, es wird ihnen zu zwei Prozent der Zutritt verweigert und zu Opfern von Vandalismus gemacht. Die Zahlen stammen von der im Corona-Jahr gegründeten Plattform "Stop AAPI Hate", die seit Ausbruch der Pandemie alle Vorfälle von Hass und Diskriminierung gegen Amerikaner asiatischer Herkunft und Pazifikinsulaner in den Vereinigten Staaten verfolgt. Dabei ist das Phänomen keineswegs neu, aber vom ehemaligen US-Präsident Donald Trump zu seiner Amtszeit massiv befeuert: Er bezeichnete das Coronavirus als "chinesisches Virus" und "Kung-flu". Sein Nachfolger Biden will mit einem "Anti-Hass-Gesetz" Verbrechen gegen asiatisch-stämmige Menschen effektiver bekämpfen. Hass und Rassismus dürfen nie hingenommen werden, so der amtierende US-Präsident.
Eine Schneise an Gewalt
Zwei Monate vor dem mit großer Mehrheit verabschiedeten Gesetz wurden die USA im März von einer beispiellosen Gewalttat im südlichen Georgia erschüttert. Ein Mann hatte acht asiatisch-stämmige Frauen erschossen. Der Verdächtige nannte keine rassistischen Beweggründe, sondern eine Sexsucht als Antrieb für die tödlichen Angriffe. Mittlerweile wurde der 22-jährige Täter zu vierfach lebenslänglich verurteilt worden. Diese Tat ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs, Anfeindungen passieren im ganzen Land. Anfang Mai wurden zwei asiatisch-stämmige Frauen in New York von einer Frau mit einem Hammer attackiert und verletzt. Die Täterin soll von den Frauen gefordert haben, ihren Mund-Nasen-Schutz abzunehmen. Die Übergriffe richten sich prinzipiell an alle Altersgruppen von Asiaten, besonders betroffen sind Ältere: so ein Angriff auf eine chinesisch-amerikanische Frau vor einer Bäckerei in New York. Das Opfer soll den Mann nur gefragt haben, ob er in der Schlange anstehe. Das soll den Mann derart in Rage versetzt haben, dass er sie gewaltsam zu Boden streckte. Ähnlich erging es einem asiatischen Senior in der New Yorker U-Bahn. Und auch einem älteren Thailänder in San Francisco, auch er wurde brutal zu Fall gebracht. Fast zeitgleich wurden drei Menschen auf der anderen Seite der Bucht schwer verletzt.
Die Liste ist lang und ähnlich sind die Reaktionen der Opfer. Sie verstecken sich zunehmend zu Hause oder gehen nur ängstlich vor die Türe. "Viele asiatisch-stämmige Amerikaner wollen ihre Eltern vor diesem Rassismus beschützen. Gleichzeitig trauen sie sich nicht, mit ihnen darüber zu reden", sagt Weina Zhao. Nachdem viele der ersten Generation nicht so gut Englisch können, sei ihnen die rassistische Komponente bei diesen Angriffen nicht so bewusst, und ihren Kindern bräche es das Herz, sie darüber aufzuklären.
Ursprung der Ressentiments
Einwanderer aus China wurden in der Geschichte der USA nie wirklich als willkommen begrüßt. Der "Chinese Exclusion Act" von 1882 war das erste Immigrationsgesetz in den Vereinigten Staaten, das die Einwanderung einer Gruppe von Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit einschränkte. "Der Rassismus ist nicht plötzlich jetzt erst entstanden, sondern war seit Jahrhunderten schon da, dieses Feind- und Fremdbild der asiatischen Person hat zu einer Dehumanisierung von asiatisch-gelesenen Menschen geführt, die bis zum Covid-Rassismus selten hinterfragt werden", erklärt Weina Zhao.
Bei blanker Gewalt oder kleinen "Mikroaggressionen" wie das Verziehen der Augen oder ein Fingerzeig mit dem gellenden Schrei "Corona" sei Rückzug oft eine sichere Wahl, so Weina Zhao. Bisher sei Schweigen die Norm für die meisten asiatischen Menschen in den weißen Mehrheitsgesellschaften gewesen, so Zhao.
Schweigen oder kämpfen
"Der Grat ist schmal zwischen Hinschauen und Wegschauen: Hinschauen, um nicht die Augen vor dem wütenden Rassismus zu verschließen, und wegschauen, um sich selbst emotional davor zu schützen", so Weina Zhao. Sie erzählt die Geschichte einer New Yorker Seniorin, die ihren Angreifer so heftig zurückgeschlagen hat, dass dieser auf einer Krankenbahre abtransportiert werden musste. "Ich konnte nicht anders, als mit ihr zu weinen und mich wie in ihrem Körper zu fühlen: Ich weiß nicht, warum er mich angegriffen hat, ich habe mich zur Wehr gesetzt, aber ich weiß auch, dass das nichts ändert. In solchen Momenten weiß ich nicht, ob ich weiterkämpfen soll." Zhao äußert die Hoffnung für die zweite und dritte Generation an asiatisch-stämmigen Amerikanern, die sich wehren und nicht unsichtbar sein wollen.