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"Antieuropäisches" Statusgesetz

Von Heike Hausensteiner

Europaarchiv

Der EU-Kandidat Ungarn will sich der im benachbarten Ausland lebenden ungarischen Minderheit verstärkt annehmen. Das von der Mitte-Rechts-Regierung vor dem Sommer beschlossene "Statusgesetz" räumt den Minderheitenangehörigen Begünstigungen im Mutterland ein. Verstimmt darüber sind vor allem Rumänien und die Slowakei. Das Statusgesetz stehe nicht im Gegensatz zur Rechtsordnung der Europäischen Union, beteuert Ungarns Regierungschef Viktor Orbán.


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Einen leichteren Zugang zum Arbeits- und zum Wohnungsmarkt sowie zu Hochschul- und Gesundheitseinrichtungen verspricht das Statusgesetz. Von der Visapflicht, die bei Ungarns EU-Beitritt gegenüber einzelnen Staaten fällig wird, sollen die im Ausland lebenden Angehörigen der ungarischen Volksgruppe befreit bleiben. Ziel des im Hinblick auf Ungarns EU-Beitritt geschaffenen Gesetzes sei, "dass die Ungarn jenseits unserer Grenzen dort glücklich werden, wo sie geboren sind", so die Begründung von Außenminister Janos Martonyi. "Die in Österreich lebenden Ungarn sind von den Begünstigungen ausgenommen", sie lebten ohnehin in Wohlstand, berichtet Peter Stiegnitz im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der aus Ungarn stammende Wiener Soziologe, der am Institut für Germanistik der Budapester Universität eine Gastprofessur über die EU-Erweiterung aus der Sicht Ungarns inne hat, bezeichnet das Statusgesetz als "künstliche Begünstigung". Vorbild dafür sei der Sonderstatus Südtirols. Stiegnitz spricht von "rechtspopulistischer Propaganda" der Regierung Viktor Orbáns.

Der größte Teil der ungarischen Minderheit - geschätzte zwei Millionen - lebt heute in Rumänien. Rund 600.000 sind es in der Slowakei, 400.000 im nördlichen Teil Serbiens und Hunderttausende in der Ukraine; in Österreich leben rund 20.000 Ungarn (im Burgenland und in Wien), schreibt Peter Stiegnitz in seinem Buch "Heimat zum Nulltarif" (Edition Va Bene).

Die Auslandsungarn könnten wegen der Verschiebung der EU-Außengrenze und den damit verbundenen verschärften Visa-Regelungen von Ungarn abgeschnitten werden, befürchtet Budapest. Doch das Statusgesetz sei ohne Konsultierung jener Länder vorbereitet worden, deren Staatsbürger die vom Gesetz Begünstigten sind, monierte die sozialistische und die liberale ungarische Opposition. Tatsächlich haben die Slowakei und Rumänien wenig Freude mit der Regelung. Sie befürchten, ihre Staatsbürger könnten sich angesichts der versprochenen Privilegien als Ungarn deklarieren, somit könnte die ungarische Minderheit in ihrem Land sprunghaft steigen. Ernsthafte Bedenken wurden in erster Linie in Europas Armenhaus Rumänien geäußert: Anders als etwa die Slowakei werde Rumänien länger auf die Aufnahme in die EU warten müssen, gerade das Recht auf Arbeit im reicheren Nachbarland werde daher längere Zeit ein sensibles Thema bleiben, sagte der rumänische Außenminister Mircea Geona. Das Statusgesetz enthalte Regelungen, die sowohl rumänischem Recht als auch bilateralen Vereinbarungen und dem Assoziierungsvertrag mit der EU widersprechen würden. Das Gesetz sei "anachronistisch und antieuropäisch", so Geona. "Wir sollten ins 21., nicht ins 19. Jahrhundert schauen."

Um in den Genuss der Sonderrechte wie Reisefreiheit, befristete Arbeitserlaubnis, kostenlose Ausbildung und medizinische Versorgung in Ungarn zu kommen, brauchen die Auslandsungarn einen eigenen Ausweis. Wer als Ungar gilt, darüber sollen in den betroffenen Ländern Kommissionen entscheiden, die von dort ansässigen Ungarn aus Parteien, Verbänden und Kirchen gebildet werden sollen. Der "Ungarnausweis" erweckt in Rumänien belastete Ressentiments aus der Vergangenheit. Geht es nach der Budapester Regierung, soll das Statusgesetz im Jänner 2002 in Kraft treten.