Nur 60 Prozent der Patienten bilden Antikörper, die vor einer Neuinfektion schützen, warnt der Immunologe Rudolf Valenta.
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Es lässt nicht nach im Sommer, äußert sich in vielen Symptomen und verläuft oft unbemerkt: Das Coronavirus Sars-CoV-2 sprengt die Erwartungen. Selbst junge, gesunde Menschen können schwer und lange an Covid-19 erkranken, während vereinzelte Immunsupprimierte die Krankheit besiegen. Und manche Antikörper killen die Covid-Erreger nicht, sondern können sie sogar fördern, berichtet Rudolf Valenta, Immunologe und Impfstoffentwickler an der Medizinischen Universität Wien.
"Wiener Zeitung": Nicht alle Covid-Patienten bilden Antikörper, die sie vor einer Neuinfektion schützen. Warum?Rudolf Valenta: Man muss zwei Dinge unterscheiden. Das erste ist die Menge der Antikörper, das zweite ihre Qualität. Die Qualität der Antikörper hängt davon ab, wo sie binden. Sars-CoV-2 hat eine große Oberfläche. Einen Teil dieser Oberfläche verwendet es, um an die Körperzelle anzudocken. Diesen Teil nennt man die Rezeptor-Bindungsdomäne. Von dort dockt es mit seinem Spike-Protein an den Rezeptor ACE-2 an, der ihm Tür und Tor zur Zelle öffnet. Antikörper, die außerhalb der Rezeptor-Bindungsdomäne binden, verhindern nicht, dass der Erreger andockt.
Warum verpeilen sich manche der Antikörper?
Wir haben Patienten auf das Coronavirus und Genesene auf Antikörper getestet. Es stellt sich heraus, dass etwa 60 Prozent der Personen, die eine Covid-Infektion hatten, Antikörper entwickeln, die die Bindung zwischen Virus und Zelle blockieren. Etwa 40 Prozent der Menschen erzeugen jedoch andere Antikörper, die etwas anderes tun.
Warum? Hängt es von der Schwere oder der Länge des Verlaufs ab, oder liegt es etwa in den Genen?
Ich kann es nicht sagen. Wir haben untersucht, welche Faktoren mit der Fähigkeit, diese Bindung zu inhibieren, zusammenhängen: Es kommt nichts heraus! Die Bildung von blockierenden Antikörpern korreliert weder mit der Schwere noch der Dauer der Erkrankung und auch nicht mit dem Alter der Patienten. Zwar hat eine lange Krankheitsdauer mit einem hohen Antikörper-Spiegel zu tun, doch der nützt mir nichts, wenn diese Antikörper nicht blockieren.
Welche grundlegenden Prozesse des Immunsystems spielen mit?
Menschen erzeugen sehr diverse Immunantworten. Wahrscheinlich hängt das auch damit zusammen, welche Passform sie in ihrem Immunglobulin-Repertoire, also in den B-Zellen, die die Antikörper produzieren, haben. Jeder Mensch kann mit verschiedenen B-Zellen verschiedene Antikörper machen. Bei einer Infektion werden sie durch (Viren-)Oberflächen, zu denen sie passen, aktiviert. Wenn man Glück hat, sind es die richtigen, aber man kann das nicht vorhersagen. Wir können nur Menschen, die Covid hatten, testen und ihnen sagen, zu welcher Gruppe sie zählen.
Wie lange schützen die blockierenden Antikörper?
Auch das können wir noch nicht sagen. Typischerweise fällt der Spiegel dieser Antikörper der Klasse IgG1 nach vier bis sechs Monaten wieder ab und pendelt sich auf ein Mittel ein. Zu Covid-19 gibt es keine längeren Erfahrungswerte.
Was ist mit jenen 40 Prozent er Patienten mit anderen Antikörpern?
Etwa 20 Prozent haben Antikörper, die wenig bringen. Die restlichen 20 Prozent erzeugen jedoch solche, die mehrere Viruspartikel miteinander verbinden und damit mehr der Erreger an die Zelle heranbringen können. Wir nennen sie verstärkende Antikörper. Diese Entdeckung macht nachdenklich. Unser Team konnte dieses Phänomen bisher zwar nur im Reagenzglas nachweisen, somit ist eine schädliche Wirkung am Menschen nicht bewiesen. Aber wir dürfen dies vermuten, zumal solche Antikörper erklären könnten, warum bestimmte Menschen schwerere Verläufe haben. Zudem müssen wir der Frage nachgehen, ob Menschen dadurch bei erneuten Infektionen schwerere Verläufe erleiden.
Virologen der Icahn School of Medicine in New York hatten bereits zu Beginn der Epidemie im Februar vor solchen infektionsverstärkenden Antikörpern gewarnt, andere Experten deren Existenz jedoch als nicht bewiesen abgetan. Bestätigt Ihre Arbeit die Existenz dieser gefährlichen Reaktion des Immunsystems?
Absolut. Es gibt einige Erkrankungen auf dieser Basis, etwa manche Formen von Rheuma, aber man wusste bisher nicht, wie der Mechanismus bei Covid funktioniert. Ein Antikörper hat zwei Arme, so wie Sie. Wenn Sie eine Orange in die rechte und eine in die linke Hand legen, haben Sie deren zwei. Ähnlich kann ein Antikörper zwei Viruspartikel mit einander verbinden. Das Gebinde nennt man Immunkomplex. Er besteht aus einem Antikörper und zwei Antigenen. Wenn er größer wird, sind es mehr Antikörper und mehr Antigene. Wir müssen erforschen, ob es eine Covid-Inkfektion verstärkt, wenn mehr Rezeptor-Bindungsdomänen an den Komplex herangetragen werden.
Könnte das auch "Long Covid" erklären - ein Verlauf, der viele Wochen dauert und mit schweren Symptomen einhergeht?
Das ist eine Möglichkeit. Bisher haben wir das alles nur im Reagenzglas mit Eiweißkörpern nachgespielt. Was wir aber an 100 Personen aus Innsbruck mit schwerem Verlauf nachgewiesen haben, ist, dass diese Art von Antikörpern in ihnen häufiger sind. Die Arbeit ist zwar noch nicht publiziert, aber bei ihnen finden wir das Phänomen häufiger als bei Personen mit leichten Fällen.
Sie arbeiten an einem Impfstoff gegen Covid-19 (die "Wiener Zeitung" berichtete). Welche Konsequenzen leiten Sie für ein Vakzin ab?
Bei einer Impfung muss man darauf achten, dass sie keine verstärkenden Antikörper induziert. Ob unser Impfstoff dazu fähig ist, kann ich Ihnen in fünf Wochen sagen. Wir werden demnächst in präklinischen Studie testen, ob sie blockierende Antikörper bilden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es gut funktionieren wird, es ist nicht mein erster Impfstoff.