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Kritik an der Politik des Staates Israel ist nicht zwangsläufig antisemitisch.
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Antisemitismus, von Muslimen importiert, mit Demonstrationen und brennenden Flaggen mit Davidstern, wehret den Anfängen! Nachdem US-Präsident Donald Trump das Unaussprechliche ausgesprochen und de facto Jerusalem zur Hauptstadt Israels gekürt hat, brennt es wieder, auf den Straßen und in den Köpfen. Die Wut über diesen Schritt in vielen arabischen Ländern und in den muslimischen Gemeinden in Europa ist nicht in Worte zu fassen. Man lässt Fäuste, Feuer und Waffen sprechen.
Entsetzt blickt man in Österreich und Deutschland auf die "judenfeindlichen und antisemitischen" Demonstrationen. Das deutsche Nachrichtenmagazin "Spiegel" berichtete in seiner Online-Ausgabe von "blankem Hass gegen Israel und gegen Juden" und "israelbezogenem Antisemitismus", den die Redakteure auf einer Demonstration in Berlin zu beobachten vermeinten.
Der Begriff "Antisemitismus" ist zu einer Art Allzweckreiniger verkommen. Jegliche Kritik am Staat Israel und an dessen brutalen Siedlerkolonialismus ist mit einem Antisemitismus-Wisch einfach weg. Die deutsche "Tagesschau" schreibt auf ihrer Website über die Definition von Antisemitismus unter anderem: "Antisemitisch kann es zudem beispielsweise sein, wenn eine Fokussierung auf den Staat als jüdisches Kollektiv vorliegt." Israel dürfe etwa nicht als rassistisches Regime dämonisiert werden.
Diese Definition macht Kritik an Israel und seiner Politik unmöglich. Denn Israel bezeichnet sich ja selbst als "jüdischer Staat Israel". Die einzige Demokratie im Nahen Osten, wie es oft so schön heißt, behauptet also von sich, nur aus Mitgliedern einer Religionsgemeinschaft zu bestehen, was an sich schon jeder Bezeichnung einer Demokratie spottet. Und Handlungen des jüdischen Staates dürfen nicht als Handlungen des jüdischen Staates kritisiert werden, obwohl er sich als jüdischer Staat bezeichnet. Würden wir in einer verkehrten Welt leben, dann würde das bedeuten: Wenn ich bei einer Demonstration von einer Gruppe von Polizisten attackiert werde, dürfte ich nicht sagen, dass ich von Polizisten attackiert wurde, weil das polizistenfeindlich wäre. Klingt absurd? Das ist die Realität für Palästinenser und alle anderen, die die schreiende Ungerechtigkeit in Nahost nicht mehr ertragen können.
Antisemitismus bedeutete einmal die Herabwürdigung und Diskriminierung der Juden, einfach weil sie Juden sind. Das ist unter allen Umständen zu verurteilen. Aber wer sich dagegen wehrt, aus seinem Haus vertrieben zu werden, dass seine Kinder wegen eines Steinwurfes verhaftet werden, dass er sein Feld nicht mehr bearbeiten kann, weil jüdischen Siedlern das Land illegal zugesprochen wurde, dass er als alteingesessener Bürger in Jerusalem jährlich um die Verlängerung der "Aufenthaltsgenehmigung" betteln muss, der wird, wenn all diese Ungerechtigkeiten vom "jüdischen Staat Israel" kommen, auch weiterhin sagen, dass es der "jüdische Staat Israel" ist, der all das tut, ohne sich des Antisemitismus schuldig zu machen. Und wenn er dabei aus Wut eine Flagge dieses Staates verbrennt, dann hat das ebenfalls nichts mit Antisemitismus zu tun. Dann ist das ein Ausdruck von Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit, weil die Welt unbeteiligt zusieht, wie ihm noch der der letzte Fetzen von Menschenwürde vom Leib gerissen wird, nachdem der kleine Zipfel Hoffnung auf einen eigenen Staat wie ein morsches Seil zerfranst ist.