Ifes-Studie sieht gesteigerte Judenfeindlichkeit in migrantischen Communities.
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Wien. Antisemitismus ist in Österreich nach wie vor ein immanentes Problem - unter autochthonen Österreichern wie auch unter Österreichern mit Migrationshintergrund. Das ist das Ergebnis jener nun auch vollumfänglich vorliegenden Studie, die das Institut Ifes im Auftrag von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka durchgeführt hat.
Insgesamt 2700 Interviews wurden durchgeführt, per Telefon, online und persönlich. Die Ergebnisse waren in Grundzügen bereits vorab veröffentlicht worden: Antisemitismus unter den autochthonen Österreichern sei im Abnehmen begriffen, unter Österreichern mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund allerdings sei Antisemitismus in gesteigerter Form vorhanden. Beratend an Bord war auch das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW), am Freitag präsentierten aber die Ifes-Forscherin Eva Zeglovits, Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka und Studienkoordinator Thomas Stern die Ergebnisse.
Die Autoren der Studie erheben den Anspruch, die unterschiedlichen Dimensionen antisemitischer Einstellungen in Österreich analysiert und eine "bestehende Forschungslücke" geschlossen zu haben. Dennoch weist die Studie einen deutlichen Fokus auf das Thema muslimischer Antisemitismus auf.
Starke Verschwörungstheorien
So wurden eigens Interviews in Aufstockungsgruppen mit türkisch- und arabischsprachigen Personen durchgeführt. Bei diesen zeigt sich in zahlreichen Fragen eine gesteigerte Zustimmungsrate, vor allem im Vergleich zur Gruppe "Österreich repräsentativ", wie die Autoren betonen. Der Aussage "In den Berichten über Konzentrationslager und Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg wird vieles übertrieben dargestellt" stimmten zehn Prozent aus der "Österreich repräsentativ"-Gruppe, allerdings 35 Prozent der Arabisch-Sprechenden und sogar 41 Prozent der Türkisch-Sprechenden zu.
Aus den Ergebnissen leiten die Studienautoren einen Bedarf an weiteren Forschungsarbeiten ab - "um zu identifizieren, wie antisemitische Stereotype in diesen Gruppen kolportiert werden und in welchem Maß antisemitische Positionen unter den Flüchtlingen und Zuwanderern des Jahres 2015 vertreten sind".
In manchen Punkten aber wirken die Zahlen auch in der repräsentativen Österreich-Gruppe alarmierend: Der Aussage "Die Juden beherrschen die internationale Geschäftswelt" stimmen 39 Prozent aus dieser Gruppe zu, bei den Türkisch- bzw. Arabisch-Sprachigen sind es mit 63 bzw. 64 Prozent noch mehr. Auch beim sekundären Antisemitismus, also bei Holocaustleugnung, Relativierung und dem Motiv der Erinnerungsabwehr, weist die "Österreich repräsentativ"-Gruppe teils hohe Zustimmungswerte auf.
Bezüglich der nach wie vor bedenklichen Werte in dieser Gruppe - vor allem bei der verschwörungstheoretischen Annahmen - fordern die Autoren aber keine weiterführenden Untersuchungen.
Je älter, desto stärker ausgeprägt
Einen deutlichen Rückgang der antisemitischen Einstellungen im langjährigen historischen Vergleich allerdings ordnen sie als Ergebnis "der Aktivitäten von Bildungswesen und Medien zur historischen Aufarbeitung des Holocausts" ein, Belege führen sie dafür keine an.
Die Ergebnisse würden jedoch darauf hindeuten, "dass sich das Meinungsklima in der Antisemitismusfrage in Österreich nachhaltig zum Positiven verändert" habe. Einer "moralischen Verpflichtung, den Juden in Österreich beizustehen" stimmen heute 41 Prozent der Befragten zu, Ablehnung der Erinnerung an den Holocaust sank von 57 Prozent 1976 auf immerhin 37 Prozent 2018. Zum Teil bestätigt die Studie auch die bisher geltende Annahme, dass antisemitische Haltungen mit dem Alter der Befragten zunehmen.