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Antithese zur polnischen Regierung

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik
Robert Biedron ist nicht nur erfolgreich, er inszeniert sich auch geschickt.
© Archiv der Stadtverwaltung Slupsk

Er ist jung, schwul, weltoffen und atheistisch: Robert Biedron ist Bürgermeister von Slupsk und Ikone der Linken.


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Slupsk. Eines fällt auf, wenn man Robert Biedron begegnet. Es ist schwer, ihn nicht sofort zu mögen. Er ist charmant, höflich und erzählt gerne Anekdoten. "Ich habe das Porträt von Papst Johannes Paul II. abgehängt", sagt er. Hinter einer vertäfelten Tür hätten seine Vorgänger immer ihren Schnaps eingelagert - und im Büro auch hinuntergespült. "Ich wollte nicht, dass der Papst das alles mit ansehen muss." Die Spirituosen sind mittlerweile ohnehin weg, aber eben auch der Papst. Biedron lacht. "Und gehört der Papst nicht eher in die Kirche als in das Büro des Bürgermeisters?"

Biedron sitzt in seinem Kabinett und nippt vergnügt an seinem Kaffee. Der 41-Jährige mit dem grau melierten, struppig-gegelten Haar und dem schmal geschnittenen Anzug ist der erste offen schwule Bürgermeister Polens. Immer wieder huscht ein Bubenlachen über sein Gesicht, dann wird er wieder ernst. In erster Linie geht es hier natürlich um die Trennung von Kirche und Staat, sagt er. In Polen, das seit 2015 von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) rund um den mächtigen Parteichef und eifrigen Kirchgänger Jaroslaw Kaczynski regiert wird, ist das keine Selbstverständlichkeit. Sondern eine Ansage.

Eine Antithese zur aktuellen Regierung

Biedron steht eigentlich genau für das Gegenteil der Regierung in Warschau, gegen die die EU-Kommission zuletzt ein Sanktionsverfahren eingeleitet hat. Er ist jung, atheistisch und weltoffen. Tritt für Toleranz, die Rechte von schwulen und lesbischen Personen sowie Flüchtlinge ein. Als eine Lehrerin vor ihren Schülern gegen Flüchtlinge wetterte, lud er eine syrische Familie in die Schulklasse ein, damit sie über ihre Flucht erzählt. Seit die PiS die polnische Justiz umkrempelt, lässt Biedron in jeder Schule die Präambel der polnischen Verfassung aufhängen, "im Willen, Bürgerrechte immer zu achten", wie es in dem Schriftstück heißt.

Slupsk ist eine typische Kleinstadt in Pommern im Nordwesten Polens. 90.000 Einwohner, hübscher Rathausplatz, modernes Einkaufszentrum, Reste einer alten Stadtmauer. Bis 1945 war Slupsk, damals noch Stolp, eine deutsche Stadt. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten sich hier Polen und Ukrainer an. Pommern ist eingedeutscht von "po more", am Meer. Nur noch knapp 20 Kilometer sind es von Slupsk an die Ostseeküste. Die Nähe zum Meer habe den Kontakt zu Fremden stets gefördert, glaubt Biedron. "Slupsk ist eine Stadt der Migranten", sagt er. "Jeder ist von woanders hierher gekommen."

Während Polen zuletzt politisch nach rechts gerückt ist, hat Biedron die Stadt seit 2014 mit einem Mix aus linker Sozial- und grüner Umweltpolitik regiert. Er hat Bedürftige mit Sozialwohnungen versorgt, den Innenstadtverkehr reduziert und Zirkusse, die mit Tieren auftreten, aus der Stadt verbannt. Auf einem "roten Sofa" lädt er regelmäßig zu Bürgergesprächen. Um die hoch verschuldete Kommunalkasse zu schonen, fährt er mit dem Rad statt mit Dienstwagen zur Arbeit. Da Biedron, von einer Wien-Reise inspiriert, in der Adventszeit vor dem Rathaus eine Eislaufbahn aufbauen wollte, holte er eine polnische Supermarktkette als Sponsor an Bord. Dass die Kette "Biedronka" (zu deutsch: Marienkäferchen) nur leicht seinen Familiennamen variiert, dürfte dem Projekt wohl nicht abträglich gewesen sein.

Er erntet viel Lob, hat aber auch viel Hass erlebt

Seine Aktionen haben ihn weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt gemacht. Als "einen der interessantesten polnischen Politiker überhaupt" bezeichnete ihn unlängst Witold Gadomski, ein Journalist der liberalen "Gazeta Wyborcza". "Alle Parteien, die nicht fremdenfeindlich, nationalistisch oder engstirnig sind, sollten ihn eigentlich unterstützen." Derweil hat Biedron ein polenweites Netzwerk der "progressiven Bürgermeister" ins Leben gerufen. Die US-Zeitung "Politico" kürte ihn gar zur "polnischen Oppositions-Ikone".

Er bekam aber auch viel Gegenwind zu spüren. Biedron, geboren und aufgewachsen im erz-konservativen Karpatenvorland im Südosten Polens, ist studierter Politologe und wurde 2011 als Abgeordneter für die linksliberale Palikot-Bewegung in das Unterhaus, den Sejm, gewählt. Als geouteter Politiker schlug ihm viel Hass und Gewalt entgegen. Unbekannte haben ihn in Warschau auf offener Straße zusammen geschlagen. "Wenn die Menschen nicht direkt mit mir konfrontiert sind, dann haben sie auch keine Möglichkeit, ihre Einstellung gegenüber Homosexuellen zu überdenken", kommentierte das Biedron später in einem Interview.

Es ist gerade dieser beharrliche Stil des Dialogs, der Offenheit und sein entwaffnender Charme, mit dem Biedron punkten kann. "Eine Politik, die niemanden zurücklässt", zitiert Biedron, etwas schwärmerisch, sein Vorbild Hillary Clinton.

Ein Versäumnis, das er aber auch gerade der liberalen Bürgerplattform unter Donald Tusk, die Polen von 2007 bis 2015 regierte, vorwirft. "Tusk dachte wohl, dass es reicht, einfach quer durch das Land neue Flughäfen, Zugstrecken und Stadien zu bauen", sagt Biedron. Doch neue Infrastruktur alleine würde nicht genügen, um die polnische Gesellschaft zu modernisieren.

"Die polnische Politik ist derzeit wie eine Achterbahn"

Bei aller Kritik kann Biedron daher einem Punkt im PiS-Programm etwas abgewinnen. Zu lange hätten die Liberalen soziale Randgruppen buchstäblich links liegen gelassen. Dass PiS als erste Partei seit der Wende ein monatliches Kindergeld von 500 Zloty (knapp 120 Euro) ab dem zweiten Kind eingeführt hat, lobt Biedron. "Wir sehen, dass in Slupsk wieder mehr Schüler an Exkursionen teilnehmen als früher", sagt er. "Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie wieder Würde besitzen."

Von draußen dröhnt Handwerkslärm heran, die neogotische Backsteinfassade des Rathauses wird gerade erneuert. Wie die Stadtpolitik, die Biedron umbauen will. Oder gleich ganz Polen?

Dass Biedron für einen dritten Weg plädiert, abseits der beiden verfeindeten politischen Lager, hat schon Spekulationen über seine weiteren Ambitionen befeuert. Polnische Kommentatoren handeln ihn bereits für weit höhere Weihen wie etwa für die Präsidentschaftswahlen 2020. Er winkt ab. Heuer finden in Polen Kommunalwahlen statt, Biedron will wieder antreten. "Mein Platz ist hier, es gibt genug zu tun." Nachsatz: "Aber die polnische Politik ist derzeit wie eine Achterbahn. Wir wissen nicht, was morgen kommt. Sag niemals nie."