Erich Fenninger und Usnija Buligovic von der Volkshilfe Österreich über die Situation der Roma und Sinti in Wien und Europa.
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Wien. 15 Roma wurden in einer slowakischen Siedlung im Dorf Vrbnica bei einem Polizeieinsatz verletzt. Dies passierte wenige Tage vor dem "Internationalen Roma Tag" am Mittwoch, 8. April. Der Geschäftsführer der "Volkshilfe", Erich Fenninger, und Projektleiterin Usnija Buligovic erzählen über die Bedeutung des Gendenktages und legen ihre Einschätzung zur Situation der Roma in Wien dar.
"Wiener Zeitung": Passend zum "Internationalen Roma Tag" die Frage: Wie geht es den Roma allgemein?Erich Fenninger: Roma sind in allen europäischen Ländern überproportional von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen. Das spiegelt sich in niedrigen Bildungsabschlüssen, geringem Einkommen, Arbeitslosigkeit, schlechter Gesundheit und Wohnqualität wider. Obwohl die Lage der Roma bekannt ist, hat sie sich in den vergangenen Jahren nicht wirklich verbessert. Offene rassistische Diskriminierungen haben sogar zugenommen. Obwohl die Situation in Österreich, anders als in Nachbarländern, weniger durch soziale Ausgrenzung und Verfolgung geprägt ist, sind auch hierzulande Übergriffe auf Personen aus der Roma-Community zu beklagen. Da muss man sich nur den Antiziganismus-Bericht des Romano Centro zu Gemüte führen.
Usnija Buligovic: Wir sehen aber auch, dass in Wien in den vergangenen beiden Jahren ein Änderungsprozess im Gange ist. Wir haben mehr Roma aus anderen EU-Ländern. Die Anzahl ist schwer zu bestimmen, aber geschätzt befinden sich 120.000 Roma in Wien; die Hälfte davon stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien. Zu den autochthonen Roma kommen noch jene aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Tschechien und der Slowakei hinzu. Spannend ist, dass es einen Generationswechsel gibt. Immer mehr Roma "outen" sich auch als Roma, was vor ein paar Jahren nicht der Fall war. Die Struktur verändert sich. Dabei ist es umso wichtiger, da ja Österreich der europäischen Strategie zur Inklusion der Roma beigetreten ist, weiter an einer eigenen Integrationsstrategie zu arbeiten.
Inwiefern ist das in Österreich nötig?Buligovic: Der Antiziganismus-Bericht hat bestätigt, was man gewusst oder vermutet hat. Die Diskriminierung ist immer noch vorhanden. Es herrschen Vorurteile und Klischees im Alltag in allen Bereichen - beim Wohnen, bei der Bildung, der Gesundheit und am Arbeitsmarkt.
Fenninger: Auch die stereotype Darstellung in den Medien sowie physische Übergriffe reihen sich ein. Laut dem Bericht sind aber das Internet und Onlineplattformen zentrale Orte der Hetze. Die Tatsache, dass offene rassistische Diskriminierungen zunehmen, ist wirklich tragisch.
Soll Antiziganismus unter Strafe gestellt werden?Buligovic: Das sollte man auf jeden Fall tun. Besonders in den Ländern, in denen man historisch einen negativen Kontext hat. Europaweit erstarkt der Rechtsextremismus. Das hat natürlich auch mit der Wirtschaftskrise zu tun. Und die ersten Opfer sind dann die, die am schwächsten sind.
Fenninger: Auch ich bin absolut dafür. Diese Diskussion wird in Deutschland schon recht ausführlich geführt. Eine Strafe für Antiziganismus ist die Chance für eine breite Debatte, die es in Österreich dringend braucht.
Gibt es Bereiche, in denen die Roma-Herkunft keine Rolle spielt?Buligovic: Wir erleben und hören oft, dass Roma in Wien noch nie Probleme gehabt hätten. Falls doch, dann aufgrund von Diskriminierungserfahrungen aufgrund ihres Migrationshintergrundes und nicht der Roma-Zugehörigkeit wegen. Andere wiederum sagen, dass es in Wien unwichtig wäre, ob sie Roma sind. Erstens würde sie keiner erkennen und zweitens zählten in der Arbeitswelt bloß Leistung und das Ergebnis. Man darf dabei aber nicht außer Acht lassen, dass es eine über Jahrhunderte dauernde Diskriminierung war, deren Konsequenzen heute noch spürbar sind.
Fenninger: Roma werden am Arbeitsplatz in vielen Fällen nicht offen diskriminiert. Das ist dann auch schwer nachweisbar. In vielen traditionellen Bereichen wie Kultur und Musik dagegen klappt die Inklusion besser, da gibt es einen regen Austausch.
Progressiven Roma ist die Bedeutung des Internationalen Roma Tages klar. Erreicht dessen Bedeutung aber auch jene aus den sogenannten bildungsfernen Schichten?Fenninger: Das ethnische Bewusstsein der Roma in Österreich ist in den vergangenen zehn Jahren merkbar angestiegen. Der Gedenktag am 8. April hat für die meisten Roma, unabhängig vom Bildungsniveau, tatsächlich eine große Bedeutung.
Buligovic: Vor zehn Jahren gab es kaum Veranstaltungen seitens der Community. Nun merkt man ein neues Selbstbewusstsein.
Wie groß ist das Selbstbewusstsein und das Interesse der Roma, sich gegen Diskriminierung zu stellen?Buligovic: Natürlich sind sie der Meinung, man sollte etwas gegen die Diskriminierung tun. Auf der anderen Seite ist es verständlich, dass sie auch Angst haben. Blickt man ein wenig in der Geschichte zurück, wird es klar, warum sie sich fürchten. Viele sind nach Österreich und insbesondere nach Wien gekommen sind, um hier "nicht sichtbar" zu sein und die Roma-Identität nicht im Vordergrund zu haben.
Fenninger: Spürbar ist aber, dass trotz dieser Angst immer mehr junge und engagierte Menschen immer weniger Verständnis für strukturelle Benachteiligungen aufbringen. Als größte Minderheit in Europa, die keine Lobby hat, brauchen Roma viel Unterstützung auf diesem Weg.
Laut Antiziganismus-Report häufen sich die Meldungen, dass Roma von Staatsorganen, wie der Polizei, psychisch und physisch gedemütigt werden. Bei 250 Anzeigen gegen die Polizei gab es im Vorjahr keine einzige Verurteilung. Macht es da Sinn, sich zu wehren?Fenninger: Es gibt Opferberatungsstellen, dort kann man sich Unterstützung holen. Ich denke, es hat in jedem Fall Sinn, denn Schweigen hat Missstände noch nie beseitigt.
Woran scheitern Anti-Diskriminierungskampagnen?Buligovic: Wenn wir von Integration reden, spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Konkret: Man stelle sich eine Familie mit zwei Kindern vor. Die Eltern haben keine oder eine niedrige Ausbildung. Sie arbeiten für einen Lohn von 1000 Euro. Diese Eltern haben keinen Überblick darüber, was ihre Kinder den ganzen Tag so machen. Sie kennen sich mit dem österreichischen Schulsystem wenig aus. Das führt dazu, dass ihre Kinder zu Schulabbrechern werden. Als Migrant, der aus einer armen Umgebung kommt, ist man dem Kapitalismus hier ausgeliefert. Da bleibt keine Zeit für weiterführende Kurse oder Zusatzqualifikationen.
Oder die Sprache?Buligovic: Die meisten Migranten haben sich überhaupt keine Gedanken gemacht, was das alles wirklich bedeutet. Erst hier mussten sie sich mit den Fragen auseinandersetzen: Warum unterscheide ich mich von anderen? Was mache ich falsch?
Wie sehen zukünftige Maßnahmen aus?Fenninger: Für uns ist vor allem die Sensibilisierungsarbeit ein geeignetes Instrument, um dem Antiziganismus entgegenzuwirken. Die Initiative Thara der Volkshilfe hat sich zum Ziel gesetzt, den existierenden Ungleichheiten und Benachteiligungen gegenüber Roma und Sinti entgegenzuwirken. Wir fördern mit einer Reihe von arbeitsmarktpolitischen Projekten die Integration. Es ist aber noch viel zu tun.
Buligovic: Gerade am Arbeitsmarkt ist der Zugang schwerer geworden. Firmen akzeptieren verstärkt nur noch Onlinebewerbungen. Ein Roma, der nur einen Pflichtschulabschluss hat, erfährt allein bei der Erstellung eines Bewerbungsschreibens Schwierigkeiten. Viele haben keinen PC, da er zu viel kostet.
Bei all der Integrationsarbeit auf der einen und dem wachsenden Rassismus auf der anderen Seite, wie lässt sich das allgemeine Gefühl beschreiben?Buligovic:Gut und schlecht. Ich sehe mit Freude die jüngere Generation, die Akademiker unter den Roma und jene mit einer erfolgreichen Karriere. Sie sind politisch, kritisch und setzen sich ehrenamtlich fürs eigene Volk ein. Dann gibt es aber europaweit diesen wachsenden Hass und die Hetze gegen Roma. Ich erinnere mich immer an die Worte der Schriftstellerin Ceija Stojka, als sie sagte: "Das, was wir im Zweiten Weltkrieg erlebt haben, kann wirklich über Nacht immer wiederkehren." Auf dieser Ebene sind die Angst und die negative Prognose stets da, denn wer weiß, wie Europa in zehn Jahren aussieht.
Wie weit ist Wien von einem zukünftigen Roma-Politiker entfernt?Buligovic: Irgendjemand muss irgendwann einmal das Fundament dafür legen. Jemand aus der Community muss mit dem politischen Engagement anfangen. Solange es diese Person nicht gibt, wird die nächsten 50 Jahre nichts passieren. Sobald es allerdings anfängt, kann es sehr schnell positiv nach vorne gehen. In Wien, in ganz Österreich ist diese Zeit gekommen. Es gilt, erste Schritte zu setzen.
Beim "Internationalen Roma Tag" wird des Londoner Roma-Treffens im Jahr 1971 gedacht, bei dem die Flagge der Roma-Gemeinschaft und die Nationalhymne "Djelem, djelem" eingeführt worden sind. Zudem wird an die von Nazis und Faschisten ermordeten 500.000 Roma erinnert. Der Text der Hymne selbst beschreibt die Vertreibung und Ermordung der Roma durch die kroatische "Schwarze Legion", eine Eliteeinheit der faschistischen Ustascha-Bewegung.
Während am 10. April in Linz im "Central" und am 11. April in Oberwart ("Offenes Haus Oberwart") Veranstaltungen zum Thema stattfinden werden, wird am 8. April in Wien im Stephansdom ein "Roma und Sinti Abend im Dom" gefeiert. Muttersprachen-Lehrerin Rabie Peric wird mit Schülern der Kröllgasse, der Volksschulen Johnstraße und Selzergasse sowie der Privatschule Alxingergasse auftreten und ein Theaterstück aufführen. Bei den Feierlichkeiten, die um 19 Uhr beginnen, werden Kinder vorlesen, Tanzgruppen auftreten und Gedichte von Peric selbst und von Ceija Stojka rezitiert werden.
Nationalratspräsidentin Doris Bures und Bundesminister Josef Ostermayer laden am Dienstag, 7. April, um 17.30 Uhr zu einem Diskussionsabend ins Parlament ein. Die Podiumsgäste sind der Leiter des Dokumentationsarchives des Österreichischen Widerstandes, Gerhard Baumgartner, die Geschäftsführerin des Romano Centro, Andrea Härle, der Obmann des Kulturvereins österreichischer Roma, Rudolf Sarközi, und die Roma-Aktivistin Irina Spataru.