Die "Dunkle Energie" ist den Wissenschaftern noch nicht sehr genau bekannt, aber sie könnte eines fernen Tages das Schicksal des Universums besiegeln.
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"Lassen Sie die Energien der Straße draußen, wenn Sie diesen Raum betreten!": Vor allem Esoteriker verwenden den Energiebegriff heute inflationär. Esoterische "Energien" entziehen sich gern der objektiven Messbarkeit, immunisieren sich so gegen die sofortige Enttarnung als Hokuspokus. Mittlerweile spekulieren aber selbst Astronomen mit einer Energieform, die etwas okkult anmutet. Diese "Dunkle Energie" soll sogar die größte Himmelsmacht überhaupt darstellen - die Liebe freilich ausgenommen.
Lange Zeit liebäugelten Wissenschafter mit einem statischen, unveränderlichen Universum; auch Albert Einstein. Damit dieser Kosmos nicht wegen der darin versammelten Massen in sich zusammenstürzte, führte Einstein 1917 einen abstoßend wirkenden Term in die Feldgleichungen ein: Seine Kosmologische Konstante wirkte gleichsam wie eine "negative Gravitation" und rettete so die Statik des Universums.
Standardkerzen
Wir verteilen gleichartige Kerzen und lassen unsere Freunde damit in stockdunkler Nacht ausschwärmen. An der scheinbaren Helligkeit der Flammen erkennen wir unschwer, wie weit die einzelnen Kerzenträger schon von uns entfernt sind; das klappt, weil die Kerzen in Wahrheit gleiche Leuchtkraft besitzen. 1924 setzte der US-Astronom Edwin Hubble einen bestimmten Sternentyp, die Cepheiden, auf ähnliche Weise ein - als kosmische Standardkerzen. Damit bestimmte er erstmals die Entfernungen anderer Milchstraßen.
1929 verglich Hubble diese Distanzen mit den Rotverschiebungen in den Galaxienspektren, die ja Geschwindigkeiten anzeigen. Dabei wurde klar: Die Galaxien scheinen vor uns, aber auch voreinander zu fliehen. Sie verhalten sich wie die Rosinen in einem Teig, der dank des Treibmittels Germ "aufgeht". Tatsächlich expandiert der Raum zwischen den kosmischen Rosinen, also den Milchstraßen, unaufhörlich.
Die Lichtwellen der Galaxien werden auf dem Weg zu uns deshalb gedehnt; die dunklen Linien im Spektrum rücken gegen Rot. Der Effekt wächst mit dem Erdabstand: Daher setzt man die Rotverschiebung gern zur Distanzabschätzung ein, obwohl sie streng genommen das Tempo der kosmischen Expansion misst.
Nach Hubbles Fund war Einstein klar, dass sich das Universum ausdehnt. Er brauchte sich fortan keine Sorgen mehr um dessen Gleichgewicht zu machen und verwarf seine Kosmologische Konstante wieder. Ja, er nannte sie sogar die "größte Eselei" seines Lebens.
Seit dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren wächst das Universum unaufhörlich. Pro Sekunde dehnt es sich heute um etwa 70 Kilometer aus. Doch halt: Eigentlich müssten alle Galaxien, vereinfacht gesagt, die Expansion mit ihrer gegenseitigen Anziehungskraft behindern und verlangsamen - so als spannte man ein Gummiband zwischen den Fingern. Im Extremfall brächte die Gesamtmasse des Kosmos dessen Ausdehnung womöglich gar zum Stillstand; das Universum könnte anschließend wieder schrumpfen und in einem "verkehrten Urknall" enden.
Um die Rate der mutmaßlichen Abbremsung zu bestimmen, wollten Astronomen die Distanzen und Geschwindigkeiten besonders weit entfernter Galaxien messen. Hubbles Cepheiden reichten dazu nicht; sie lassen sich nämlich nur bis in einen Abstand von hundert Millionen Lichtjahren erspähen. Also bediente man sich noch kräftigerer Standardkerzen, suchte nach flüchtigen 1a-Supernovae. Der gängigsten Theorie zufolge zerreißt es dabei jeweils einen erdgroßen Weißen Zwergstern, weil er von seiner Partnersonne mit Gas überfüttert wurde.
Die Katastrophe ereilt den Empfänger, sobald er 1,4 Sonnenmassen "wiegt". Dann nämlich zündet sein Kohlenstoff schlagartig und zerfetzt ihn. Der Weiße Zwerg blitzt im Todeskampf ein paar Wochen lang kolossal auf, rittert mit dem Glanz von vier Milliarden Sonnen. Da der Exitus stets mit derselben Masse eintritt, entwickeln alle 1a-Supernovae die gleiche Leuchtkraft. Entsprechend leicht fällt es, ihre Distanz zu bestimmen.
Großteleskope
Leider erstrahlt eine Supernova nur ein oder zweimal pro Jahrhundert in einer bestimmten Milchstraße. Also musterten zwei Forscherteams eine möglichst hohe Zahl ferner Galaxien, unter anderem mit den Großteleskopen der europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile. 42 Sternexplosionen gingen ihnen zunächst ins Netz. Beim Blick hinaus ins All schauten sie auch immer weiter zurück in die Vergangenheit. Mit ihren neuen Beobachtungen ließ sich das Verhältnis zwischen Distanz und kosmischer Geschwindigkeit also in unterschiedlichen Epochen überprüfen.
Und siehe da: Statt der erwarteten Abbremsung registrierte man eine Beschleunigung der Expan-sion. Der Umschwung trat vor vier bis sechs Milliarden Jahren ein - als die Materie bereits so großräumig verteilt war, dass sie ihre gegenseitige Anziehungskraft nicht mehr stark spürte.
Für diese Entdeckung erhielten drei leitende Mitarbeiter der beiden Supernova-Fahndungsteams im Vorjahr den Physiknobelpreis: Saul Perlmutter, Brian Schmidt und Adam Riess. Ein anderer US-Astronom, Michael Turner, kreierte für jenes Treibmittel, das den Kosmos immer rascher expandieren lässt, den Begriff "Dunkle Energie".
Erklärungsversuche
Das Tempo der kosmischen Ausdehnung beschleunigt man nicht im Vorübergehen. Die Dunkle Energie muss deshalb ungemein kräftig sein. Machte man Inventur im Kosmos, entfielen mehr als 70 Prozent auf sie. Mittlerweile sind zwar die 1a-Supernovae als verlässliche Standardkerzen ein wenig in Verruf geraten, doch haben Kosmologen dafür andere Standardmaßstäbe entdeckt.
Nur wenige Skeptiker versuchen heute noch, ohne Dunkle Energie auszukommen. Vielleicht, so werfen sie ein, besitzt die uns vertraute Anziehungskraft über extrem große Distanzen eine abstoßende Wirkung: In diesem Fall bräuchte man "bloß" Einsteins Relativitätstheorie zu verbessern. Nach einer anderen Hypothese lebten wir im Zentrum einer riesigen kosmischen Blase, in der die Materiedichte nur halb so hoch sein soll wie anderenorts. Deshalb würde die Expansion darin rascher ablaufen und uns die allgemeine kosmische Beschleunigung bloß vortäuschen. Der Germteig ginge rund um unsere eigene Rosine also einfach schneller auf als sonst wo; die Dunkle Energie wäre dann eine Fata Morgana.
Konstant oder variabel?
Die meisten Forscher glauben aber nicht an ein Trugbild. Für sie ist die Dunkle Energie real, auch wenn sie über deren Natur und Eigenschaften einstweilen nur spekulieren können. Erklärungsversuche kommen aus der Quantenmechanik und entziehen sich somit dem Hausverstand. Dort ist nämlich selbst ein Raum ohne jede Materie, also ein perfektes Vakuum, nicht einfach "Nichts". Vielmehr entstehen darin Paare virtueller Teilchen, die sich Energie vom Vakuum borgen, einander gegenseitig wieder auslöschen und dabei die Leihgabe retournieren.
Entsprechend fluktuiert die Energie des leeren Raums. Auf kleinsten Skalen sind die Folgen tatsächlich messbar. Rechnet man davon aufs Universum hoch, ergeben sich jedoch absurde Werte. Die Vakuumfluktuationen müssten sich durch einen unbekannten Mechanismus bis auf einen "winzigen" Rest wieder aufheben; erst danach ließe sich die Vakuumenergie als "Dunkle Energie" feiern. Sie wäre dann eine dem leeren Raum innewohnende Kraft, die sich wie Einsteins Kosmologische Konstante verhielte: Pro Raumeinheit unveränderlich, wüchse ihre Wirkung in jenem Maß, in dem auch der Raum an Größe gewinnt.
In ferner Zukunft gähnten dann immer dramatischere Abstände zwischen den Galaxienhaufen, die einander irgendwann aus dem Blick verlören. Sind alle Sterne dereinst verloschen, bliebe ein kaltes, völlig dunkles Universum zurück, das sich weiter ausdehnt und ausdehnt.
Eine kleinere Gruppe von Theoretikern favorisiert hingegen das Modell der "Quintessenz": Der Begriff erinnert an den alten griechischen Philosophen Aristoteles, für den die Himmelskörper aus einem idealen und unvergänglichen "fünften Element" bestanden. Diese alte Bezeichnung scheint schlecht gewählt zu sein: Denn in diesem Szenarium verhält sich die Dunkle Energie eben nicht wie eine unveränderliche Größe, sondern variiert im Lauf der Zeit. Und das kann üble Folgen haben!
Ins Unermessliche
Im Germteig vergrößert das Treibmittel zwar den Abstand der Rosinen, die Früchte selbst wachsen aber nicht mit. Auch die Dunkle Energie verleiht derweil nur dem Raum zusätzliche Fülle, nicht aber dessen Objekten. Wenn der eigene Bauchumfang anschwillt, darf man sich also nicht auf Dunkle Energie ausreden.
Auch die Galaxien werden durch die kosmische Expansion nicht gedehnt; Gravitation hält deren Sterne beisammen. Sollte die Dunkle Energie aber dem Modell der Quintessenz folgen, könnte sie ins Unermessliche anschwellen.
Im Extremfall risse die Beschleunigung der kosmischen Expansion dann doch noch die Sterne aus den Milchstraßen, die Planeten aus dem Sonnensystem und endlich auch die Atome aus den Molekülen. Bis dahin blieben allerdings noch Dutzende Milliarden Jahre Zeit. Man darf die Notfalltropfen einstweilen im Schrank lassen.
Um mehr über das Wesen der Dunklen Energie zur erfahren, wollen Forscher in Zukunft noch zahlreiche weitere Supernovae aufstöbern und die Verteilung von möglichst vielen Milchstraßen im Raum kartieren. Spannend wäre es auch, dieselben Galaxien immer wieder anzuvisieren und sich deren langsam vergrößernde Rotverschiebung anzuschauen: Pro Jahrzehnt sollte das kosmische Expansionstempo nämlich um knapp 0,4 km/h ansteigen.
Für derartige Präzisionsmessungen bedarf es allerdings gut zehnmal besserer Spektralgeräte, als sie heute im Einsatz stehen. Mit dem im Bau befindlichen Rekordteleskop der ESO, das eine Weite von 39 Metern hat, könnten sie aber gelingen.
Christian Pinter geboren 1959, ist Fachjournalist für astronomische Themen und schreibt regelmäßig im "extra". Im Wiener Verlag Kremayr & Scheriau erschien sein Buch "Helden des Himmels. Geschichten vom Kosmos und seinen Entdeckern". Website