Der Rechtsberater über Menschlichkeit, Feindbilder und den täglichen Kampf gegen Windmühlen.
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Wien. Es herrscht Hochbetrieb im MigrantInnenverein St. Marx. Die Beratungsstelle für Asylwerber liegt verwinkelt im Hof eines Gemeindebaus im 9. Bezirk. Etwa ein Dutzend Männer und Frauen, die sich über Ordner und Dokumente beugen und angeregt mit ihren Beratern unterhalten. In den Regalen stapeln sich Akten, die das Leben von mehreren tausend Menschen dokumentieren. Tim Außerhuber hat 2004 als Quereinsteiger in der Beratungsstelle begonnen. Zehn Jahre, in denen der Rechtsberater Flüchtlinge in Traiskirchen oder in der Schubhaft besucht und die letzten rechtlichen Versuche für ein Bleiberecht unternommen hat. "Wir sind eine Art Endstation für Leute, die niemand mehr aufnimmt, die ‚ausgequetschten Fälle‘", wie sie der Vereinsgründer und Anwalt Lennart Binder nennt.
Aussagen grundsätzlich "unglaubwürdig"
Der Vollzeitjob, der lediglich ein Teilzeiteinkommen ausspuckt, sei "anders als jeder andere Beruf", sagt Außerhuber. Man gehe täglich spätabends mit Aktenbergen nach Hause und bekomme frühmorgens Anrufe von verängstigten Familien, die einen negativen Bescheid erhalten haben. Zu den größten Herausforderungen in der Rechtsberatung zählt es, Beamten von den vorgebrachten Gründen für eine Aufenthaltsgenehmigung zu überzeugen, die meist als "nicht real und unglaubwürdig" eingestuft werden. Etwa die Verfolgung als Minderheit und daraus entstehende Lebensgefahr im Herkunftsland.
"Man geht grundsätzlich davon aus, dass die Aussagen der Asylwerber gelogen sind. Man versucht, die Menschen zu verunsichern. Es ist zu einem psychologischen Spiel in der Einvernahme geworden. Ein Beispiel: Wieso machen Sie einen Deutschkurs, wenn Sie nicht wissen, ob Sie hier bleiben? Oder man fragt, warum noch kein Deutschkurs besucht wurde. Es gleicht einem Kampf gegen Windmühlen."
Außerhuber kritisiert auch rechtswidriges Vorgehen der Behörden, wenn er als Rechtsberater von der bevorstehenden Abschiebung seines Klienten nicht informiert oder nicht mehr rechtzeitig zur Beratung zugelassen wird. Diese Ordnungswidrigkeiten haben weitreichende Folgen. "Morgen ist es der Sozialhilfeempfänger, der nicht zu seinem Recht kommt. Ich glaube, wenn man den Schwächsten der Gesellschaft Rechte verweigert, ist die Rechtssicherheit von anderen Bürgern auch in Gefahr", warnt er.
Für Asylwerber gebe es "im Prinzip keine Rechtssicherheit, man kann nie voraussagen, wie ihre Chancen auf Asyl stehen". Es hänge von der Willkür des Richters ab, ob er Experten hinzugezogen und Gutachten erstellt habe. Fehlen diese Belege, "dann ist klar, dass sich ein Richter auf allgemeine Länderberichte verlassen und sich nicht mit Einzelschicksalen oder der Situation besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge auseinandergesetzt hat".
98 von 100 Anträgen werden abgelehnt
Die Resistenz gegen Ablehnungen haben alle sieben Mitarbeiter des MigrantInnenvereins St. Marx gemeinsam. "Ein Kollege sagte einmal: Der Verfassungsgerichtshof glaubt, wir sind blöd. Weil von 100 Anträgen 98 abgelehnt werden. Aber wir glauben alle an die Sinnhaftigkeit unserer Arbeit", so Außerhuber. Er und seine Mitstreiter sind hartnäckig, gewissenhaft und haben sich ein gewisses Standing erarbeitet. Durch die ständige Präsenz, den "Kampf vor Ort" und den Respekt bei den Beamten sehen sie sich auch als eine Art Machtfaktor. "Sie wissen, dass wir nicht tricksen und keine unredlichen Mittel anwenden."
Dennoch müsse man sich die Zusammenarbeit mit den Behörden "typisch österreichisch" vorstellen: Man treffe lösungsorientierte Beamten, rede über Fußball und das Wetter. Mit anderen Referenten entwickle sich eine regelrechte Feindschaft. "Es ist ein sehr seltsames Berufsbild. Mit Höflichkeit kommt man nicht weit, einmal pro Woche wird es richtig laut, wenn man auf die Rechte der Asylwerber pochen muss."
Und Außerhuber zitiert ein inoffizielles Sprichwort: "Mit den Leuten vom MigrantInnenverein ist man nicht per du. Uns darf niemand mögen, wir sind ein Feindbild. Und wenn ich über einen Referenten sagen würde, er ist nett und menschlich, wäre das ein Riesenproblem für ihn."
Raum für Humanität und Empathie gibt es nicht
Es fehlt auch an Raum für Humanität und Empathie für die Mitarbeiter, da "die in Traiskirchen nur dafür da sind, negative Bescheide zu erlassen". Sie handeln auf Unterweisung von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Dass nicht jeder Akt auf deren Tisch landet, ist klar. "Aber die Innenministerin weiß, dass Asylanträge abzulehnen sind. Deswegen ist sie im Amt."
Außerhuber setzt sein Vertrauen in die am 1. Jänner in Kraft getretene Verwaltungsreform durch die Schaffung der Bundesämter für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sowie das Bundesverwaltungsgericht als Berufungsinstanz. "Mit dem neuen Gericht haben die Asylrichter wieder einen effektiven Chef, den Verwaltungsgerichtshof, und sie bekommen administrativ-gesetzliche Verwaltungs- und Berufungsakte dazu. Ich hoffe, dass sich die Effektivität der Asylverfahren und der Rechtsmittel wieder bessert."
Einige Kollegen befürchten, dass das Bundesverwaltungsgericht zu einem reinem Überprüfungsgericht verkommen werde. Dazu meint Außerhuber: "Vielleicht bin ich blauäugiger."