"Ich bin für die Reformen." Der slowakische Regierungschef Miklas Dzurinda schätzt Tony Blairs Vision einer EU, die stärker auf Wettbewerb setzt. Kein Wunder: Dzurinda hat in seinem Land die Steuersätze auf 19 Prozent gesenkt, soziale Leistungen stark reduziert - und ist damit erfolgreich. Blair kann nicht nur in Preßburg auf Wohlwollen hoffen, auch in Warschau, Prag oder Budapest zeigen die Politiker Sympathien für seine Vorschläge.
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Nach Jahren harter Reformen steht den acht neuen EU-Staaten das britische System näher als das deutsche oder französische Sozialstaats-Modell. Die Einigkeit mit London beim Irak-Krieg und die Öffnung des britischen Arbeitsmarktes für osteuropäische Arbeitnehmer tun das Ihre für die Zuneigung der Neuen zu London.
"Ich mag diese Vision sehr", sagt auch Polens Außenminister Adam Rotfeld zu Blairs Vorschlägen. "Europa braucht heute einen frischen Blick auf sich selbst und muss sich besser den Herausforderungen der Gegenwart anpassen." Mit einer kleinen Einschränkung: Polen dürfe auch nach einer Reform nicht weniger Hilfen aus Brüssel erhalten.
Blair fordert im Kern, dass künftig weniger Geld aus dem EU-Budget in die Landwirtschaft fließen soll. Die Milliarden sollen für Kleinbetriebe, für Bildung und moderne Spitzentechnologie zur Verfügung stehen. Blair spricht sich außerdem für weniger starre Regeln auf dem Arbeitsmarkt und weniger staatliche Steuerung aus - eine Politik, die den neuen EU-Mitgliedern vertraut ist.
In den vergangenen 15 Jahren haben die ehemals kommunistischen Länder ihre Wirtschaft privatisiert, den Arbeitsmarkt dereguliert, Renten- und Steuersystem reformiert. Die Lebensbedingungen zwischen Tallinn und Laibach sind immer noch hart, der monatliche Durchschnittslohn liegt bei etwa 500 Euro. Aber die Reformen werden von einer Mehrheit der Menschen gutgeheißen. Die wahrscheinlichen Wechsel zu konservativen Regierungen bei den Wahlen in Polen im Herbst und in Tschechien Mitte nächsten Jahres dürften den liberalen Trend weiter verstärken.
Die Zuneigung zu London hat aber auch Grenzen. Blair wird im Osten etwa übel genommen, dass er mit seiner Blockade-Haltung im Finanzstreit die EU politisch geschwächt habe. So machten die Neuen beim EU-Gipfel einen überraschenden Vorschlag: Sie würden in Zukunft mit weniger EU-Beihilfen zufrieden sein, wenn die Gemeinschaft sich nur auf ein neues Budget einige und so handlungsfähig bleibe. "Die neuen EU-Länder halten das Geld aus der EU-Kasse natürlich weiter für nützlich", sagte der tschechische Politologe Jiri Pehe. "Aber wichtiger ist ihnen, dass sie Teil eines starken und geeinten Europas sind."
Doch Blairs harter Verhandlungskurs wird kaum etwas daran ändern, dass sich die EU-Neulinge den Briten weiter verbunden fühlen. Das Image Deutschlands und Frankreichs hat sich dagegen in den vergangenen Jahren verschlechtert. Das Eintreten von Paris und Berlin für soziale Standards in Europa wird im Osten oft als Egoismus angesehen - und als Weigerung, mit den Neuen teilen zu wollen. Seit ihrem Beitritt im Mai vergangenen Jahres wurden die neuen Länder in Berlin und vor allem in Paris wegen ihrer Niedrig-Steuersätze kritisiert. Die Abschottung des Arbeitsmarkts der alten EU-Länder für die ersten Jahre nach der Erweiterung gilt ihnen ebenfalls als Egoismus-Beweis. London indes hat seinen Arbeitsmarkt geöffnet: Rund 175.000 Menschen aus Osteuropa arbeiten heute in Großbritannien.