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Selbsternannte Volkstribunin steht für Asylpolitik ohne Kompromisse. | Laut Umfragen auf Platz zwei. | Heerhugowaard. Plötzlich steht sie da. Entschlossener Gesichtsausdruck, schwarzes Kostüm, rote Krücke. Gespannte Erwartung liegt zwischen dem tiefen Teppich und den schweren Kronleuchtern, als Rita Verdonk in die Mitte des Saales humpelt und zum Mikrofon greift. Sie braucht nur einen Satz, um die Sache für sich zu entscheiden. "Wir machen uns einen gezelligen Abend", kündigt sie an. Zustimmendes Nicken und befreites Lächeln allenthalben: gezellig ist das niederländische Pendant zu gemütlich. Darin schwingt Nestwärme mit, Vertrautheit, Konsens. Das Gegenteil zur Politik, denn dort, da sind sich die meisten sicher, findet man diese Werte nicht mehr.
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Volkstribunin
Eine ganze Schar zorniger Volkstribune ist in den letzten Jahren ausgezogen, den Kampf gegen das politische Establishment aufzunehmen, darunter der 2002 ermordete Pim Fortuyn. Rita Verdonk ist aber seit langem deren aussichtsreichste Vertreterin. Im Herbst war ihr von ihrer früheren Partei, der rechtsliberalen VVD, die Tür gewiesen worden, nachdem die chronische Rebellin mal wieder einen Richtungsstreit vom Zaun gebrochen hatte. Eine Weile war es still um sie, ehe sie im April all denen Frühlingsgefühle verschaffte, die sich nach deutlichen Worten und schnellen Lösungen sehnen, garniert mit ein bisschen nationalistischer Folklore: "Trots Op Nederland" (Stolz auf die Niederlande) heißt ihre neue Mission. Bei ihrer Bewegung könne jeder mitmachen und auf den Foren ihrer Website Vorschläge einreichen. "Politiek 2.0" nennt sie das. Laut Umfragen steht ihre Bewegung bereits auf Platz zwei.
In Heerhugowaard, einem Nest zwischen Nordsee und Ijsselmeer, sind rund 200 Menschen zusammen gekommen, um Verdonk auf ihrer Frühjahrstournee zu erleben: Verdonk bietet Mitgefühl, Härte und Verbindlichkeit. Verdonk erzählt Anekdoten über den wuchernden Bürokratiedschungel, über ein Bild mit nackten Frauen, das auf Wunsch von Muslimen aus einem Gemeindehaus entfernt wurde, und von der Verhaftung eines politisch unkorrekten Karikaturisten - "und das in den Niederlanden, meine Damen und Herren!" Verdonk hat keine neuen Inhalte, aber die hemdsärmelige Glaubwürdigkeit desjenigen, der in der Kantine die Welt erklärt. Unermüdlich wackelt sie zwischen ihrem Publikum hin und her, Mikrofon in der linken Hand, die Krücke rechts, gibt die Geschichte zum Besten, wie sie in der Waschküche fiel, und drei Minuten später ist sie bei den "echten Flüchtlingen, die unsere Meinungsfreiheit zu würdigen wissen", angelangt.
Null Toleranz
Hier verweilt Verdonk etwas länger, denn dies ist ihr Kerngeschäft: Als Ministerin für Ausländerangelegenheiten wurde sie zur kontroversesten Politikerin der Niederlande. Die einen bewundern sie für ihre kompromisslose Auslegung der Asylgesetze, die sogar vor Parteikollegin Ali nicht halt machte. Den anderen wurde sie zur Symbolfigur einer unbarmherzigen Abschiebepolitik. "Eins ist klar: wenn Sie gerne tolerieren, sind Sie bei uns falsch", markiert sie ihr Gebiet. Ausländer, die die Hand aufhalten und in besetzten Häusern leben, nein danke! Überhaupt fordert sie ein sofortiges Hausbesetzungsverbot, was amüsant anmutet, da Verdonk selbst als Studentin in Nijmegen an einer Demonstration gegen die Räumung eines Squats beteiligt war. Später wurde die Soziologin Gefängnisdirektorin.
Ein warmer Applaus, dann folgt die Fragestunde. Verdonk hält den Menschen selbst das Mikrofon hin, hört sie an - und versteht. "Da stimme ich ihnen völlig zu", so beginnen ihre Antworten. Die Grundschullehrerin, die sich fragt, wie sie ihr immenses Pensum schaffen soll, der Choleriker, der über einen aus Umweltgründen ausgesetzten Autobahnausbau tobt, die alte Frau, die sich um ihre Rente sorgt - alle bekommen Verdonks Mitgefühl.