Minderheit könnte die zweitstärkste Partei stellen, bleibt aber gespalten.
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Haifa. Mitanes Shahade konzentriert sich seit Wochen nur auf eines: die arabischen Staatsbürger Israels davon zu überzeugen, am 22. Jänner seiner Partei ihre Stimme zu geben. Erschöpft und gestresst erzählt der Balad-Funktionär von seinen großen Plänen. "Wir brauchen komplett neue Spielregeln. Der jüdische Charakter des Staates muss fallen, weil er sonst kein Staat für alle seine Bürger ist", sagt Shahade im Balad-Parteibüro in Haifa. Die nordisraelische Stadt dient oft als Beispiel für ein friedliches Zusammenleben zwischen Juden und Arabern. Ein Frieden, der für Shahade aber nur von der eigentlichen Unterdrückung der arabischen Minderheit ablenkt. Deshalb verlangt er eine neue Demokratie, in der Araber und Juden gleichgestellt sind. "Wir wollen keine Kosmetik", sagt er. Solange sich der Staat per Grundgesetz als jüdisch definiere, würden die 1,5 Millionen arabischen Staatsbürger in Israel diskriminiert.
Balad ist eine von drei israelischen Parteien, die dezidiert Politik von und für Araber machen. Das erkennt man auch im Parteibüro in Haifa. Hebräische Buchstaben sind hier ebenso wenig zu finden wie israelische Flaggen. An ihrer Stelle hängt eine palästinensische Fahne, daneben ein Bild des früheren ägyptischen Präsidenten und arabischen Nationalhelden Gamal Abdel Nasser sowie Porträts der Kandidaten.
Auf Platz zwei der Liste steht Hanin Zoabi, die von der israelischen Rechten für ihren politischen Aktivismus gehasst wird. In Debatten wird sie laufend von aggressiven Zwischenrufen ihrer Gegner unterbrochen. Und weil sie sich an Bord eines Aktivistenschiffs mit Kurs auf den Gazastreifen befunden hat, wollte ihr das zentrale Wahlkomitee jüngst sogar die Kandidatur verbieten. Das israelische Höchstgericht entschied letztlich gegen das Verbot, doch den Aktivisten von Balad fällt es schwer, ein positives Wort zu Israels Demokratie zu finden.
Nur die Hälfte wählt
Balad ist bekannt für die Betonung der palästinensischen Identität und den Kampf gegen die jüdische Hegemonie in Israel. Einer Regierung würde die Partei im Augenblick unter keinen Umständen beitreten, sagt Shahade. "Wie sollen wir auch mitregieren? Würde Israel Gaza bombardieren, wären wir am Mord unserer eigenen Leute mitverantwortlich", so der 40-Jährige. So ist jede Stimme für die Partei, die derzeit drei Mandate hält, automatisch ein Ticket in die Opposition. Das finden nicht alle Araber in Israel gut, anstatt von Nationalsymbolik und großen Zielen wollen sie hin und wieder auch konkrete Politik für vernachlässigte arabische Dörfer sehen.
"Hass führt zu nichts. Die arabischen Parteien sind zu nationalistisch und vertiefen nur den Graben zwischen Juden und Arabern", sagt die arabische Politikerin Asma Agbaria-Zahalka, Vorsitzende der sozialistischen Da'am Partei, die es bisher noch nie ins Parlament geschafft hat, aber immer mehr ins Rampenlicht rückt. Wenn Balad für Konfrontation steht, dann steht Da’am für die Kooperation zwischen benachteiligten Schichten von Juden und Arabern. "Bevor wir die Wunden der Geschichte aufarbeiten, müssen wir gemeinsam die Gegenwart ändern", sagt sie. Arabische Politiker sollten sich mehr um Inhalte als um Symbolik kümmern. So würden auch mehr Araber wählen. Diesen Impuls hätte die Minderheit auch bitter nötig: Haben 1999 noch 75 Prozent gewählt, waren es 2009 nur mehr 53. Und dieses Jahr sollen es noch weniger werden.
"Die arabischen Wähler trauen weder Israel, noch ihren eigenen Parteien", sagt Professor As’ad Ghanem von der Universität Haifa. "Man ist generell frustriert und hat das Gefühl, die eigene Stimme ändert nichts." Auch deshalb sei die Wahlbeteiligung extrem gering. Hinzu kommt ein problematisches Erbe der Vergangenheit. Nur ein Jahr nachdem 1999 noch 75 Prozent gewählt haben, brach die zweite Intifada gegen die israelische Besatzung aus. Araber in Israel zeigten Solidarität mit Palästinensern und mussten bitter dafür bezahlen. Bei den Protesten im Oktober 2000 erschossen israelische Sicherheitskräfte 13 arabische Demonstranten. Was folgte, war ein Jahrzehnt zunehmenden Misstrauens und steigender Diskriminierung.
An der heute herrschenden Frustration sind laut Ghanem aber auch die arabischen Parteien und Politiker schuld. Diese seien vom realen Leben abgehoben und hätten es nicht geschafft, ihre Politik in konkrete Verbesserungen umzuwandeln. Eine Umfrage des Politologen unter Arabern in Israel ergab etwa, dass die Menschen vor allem weniger Arbeitslosigkeit, mehr Wohnraum, sowie bessere Bildung fordern. "Aber ihre Politiker liefern das nicht", so Ghanem. "Sie verfolgen Eigeninteressen und agieren in kleinen Parteien, die nichts ändern können." Würden die arabischen Parteien eine Einheitsliste bilden, könnten sie die zweitstärkste Partei Israels stellen.
Laut Ghanems Umfrage wünschen sich mehr als zwei Drittel aller Araber eine große Partei. Doch ideologische und familiäre Differenzen stehen dem entgegen. Gleichzeitig wählen auch immer weniger Araber jüdische Parteien. Vor zwanzig Jahren waren es noch rund 60 Prozent. Heute nur mehr zwischen 18 und 25 Prozent, so Ghanem.