Jerusalem - Wenn der palästinensische Präsident Yasser Arafat Anfang nächster Woche nach Camp David reist, hat er einen Joker im Gepäck, aber keiner weiß, ob der in der neuen Runde der Nahost-Verhandlungen noch sticht. Arafat hat zwar seit Montag dieser Woche das Mandat des Palästinensischen Zentralrates, einen souveränen Staat auch ohne Abkommen mit der Besatzungsmacht Israel auszurufen. Er erhielt jedoch keine Unterstützung für ein Abkommen mit Israel, in dem seinem Volk nicht das gesamte beanspruchte Land zurückgegeben wird.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 24 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Arafats Spielraum ist damit beim Gipfel mit US-Präsident Bill Clinton und dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak begrenzt. "Seine Hände sind gebunden", heißt es in seiner nächsten Umgebung. "Arafat hat darauf bestanden, dieses Jahr noch einen souveränen palästinensischen Staat auszurufen. Damit hat er Israel und den USA klar signalisiert, dass dies seine einzige Option ist. Das ist die einzige Karte, die er ausspielen kann", sagt der Experte Ghassan el Khatib. Arafats Spielraum für territoriale Zugeständnisse sei mit der Anerkennung des Staats Israel auch schon erschöpft gewesen, heißt es. Das hätten Israel und die USA noch nicht ausreichend verstanden.
In palästinensischen Kreisen werden im Vorfeld des Nahost-Gipfels nüchtern drei Optionen des Präsidenten diskutiert. Keine von ihnen, so heißt es, werde den Konflikt beenden: Arafat kann, wie angekündigt, einseitig die Souveränität ausrufen. Das Staatsgebiet würde dann die 40 Prozent des Westjordanlandes und Gaza-Streifens umfassen, die die Israelis den Palästinensern seit der gegenseitigen Anerkennung 1993 nach und nach zur Selbstverwaltung überlassen haben.
Oder Arafat lässt sich auf das israelische Angebot ein: Die Palästinenser erhielten 80 Prozent der 1967 besetzten Gebiete, verlören jedoch Jerusalem an Israel. In diesem Fall müsste der ehemalige Freiheitskämpfer damit rechnen, im eigenen Volk als "Verräter" zu gelten, sagen die Beobachter. Arafat hat immer einen Staat im gesamten Westjordanland und Gaza-Streifen versprochen mit Ostjerusalem als Hauptstadt. Wegen Jerusalem, der Rückkehr der seit 1948 geflohenen Palästinenser und dem Status der jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten stocken die Verhandlungen seit Monaten.
Schließlich die dritte Option: Arafat gelingt es, die Israelis zu einem Abzug auf die Grenzen vor dem Sechstagekrieg von 1967 zu bewegen. Um ein solches Abkommen für die Anhänger auf beiden Seiten attraktiv zu machen, bräuchte es zum Beispiel folgendes Ergebnis: "Arafat müsste seinen Leuten klar machen, dass die palästinensischen Flüchtlinge nicht zurückkehren können. Und Barak müsste größere territoriale Zugeständnisse akzeptieren", sagt der israelische Experte Gerald Steinberg. Barak verteidigt das bisherige israelische Angebot mit dem Argument, eine Rückgabe von 80 Prozent des Landes sei mehr, als je ein israelischer Regierungschef angeboten habe.