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Arbeit, Fleiß und Zuversicht

Von Wolfgang Weitlaner

Reflexionen

Seit 50 Jahren behauptet sich der Stadtstaat Singapur als asiatisches Erfolgsmodell.


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"Ich erinnere mich noch, dass meine Mutter mir erzählte, wie Premierminister Lee Kuan Yew im Radio mit tränenerstickter Stimme die Nachricht übermittelte, dass Singapur auf eigenen Füßen stehen müsse. Das war am 9. August 1965", erzählt Toon Teng, der seit einigen Jahren als Fremdenführer arbeitet.

Schwelende Konflikte zwischen Nicht-Chinesen und Chinesen hatten zu Unruhen geführt. Am 7. August 1965 wurde Singapur aus der Föderation mit dem malayischen Staatenbund ausgeschlossen, zwei Tage später erkannte Malaysia Singapurs Souveränität als eigener Staat an. Die muslimischen Malayen konnten sich mit den überwiegend chinesischen Singapurern ohnehin nie wirklich anfreunden.

Schwieriger Beginn

"Die ersten Jahre waren hart, denn die winzige Nation - vom östlichsten bis zum westlichsten Punkt sind es gerade einmal 42 Kilometer und von Norden nach Süden etwa 24 Kilometer - musste um ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit kämpfen. Der Erfolg des Landes basiert auf harter Arbeit, Fleiß und Zuversicht", so Teng. Zu den größten Problemen zählten Massenarbeitslosigkeit sowie die Knappheit von Wohnraum, Ackerland und Rohstoffen.

Der Flächenmangel - den heute rund 5,5 Millionen Einwohnern stehen nur 712 Quadratkilometer (nicht ganz das Doppelte der Fläche Wiens) zu Verfügung - war und ist das größte Problem. Bis heute kann sich der Stadtstaat auch nicht selbst ernähren, sondern ist auf Nahrungsmittel-, Trinkwasser- und Energieimporte angewiesen. Trotzdem gelang es dem Langzeitpremier Lee Kuan Yew (er starb im März 2015), das Land innerhalb einer Generation vom Entwicklungsland zu einer Industrienation zu machen.

Betrachtet man die Lebensqualität und zieht Vergleiche mit den beiden Nachbarländern Malaysia und Indonesien, so sind der Lebensstandard und das Einkommen hier um ein Vielfaches höher. Das Bruttoinlandsprodukt von 36.600 US-Dollar pro Person macht die Singapurer zu den wohlhabendsten Erdenbürgern. Die Arbeitslosigkeit liegt bei zwei Prozent. Der wirtschaftliche Erfolg beruht auf dem starken Ausbau des Dienstleistungssektors, auf den 69 Prozent des BIP entfallen. Rund ein Viertel entfällt auf die Industrie, wobei der internationale Containerhafen Singapur zu einem der größten Warenumschlagplätze der gesamten Region gemacht hat. Schon zur Unabhängigkeit wurde Nachhaltigkeit (damals gab es dieses Wort noch nicht) im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes verfolgt. Im Zentrum standen neben der Schaffung von "Wohnraum für alle" auch der intensive Schutz der Grünzonen sowie groß angelegte Parkanlagen. Singapurs Gärten zählen zu den Top-Sehenswürdigkeiten, und mit der Eröffnung der dem Meer abgerungenen und aufgeschütteten, 101 Hektar großen "Gardens by the Bay" hat auch diese Attraktion neue Rekord-Dimensionen erreicht.

Alpenluft in den Tropen

Vor knapp zwei Jahren wurden zwei riesige Glashaus-Biotope errichtet, in denen man die Vegetation der verschiedenen Klimazonen hautnah erleben kann. Das größere der beiden Gebäude steht mit 1,28 Hektar Fläche übrigens als größtes Glasgewächshaus im Guinness-Buch der Rekorde. Hier, knapp 140 Kilometer nördlich des Äquators, kann man jetzt Alpenluft schnuppern oder Orchideen des Nebelwaldes bestaunen.

Auf den davorliegenden 25 bis 50 Meter hohen stählernen "Super Trees" werden nicht nur Pflanzen gezüchtet, sondern mittels Photovoltaik Strom für Beleuchtung und Kühlung gewonnen sowie Regenwasser zur Bewässerung gesammelt. Auch in Sachen Dachgärten ist Singapur Weltrekordhalter: Die drei 55-stöckigen Türme des 2561-Zimmer-Hotels "Marina-Bay-Sands" tragen auf 191 Metern Höhe einen 340 Meter langen Garten mit einem 146 Meter langen Infinity-Pool. Mit den Grundstückskosten hat dieses neueste Wahrzeichen, das den Las-Vegas-Sands Casinos gehört, rund acht Milliarden Euro verschlungen.

Seit einigen Jahren belegt Singapur im weltweiten Green City Index Spitzenpositionen. In diesem von der Economist Intelligence Unit durchgeführten und von Siemens gesponserten Ranking werden rund 130 Städte auf ihre Nachhaltigkeit beurteilt. Bewertet werden Energieverbrauch, Flächennutzung, Verkehr, Wasser- und Abfallwirtschaft - bis hin zu Luftqualität und Umweltmanagement.

Glanzleistungen

In Asien rangiert Singapur an erster Stelle und schneidet in sämtlichen Kategorien überdurchschnittlich gut ab. Zu den heikelsten Themen gehört dabei die Trinkwasserversorgung, denn bis heute gibt es mit Malaysia Streitigkeiten darüber. Singapur ist übrigens das einzige tropische Land, in dem man das Wasser aus der Leitung gefahrlos trinken kann. Um die Wasser-Reserven noch effektiver zu nutzen, wurde ein Nachhaltigkeitsplan entworfen, bei dem Gewässer - einschließlich des Singapore River - saniert wurden.

Das Ergebnis wissen heute übrigens auch all jene Touristen zu schätzen, die hier eine Bootstour unternehmen und dem Stadt-Wahrzeichen, dem Wasser speienden Merlion, einen Besuch abstatten. Anders als in vielen Megastädten ist das öffentliche Verkehrsnetz sehr gut ausgebaut: Neben unzähligen Bussen verkehrt hier eine der weltweit modernsten U-Bahnen. Rigorose Reglements und hohe Kosten machen private Pkws zu Luxusgütern. Jeder potenzielle Autokäufer muss nämlich ein Certificate of Entitlement ersteigern. Darüber entscheidet die staatliche Land Transport Authority. Die Lizenzen verfallen aber nach zehn Jahren. Um die Zahl der Autos weiter zu beschränken, werden diese mit Importzöllen von bis zu 200 Prozent besteuert. Wenn man dann sein Auto fährt, fallen zusätzlich eine elektronisch eingehobene tageszeitabhängige City-Mautgebühr sowie Parkgebühren an.

Der Stolz der Singapurer auf ihr Land zeigt sich am besten am Beispiel der nationalen Fluggesellschaft: Singapore Airlines (SIA) rangieren seit Jahren als weltbeste Fluglinie in den Passagier-Charts. Das Unternehmen gilt als Paradebeispiel für die Kombination aus höchster Service-Leistung, modernster Technologie und distinguiertem Charme. "Charme kann man lernen", zeigt sich Foo Juat Fang, die Trainingsmanagerin der SIA-Cabin-Crew, überzeugt.

Wie begehrt der Job ist, zeige sich anhand der großen Zahl von Bewerbungen zum "Singapore Girl" - wie die Flugbegleiterinnen liebevoll genannt werden. "Für Frauen ist diese Ausbildung erstrebenswert, denn dieser Job genießt hohes Ansehen." Fang war früher selbst als Stewardess tätig und kennt das Business von der Pike auf. "Distinguiert und nobel im Auftreten, edel im Gehen und sehr subtil in der Konversation mit den Gästen, das wird verlangt. Dementsprechend groß ist der Stolz, wenn man ausgewählt wird", erzählt Fang. "Mit dem Anlegen der Uniform schlüpfen die Mädchen in eine andere Rolle - fast wie Schauspielerinnen."

Teil der Ausbildung ist auch ein sehr strikt gehandhabtes Kosmetikprogramm, bei dem die Mädchen lernen, wie man sich schminkt. Auch in Sachen Haarpracht sind die Ausbildner sehr streng: Mit dem Zentimetermaß wird die Haarlänge gemessen, denn es wäre unschicklich, wenn das Haar zu lang wäre. Der Ehrgeiz steht den jungen Frauen ins Gesicht geschrieben. "Wer hart arbeitet, kann als Attendant für die Business- oder First-Class aufsteigen. In den Premium-Klassen arbeiten nur die Besten und Erfahrensten von uns."

Innovative Technik

Auch in Sachen technologische Innovation strebt man die Weltklasse an: Bis vor wenigen Jahren war SIA der größte Betreiber der Boeing 747-400-Flotte, heute setzt man auf den europäischen Airbus A380, der moderner, leiser, größer und kosteneffizienter ist. Außerdem will man den Kunden nur das beste Komfort- und Entertainment-Programm bieten. Dazu kam das neue Flugzeug, dessen Erstkunde man wurde, gerade recht. Dezent wies man darauf hin, auch hier der Konkurrenz eine Nasenlänge voraus zu sein.

Wer mit SIA fliegt, bekommt nach dem Start eine Speisekarte, in der auch in der Economy-Class zu lesen ist: "Wir sind bemüht, Ihnen ein First-Class-Menü zu servieren." Auch das spiegelt einen wesentlichen Aspekt im täglichen Leben Singapurs wieder: Essen ist hier weit mehr als nur Nahrung - es ist eine Obsession und Teil der Lebensphilosophie. Man begrüßt sich mit den Worten: "Sudah makan" (Heute schon gegessen?). "Es ist die Mischung aus malaysischen, indonesischen, chinesischen und indischen Einflüssen, die diese einmalige Küche geprägt haben", erklärt der Gastronomiekritiker KF Seetoh. Er empfiehlt die Top-Ten-Spezialitäten, die auch in den Broschüren des Fremdenverkehrsamts aufgezählt sind, zu kosten, um dies zu verstehen. "Am Besten isst man das in den kleinen Straßenbuden, die als Hawker-Centers über die ganze Stadt verteilt sind." Singapur wurde übrigens erst kürzlich beim World Street Food Congress zur besten Straßenküchen-City der Welt gekürt. Bei einem Kochwettbewerb mit Blindverkostung schlug ein einfacher Imbissbuden-Besitzer einen Haubenkoch. Die Jury waren die Singapurer selbst - und die lassen sich nichts vormachen. Die strengen hygienischen Auflagen sorgen für einwandfreie Mahlzeiten, die man auch als Mitteleuropäer problemlos genießen kann. So gesehen nutzen die harten Gesetze auch der Gesundheit.

Das Zusammenleben auf engstem Raum erfordert gewisse Regeln. "Natürlich gibt es einen Preis dafür zu zahlen", meint Erich Sollböck, ein Exil-Österreicher, der seit elf Jahren Frankfurter, Käsekrainer und Leberkäse in Chinatown verkauft. Er hat in verschiedenen asiatischen Ländern gelebt und dort als Küchenchef gearbeitet. In Singapur hat es ihm am besten gefallen. "Das Leben ist einfach hier, wenn man sich mit gewissen Dingen arrangiert. Der Staat ist extrem gut organisiert." Sollböck schätzt natürlich auch den hohen Lebensstandard und die Sicherheit in Singapur.

Um die straffe Organisation umzusetzen, bedürfe es gewisser Reglements - diesen Satz hört man hin und wieder in Singapur. Mit strengen Gesetzen sind also nicht nur die Singapurer selbst, sondern auch die Gastarbeiter und Touristen konfrontiert. Die überall in der Stadt aufgestellten Verbotsschilder - inklusive der Strafhöhe bei Zuwiderhandeln - haben bereits seit Jahren Kultstatus und werden auch auf T-Shirts gedruckt. "Einige der Verbote haben schon einen Sinn, etwa jene, dass man eine Durian-Frucht, deren Geruch äußerst unangenehm ist, nicht in die Metro mitnehmen darf," erklärt Yeow, der als Hotel-Rezeptionist arbeitet. Mehr an Systemkritik bekommt man aber trotz Nachfrage nicht zu hören. Darüber scheinen viele nicht gerne zu sprechen.

Strenges Reglement

Mit vergleichsweise hohen Geldstrafen wird auch das Essen auf der Straße geahndet. In einem tropischen Land ist die Gefahr, die von Ungeziefer und Seuchen ausgeht, ungleich höher als in den gemäßigten Zonen. Das ist bekannt. Dafür sind die U-Bahnen und Gehsteige wirklich sehr sauber. Null Toleranz gilt auch bei Drogendelikten. Diese werden mit extrem hohen Gefängnisstrafen geahndet, die auch tatsächlich verhängt werden.

In den Medien wurde vom Fall zweier Touristen berichtet, die beim Graffiti-Sprayen erwischt und mit Stockhieben bestraft wurden. Anders als in allen anderen Großstädten gibt es hier keine Bettler und keine Obdachlosen. Dafür sorgt der Staat. Das macht Singapur als Reiseland extrem sicher. Kritische Organisationen werfen der Regierung vor, dass es keine Pressefreiheit gibt, sondern, dass die Medien einer strengen staatlichen Zensur unterliegen. Regierungskritische Äußerungen will man eben nicht hören.

Streng ist man übrigens auch in Sachen "Nacktheit": so ist etwa der Verkauf des "Playboy"-Magazins verboten. Ersatz bietet allerdings das von "Playboy" vertriebene "VIP-Magazin", das alle Merkmale des Originals aufweist. Auf das "‚Playmate des Monats"‘ muss man also nicht verzichten.

Wolfgang Weitlaner, geboren 1964, lebt als freier Journalist in Wien. Seit Mai 2014 betreibt er den Blog www.amliebstenreisen.at, in dem er auch seine eigenen Fotos präsentiert.