Die Volksanwaltschaft fordert einen fairen Lohn und eine eigene Pension für Menschen in Behindertenwerkstätten.
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Wien. Sie gehen tagtäglich zur Arbeit, stricken, knüpfen, tischlern und sortieren. Manche arbeiten länger an einem Stück, manche kürzer - in jedem Fall ist es Arbeit, die geleistet wird. Und dennoch erhalten die Menschen mit Behinderung, die in einer Tagesstruktur oder Werkstätte beschäftigt sind, keinen Lohn und sind daher auch nicht kranken- und pensionsversichert. Seit 2011 sind sie zumindest unfallversichert, bis heute bekommen sie aber nur ein Taschengeld von durchschnittlich 65 Euro pro Monat.
Die Arbeit, die sie leisten, fließt jedoch mitunter wie jede andere Arbeit auch in den Markt und ist Teil des Supermarktsortiments - Tintenpatronen etwa wurden nicht selten in Beschäftigungswerkstätten in die Schachteln gefüllt. Die Menschen, die dahinter stecken, sieht man allerdings kaum. Denn mit wenig Geld ist die Zahl der Bustickets, die einen weg vom gewohnten Umfeld bringen, die Zahl der Kinokarten und jene der Getränke, die man mit Freunden im Lokal trinkt, gezählt. Inklusion (ein gemeinsames Leben der Menschen mit und ohne Behinderung) findet kaum statt.
Die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung ist generell hoch und steigt unverhältnismäßig stark an. Im Dezember 2016 war sie gegenüber dem Vorjahr um 9,3 Prozent gestiegen. Nicht Teil der offiziellen Arbeitslosenstatistik sind die in den Werkstätten tätigen Personen. Die öffentliche Hand subventioniert zwar Werkstättenplätze, ein personenzentrierter Ansatz bei der Arbeitssuche wird aber nicht verfolgt.
"Behindertenrechtskonvention der UNO wird verletzt"
Die Volksanwaltschaft fordert daher, dass diese Arbeit auch rechtlich als Arbeit angesehen wird, was unter anderem mit dem Anspruch auf eine eigene Pension einherginge. Man müsse verhindern, dass Menschen auf Dauer in Werkstätten verbleiben. "Wir haben 22.000 Betroffene in Österreich", sagt Günther Kräuter, Vorsitzender der Volksanwaltschaft, zur "Wiener Zeitung". Solange deren Eltern am Leben sind, bleiben sie von diesen abhängig und sind meist mitversichert, viele sind dauerhaft auf die Mindestsicherung angewiesen. Nach deren Tod erhalten sie mitunter eine Waisenpension.
Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von über 50 Prozent wird als Gradmesser der Leistungsfähigkeit herangezogen, was laut Volksanwaltschaft menschenrechtlich bedenklich ist und eine Einbahnstraße in die Werkstätte darstellt. Die Leistungsfähigkeit ist freilich oft geringer als die eines Menschen ohne Behinderung - und die wirtschaftliche Produktivität nicht annähernd so hoch. Der Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft sieht aber in der Tatsache, dass Menschen mit Behinderung nicht angemessen entlohnt werden, eine Verletzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Nach Artikel 27 haben nämlich Menschen mit Behinderung das gleiche Recht auf Arbeit und Beschäftigung wie Menschen ohne Behinderung. Auch der UN-Ausschuss, der sich für die Rechte Ersterer einsetzt, hat die Beschäftigung für ein Taschengeld außerhalb des geregelten Arbeitsmarktes in Österreich bereits kritisiert.
Laut Kräuter kann es in Extremfällen sogar zu Ausbeutung kommen: Wenn der durch externe Aufträge erwirtschaftete Gewinn nicht den Werktätigen zugutekommt, sondern nur in die Strukturen der Werkstätten fließt, sei das höchst problematisch - wird er als Prämie unter den Betreuern verteilt, sei das "eine krasse Menschenrechtsverletzung", sagt Kräuter.
Das sind aber wie gesagt Extremfälle, grundsätzlich stehen die Werkstätten respektive deren Träger hinter den Forderungen der Volksanwaltschaft. So spricht sich zum Beispiel auch die Lebenshilfe Österreich für einen offenen und inklusiven Arbeitsmarkt aus. Alle sollen in die gesetzliche Kranken- und Pensionsversicherung eingebunden und für ihre Tätigkeit angemessen nach Kollektivvertrag entlohnt werden, heißt es auf Nachfrage. Das Einkommen müsse durch einen regulären Lohn abgesichert sein. Dafür brauche es jedoch bedarfsgerechte und finanziell gesicherte Dienstleistungen, die Menschen mit Behinderung den Zugang zum respektive Verbleib im Arbeitsmarkt ermöglichen. Auch die Rückkehr aus der Arbeit in die Leistungen der Behindertenhilfe müsse bei Wegfall eines Einkommens gewährleistet sein.
An Begleitumständen wie diesen scheint bisher jeder Versuch einer Veränderung gescheitert zu sein. Denn bereits im Regierungsprogramm von 2013 steht, dass es in diesem Bereich Reformbedarf gibt und die eigenständige Absicherung gestärkt werden muss. Auch die aktuelle Version sieht die Schaffung einer eigenen Absicherung bei Tätigkeiten in Werkstätten vor. Passiert ist allerdings nichts.
Warum, erklärt das Sozialministerium so: "Maßnahmen der tagesstrukturierenden Einrichtungen sind Angelegenheiten der Länder und haben in den Landesgesetzen ihre rechtliche Grundlage", heißt es auf Nachfrage. Zudem stehe bei der Tätigkeit der Menschen mit Behinderung in den tagesstrukturierenden Einrichtungen nach der geltenden Rechtslage und der Judikatur des Obersten Gerichtshofes nicht der arbeitsrechtliche, sondern der therapeutische Zweck im Vordergrund. Die Betroffenen seien daher keine Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinn. Das Taschengeld weise zum Teil aber auch eine "Leistungskomponente" auf. Daneben bekämen sie meist Transferleistungen wie erhöhte Familienbeihilfe, Waisenpension oder Leistungen aus der Behindertenhilfe der Länder.
Bund und Länder seien in einer ersten Gesprächsrunde übereingekommen, Modelle wie das Vorarlberger Projekt Spagat zu forcieren, in dem Menschen mit Behinderung aus den Werkstätten heraus in Arbeitsverhältnisse auf dem ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden, heißt es weiter. Aber: "Die Schaffung eines eigenen pensionsrechtlichen Tatbestandes im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz ist aus der Sicht des Sozialministeriums zwar denkbar, setzte aber die Klärung grundlegender Vorfragen voraus; dazu gehören die Regelung der Beitragszahlung, die Frage der Anwartschaftszeiten und die Problematik einer allfälligen zeitlichen Rückwirkung."
Laut Martin Ladstätter vom Beratungszentrum Bizeps für ein selbstbestimmtes Leben ist die derzeitige Situation jedoch unhaltbar und diskriminierend. Der konventionswidrige Zustand müsse so schnell wie möglich beendet werden. Offenbar habe man zwar den Reformbedarf erkannt - aber auch, "dass alles sehr kompliziert ist". Freilich müsste man an mehreren Schrauben drehen und mehr als bisher investieren. Wenn etwa die Leistung einer Person mit Behinderung um vieles geringer als jene einer ohne Behinderung ist, müsste es Kostenzuschüsse vonseiten des Staates geben.
So kompliziert und teuer sei das Ganze dann aber doch wieder nicht. Denn sobald Menschen mit Behinderung einen regulären Lohn und später eine Pension erhalten, wären sie auch nicht mehr auf soziale Leistungen wie eine erhöhte Familienbeihilfe angewiesen. Auf dieser Seite würden Kosten für die öffentliche Hand somit wegfallen. Sie könnten ihr Leben selbst finanzieren. Viele Betroffene sind zwar besachwaltet, über eine mit ihrem Sachwalter abgesprochene Summe können sie aber frei verfügen.
Konzept der unterstützten Beschäftigung aus Kanada
Das Konzept der unterstützten Beschäftigung, die auf bezahlter Arbeit basiert, kommt aus Kanada. Dort wurde bereits vor Jahrzehnten gezeigt, dass Menschen mit schweren Lernschwierigkeiten eine Vielfalt komplexer Arbeitstätigkeiten erledigen können und bezahlte Arbeitsverhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erreichen können. Der Erfolg von unterstützter Beschäftigung hat in Kanada dazu geführt, dass das Modell auch für Menschen mit anderen Behinderungen und sozialen Benachteiligungen nutzbar gemacht wurde.
So weit ist man in Österreich noch nicht, die Situation unterscheidet sich stark von jener in Kanada. Gleich ist nur die Tatsache, dass Menschen mit Behinderung arbeiten.