Rechte der Näher wurden ignoriert, doch jetzt machen Gewerkschaften Druck.
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Dhaka/Wien. "Es ist ein Geschäft, aber ich übernehme auch soziale Verantwortung", sagt Mohammad Abu Taher. Der Bangladeschi betreibt in der Hauptstadt Dhaka eine Privatschule für 500 Kinder. Gleichzeitig können 100 Kinder von Textilarbeitern die Schule gratis besuchen. Und mit den Einnahmen von den Schülern, deren Eltern Unterrichtsgebühr entrichten müssen, finanziert Taher seine gewerkschaftlichen Aktivitäten.
Denn er ist auch Generalsekretär der Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeitergewerkschaft in Bangladesch. Damit ist Taher ein typischer Repräsentant des Arbeitnehmerverbandes. Dieser wird von vielen Idealisten getragen und hat nur wenig Geld. In einem Land, in dem der Mindestlohn für Textilarbeiter bei rund 30 Euro liegt, können die Mitglieder kaum Beiträger zahlen.
Es war bisher ein ungleiches Match, das die Gewerkschafter mit den Fabriksbesitzern ausgefochten haben. Die Industriellen besitzen nämlich genügend Geld, um sich teure Wahlkämpfe zu finanzieren. Damit zogen viele von ihnen ins Parlament ein, wo sie ihre Interessen vertreten und die Gesetzgebung beeinflussen konnten, während den Gewerkschaften nur der zumeist folgenlose Protest auf der Straße blieb.
Firmen unterzeichnen Sicherheitsabkommen
Doch das Kräfteverhältnis hat sich verschoben. Der Grund dafür ist ein tragischer. In Bangladesch herrscht nach wie vor Entsetzen über den Tod von mehr als 1100 Textilarbeitern im eingestürzten Gebäude "Rana Plaza" Ende April. Die Arbeitnehmerverbände gehen nun in die Offensive, organisieren Demonstrationen, Pressekonferenzen und vernetzen sich zusehends international, berichtete am Dienstag Taher, der auf Einladung der Gewerkschaft Pro-Ge und der Clean Clothes Kampagne in Wien war. Und der Feldzug zeigt Wirkung: Plötzlich wird im Parlament über eine Erhöhung der selbst für Asien extrem niedrigen Löhne und Sicherheitsstandards diskutiert.
Aber nicht nur die Regierung steht in der Verantwortung, sondern auch westliche Firmen. In den Trümmern des Rana Plaza wurden laut Rettungskräften Etiketten der Discounter Kik und Primark wie auch der höherpreisigen Marken Mango und Benetton gefunden. Diese vier und 27 weitere Konzerne haben nun ein mit den Gewerkschaften ausgehandeltes Sicherheitsabkommen unterschrieben. Nun sollen Brandschutz- und Bauvorschriften in den Fabriken von unabhängiger Seite überprüft werden. "Wenn das umsetzt wird, können derartige Unfälle nicht mehr passieren", sagt Taher zur "Wiener Zeitung". Denn das Abkommen sollte dazu führen, dass europäische Einkäufer ihre Waren nicht mehr in Fabriken herstellen lassen, in denen die Sicherheitsstandards nicht stimmen.
Allerdings weigern sich einzelne große Unternehmen wie Walmart oder GAP, dem Abkommen beizutreten. Taher meint aber, dass der öffentliche Druck auf diese Firmen immer mehr steige.
Grundsätzlich ist der Gewerkschafter der Textilindustrie, die in Bangladesch mehr als drei Millionen Arbeiter beschäftigt, nicht feindlich gesinnt. Ganz im Gegenteil: In einem armen Land wie dem seinen würden die Bekleidungsfabriken den Leuten Jobmöglichkeiten geben, betont Taher. Nur müssten die Rechte der Arbeiter gestärkt und ihre Bezahlung verbessert werden.
Noch nie waren die Chancen dafür so groß wie jetzt, nachdem mehr als 1100 Arbeiter sterben mussten. Nur: Ob sich bei allen Versprechen und Vereinbarungen die Situation der Näher tatsächlich bessert, wird sich erst in einigen Monaten weisen, wenn sich der erste Schock über die Tragödie im Rana Plaza gelegt hat.