Die Bedeutung von Humankapital und Arbeitsmedizin werde in Österreichs Betrieben "krass unterschätzt", erklärte der Direktor der Allgemeinen Unfall-Versicherungs-Anstalt (AUVA), Univ.-Prof. Norbert Winker, die Ergebnisse einer Studie des Instituts für Markt- und Kommunikationsforschung im Auftrag der AUVA und der Österreichischen Akademie für Arbeitsmedizin (AAM), die im Vorfeld zu einer AAM-Veranstaltung zum Thema "Human Capital contra Share-Holder-Value?" in Wien präsentiert worden ist.
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Das Humankapital sei bei internationalen Konzernen bereits als Bestandteil des Unternehmenswertes anerkannt, in Österreich laufen die Uhren aber anders: Laut Studie können 58% der heimischen Unternehmer mit dem Begriff überhaupt nichts anfangen. Zum Teil hänge dies mit der klein- und mittelbetrieblichen Wirtschaftsstruktur zusammen. AAM-Geschäftsführerin Brigitte John-Reiter ortet eine "Gefährdung des Wirtschaftsstandortes Österreich", würden die Betriebe weiterhin den Wert der eigenen MitarbeiterInnen nicht beachten und eher Bereiche outsourcen. "Da geht viel Potenzial verloren", bestätigt auch Winker. Die Öffentlichkeit müsse stärker für dieses Thema sensibilisiert werden, um eine Verbesserung der Situation zu erreichen.
Nur die Einhaltung lästiger Vorschriften?
"Viele Unternehmer sind der Ansicht, der Arbeitsmediziner ist bloß ein verlängerter Arm des Arbeitsinspektors", bedauert John-Reiter. 76% assoziierten mit Arbeitsmedizin nicht mehr als die Einhaltung lästiger gesetzlicher Vorschriften. Dabei werde die Rolle der Arbeitsmedizin als Beitrag zur Steigerung der Leistungsfähigkeit grob unterschätzt: Diese gehe über die reine Unfallprävention weit hinaus und sei als eine Form der Unternehmensberatung neu zu positionieren.
AAM-Präsident Karl Hochgatterer erklärte zu den Studienergebnissen, dass nur 28% der Unternehmer mit dem Begriff "Humankapital" etwas anfangen könnten, davon verwiesen 60% auf die Bedeutung intellektueller Fähigkeiten, während 26% den MitarbeiterInnen nur wenig Wert für das Unternehmen beimessen. Auffallend sei, dass sich Dienstleistungsbetriebe wie im Tourismus oder im Gewerbe - "bei denen etwa die Freundlichkeit der MitarbeiterInnen eine Rolle spielt" - ebenso wie Unternehmen mit über 200 MitarbeiterInnen eher mit dem Begriff auseinander setzen als Handels- oder Produktionsunternehmen, berichtet Hochgatterer. Nur knapp jeder dritte Betrieb verstehe Arbeitsmedizin als Managementinstrument.
Die Arbeitsmediziner wollen nun in die Offensive gehen: Mit dem Symposium wollten sie eine Basis für die öffentliche Diskussion geben, die Schaffung eines eigenen AAM-Kompetenzzentrums noch heuer soll standardisierte Methoden zur Förderung von Humankapital entwickeln und den Unternehmen zugänglich machen. "Der Wert der MitarbeiterInnen für die Betriebe muss sichtbar gemacht werden", so Hochgatterer.
Kritik an Bartensteins Reformplänen
Kritik üben die AAM-Repräsentanten an den Plänen von Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein, der - wie berichtet - im Rahmen einer Reform des Arbeitnehmerschutzrechtes auch die Mindesteinsatzzeiten von Arbeitsmedizinern und Sicherheitsfachkräften von derzeit 1,5 bis 1,6 Stunden pro ArbeitnehmerIn und Jahr auf 1,2 Stunden kürzen will. "Eine vernünftige Vereinheitlichung auf europäische Durchschnittswerte im Interesse der Wirtschaft", so Bartenstein, "nur eine kurzfristige Kostenersparnis ohne die langfristig sinnvolle Investition in Mitarbeiterentwicklung zu beachten", kontert Hochgatterer. Es solle nicht über Beiträge diskutiert werden, die ein Tausendstel Prozent der Lohnnebenkosten ausmachen, sondern vielmehr über Prozentsätze an Forschungsinvestitionen in diesem Bereich, ergänzt John-Reiter, denn: "Humankapital ist ein knapper werdendes Gut, wie sich auch am viel diskutierten Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zeigt."
Umstrukturierung der Arbeitswelt beachten
"Die Herausforderungen, die der Wandel von der Industrie- zur modernen Informations- und Wissensgesellschaft und die zunehmende Dominanz des Dienstleistungssektors an uns stellen, werden völlig übersehen", kritisiert die AAM-Geschäftsführerin. Heute gehe es auch um Faktoren wie Betriebsklima, Mobbing, Zeitdruck, Arbeitszeitmodelle, Ergonomie - und eine längere Lebensarbeitszeit, die die MitarbeiterInnen zu bewältigen hätten, erklärt Hochgatterer. Dagegen wirke nicht nur das Wissen um Unfallprävention, sagt Winker - weshalb auch die AUVA die für alle Beteiligten wesentlichen Kernkompetenzen aktiv anbiete.
"Moderne Unternehmen, die im Wettbewerb durch Effizienz und Leistung bestehen wollen, tun gut daran, sich auch im Bereich Humankapital einen professionellen Berater, also einen ausgebildeten Arbeitsmediziner, zu holen", betont John-Reiter, "in Rechtsfragen verlässt sich schließlich auch niemand nur auf seinen Hausverstand".
Informationen: Österreichische Akademie für Arbeitsmedizin, Kierlinger Straße 87, 3400 Klosterneuburg, Tel.: 0 22 43/24 31 10, Fax: 0 22 43/243 11 22, E-Mail: oeaam@aam.at