Corona legt offen, wie arbeitsteilig unsere Gesellschaft organisiert ist.
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Die Arbeitsteilung kam in der Corona-Krise weltweit beinahe zum Erliegen. Wirtschaftlicher und sozialer Verkehr wurden durch die Schutzmaßnahmen aufs Notwendigste begrenzt. Aus einer globalisierten Markt- und Wettbewerbswirtschaft wurde vorübergehend eine lokale und regionale Versorgungswirtschaft. Christian Ortner erinnerte in seinem Gastkommentar am 5. Juni an die Vorzüge internationaler Arbeitsteilung aus komparativen Vorteilen. Diese stoßen an Grenzen, wo ein Land (vereinfacht gesagt) mit Tweed-Stoffen weniger oder mehr erlöst als mit Rotweinen. Insgesamt mögen sich die bilateralen Salden eines Landes ausgleichen. Tatsächlich sieht die Welt anders aus. Doch mithilfe von Geld und Krediten bleiben einzelne Länder weiter handlungsfähig, sofern ihre Währung akzeptiert und nicht abgewertet wird.
Europa und die einzelnen EU-Mitgliedstaaten nehmen jetzt das Geld auf und stellen es dem Teil der Bevölkerung bereit, der von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffen ist oder seine selbständige oder unternehmerische Tätigkeit nicht ausüben kann. Wie breit und kompliziert dieses Spektrum der innergesellschaftlichen Arbeitsteilung ausfällt, belegt der Umstand, dass der Kreis der Begünstigten mit der Zeit erweitert wurde. Mit diesem Geld wird der Kreislauf innerhalb der Angebote aufrechterhalten, die der Daseinsvorsorge dienen, wie etwa Lebensmittel, Gesundheit, Wohnen und Energie.
Je mehr die wirtschaftliche und soziale Aktivität sich langsam wieder verbreitert und damit die horizontale Arbeitsteilung (über verschiedene Wirtschaftssektoren) zunimmt, desto mehr Menschen erzielen wieder ein eigenes Einkommen. Auch die vertikale Arbeitsteilung nimmt zu: Menschen an der Basis werden wieder eingestellt, die zuvor die Spitze - mangels Nachfrage, um Personalkosten zu sparen und ein Unternehmen zu erhalten - gekündigt oder zur Kurzarbeit angemeldet hat.
Diese beiden Arbeitsteilungen fassen die innergesellschaftlich sehr differenzierten Einkommen zusammen: Sowohl zwischen den einzelnen Wirtschaftssektoren als auch innerhalb eines Kollektivvertrages bestehen Einkommensunterschiede, gar nicht zu reden von unternehmerischer oder künstlerischer Tätigkeit, Pensionen oder Kapitalbeteiligungen.
Corona legt offen, wie arbeitsteilig unsere Gesellschaft organisiert ist, um funktionieren zu können. Die Arbeitsteilung nimmt weiter zu, auch wenn vieles nicht mehr Menschen leisten. Damit eine Gesellschaft, in einer solchen Entwicklungsdynamik in unvorhersehbaren Krisen handlungsfähig bleibt, bedarf es einer Vorsorge. Woher die Mittel stammen sollten, die heute aufgenommen werden müssen, weil es diese Vorsorge - noch - nicht gibt, auch das hat Corona sichtbar gemacht. Es ist der Bereich, für dessen ausgefallene Funktion sie verwendet werden: die innergesellschaftliche - vielleicht sogar überhaupt internationale - Arbeitsteilung.