Argentinien enteignet Ölkonzern Repsol - Madrid droht mit Konsequenzen.
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Buenos Aires. Wo bedient sich eine Regierung, die ihre Staatsfinanzen auffetten will und keine Skrupel kennt? Als Erstes sind die Pensionsrücklagen und die Nationalbank gefährdet - schlag nach bei Ungarn. Bei Argentinien kommt noch ein dritter Topf dazu, in den Staatschefin Cristina Fernández de Kirchner jetzt gegriffen hat: die Rohstoffvorkommen.
In der Nacht auf Dienstag machte die Witwe des früheren Präsidenten Néstor Kirchner Ernst. In einer landesweit übertragenen TV-Ansprache verkündete Fernández - 18 Monate nach dem Tod ihres Mannes immer noch in Trauergewand - vor jubelnden Zuhörern die Wiederverstaatlichung des argentinischen Energiekonzerns YPF.
Der spanische Mehrheitseigentümer Repsol, dem knapp 58 Prozent der Aktien im Wert von 4,1 Milliarden Euro gehören, wird schlicht enteignet. Die Verstaatlichung gilt als massivster Eingriff seit zehn Jahren, als Russland den Ölkonzern Yukos unter seine Kontrolle brachte. Per Dekret verkündete Fernández, dass sich der Planungsminister sofort die Kontrolle sichern werde. Einigen spanischen Managern soll der Zutritt zur Zentrale schon verwehrt sein.
"Wir sind das einzige lateinamerikanische Land, das nicht über seine eigenen Ressourcen verfügen kann", behauptete die Staatschefin. 2011 sei Argentinien erstmals seit 17 Jahren zum Netto-Importeur von Gas und Erdöl geworden - was Kosten von 9,3 Milliarden US-Dollar verursacht habe. Fernández macht die YPF-Privatisierung 1998 dafür verantwortlich: Repsol habe zu wenig in die Ölförderung investiert und besonders im Jahr der Präsidentschaftswahl 2011 die Rohstoffversorgung verknappt, beschuldigt die Argentinierin den Konzern. Dieser argumentiert, das Dickicht an Preiskontrollen und Subventionen sei schuld, dass der Energieverbrauch so hoch und die Investitionen gering seien.
Bei ihren Landsleuten stößt Fernández’ populistisch-nationalistischer Kurs durchaus auf Widerhall - beim Urnengang im Oktober 2011 hat sie einen überragenden Sieg davongetragen. Jetzt will sie die völlige Selbstversorgung im Energiesektor erreichen und dafür die Beziehungen zu den ebenfalls rohstoffreichen Ländern Brasilien und Venezuela intensivieren.
"Das Vertrauen ist zerstört"
Der enteignete spanische Konzern reagierte scharf und kündigte an, alle Rechtswege auszuschöpfen: Der argentinische Staat "verletzt die fundamentalsten Prinzipien der Rechtssicherheit und zerstört das Vertrauen der internationalen Investoren", schrieb die Repsol-Konzernleitung in Madrid. Die argentinische Tochter hatte zuletzt mehr als ein Viertel des operativen Konzernergebnisses beigesteuert. Laut Repsol seien im Gegenzug aber mehr als ein Drittel der Förderinvestitionen nach Lateinamerika geflossen. Repsol verlangt eine Entschädigungszahlung und setzt den Unternehmenswert von YPF mit 18 Milliarden Dollar an.
Der 25,5-Prozent-Anteil des argentinischen Repsol-Partners, des Industriekonglomerats Grupo Petersen, das der Familie Eskenazi gehört, ist nicht von der Verstaatlichung betroffen.
"Unternehmen, die hier verwurzelt sind, bleiben argentinische Unternehmen, darüber sollen sich alle im Klaren sein", wetterte Fernández. Ausländische Konzerne sollten nicht auf die Idee kommen, Gewinne abzuschöpfen. Wenn sie im Land reinvestierten und so zum Wachstum betrugen, seien sie willkommen.
Ein Handelskrieg droht
Nun droht ein veritabler Wirtschaftskrieg mit Spanien: "Diese feindliche Entscheidung wird Konsequenzen haben", kündigte Industrieminister Jose Manuel Soria in Madrid an. Diese könnten die Diplomatie, Industrie und den Energiesektor betreffen. Als erste Reaktion berief Spanien am Dienstag den argentinischen Botschafter in Madrid ein. Das G20-Treffen im Juni in Mexiko verspricht einiges an Zündstoff.
EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso sagte in Brüssel, er sei "schwer enttäuscht" und erwarte sich, dass Argentinien internationale Vereinbarungen über den Investorenschutz einhalte.
Österreichische Firmen sind praktisch nicht gefährdet. Laut Josef Hofer, dem Wirtschaftsdelegierten in Buenos Aires, gibt es kaum Investitionen in Argentinien. Allerdings kamen im Vorjahr österreichische Waren um 126 Millionen Euro ins Land - vor allem Maschinen zur Lebensmittel- und Kunststoffverarbeitung und Stromgeneratoren, aber auch Pharmazeutika oder Spezialstahl. Hofer hofft, dass das Rekordergebnis gehalten werden kann.
Das ist alles andere als sicher. Importe sind seit Februar 2012 nämlich beschränkt: Jede Einfuhr bedarf vorab einer "eidesstattlichen Import-Erklärung" - muss also de facto genehmigt werden. Nach welchem Muster das funktioniert, ist vielen schleierhaft. Deutsche Exporteure sind dazu übergegangen, im Gegenzug für Fahrzeuge oder Maschinenteile Oliven oder Wein aus Argentinien zu importieren. Was manchmal helfe - aber auch nicht immer.
Argentiniens Regierung hatte in Wirtschaftsfragen schon bisher mit einem zweifelhaften Ruf zu kämpfen. Der Warenkreditversicherer Coface bezeichnet die "unvorhersehbare" Wirtschaftspolitik neben der hohen Inflation immer als größtes Geschäftshindernis.
Altlasten der Staatspleite
Nach der Staatspleite 2001 hat sich das Land zwar erstaunlich rasch erholt. Getrieben vom Inlandskonsum, dem Ressourcen-Reichtum und hohen Preisen für Agrarrohstoffe wie Soja konnte Argentinien mit Wachstum in chinesischen Dimensionen glänzen - acht, neun Prozent plus waren keine Seltenheit. Auch die Krise wurde gut bewältigt: Im Horrorjahr 2009 stagnierte die Wirtschaftsleistung (oder brachte eine leichte Rezession, die Zahlen divergieren).
Jetzt ist der Ausblick aber nicht der allerbeste: Argentiniens Exporte sind stark vom Nachbarn Brasilien abhängig, wo sich das Wachstum stark einbremst. Obendrein gerät die Inflation zusehends außer Kontrolle. Schon seit Jahren kämpft Argentinien mit hohen, zweistelligen Teuerungsraten. Das ist nicht zuletzt die Folge der Geldpolitik, die Fernández’ verstorbener Ehemann Néstor Kirchner begonnen hatte: Er stimulierte das Wachstum durch Ausweitung der Geldmenge - also faktisch Gelddrucken. Nicht von ungefähr hat die Regierung schon vor Jahren die Unabhängigkeit der Zentralbank abgeschafft und sich Zugriff auf ihre Reserven gesichert.
Fernández’ Reaktion auf die ausufernde Teuerung bestand bisher vor allem darin, die offiziellen Inflationszahlen zu schönen - und den Unternehmen Verkaufspreise zu diktieren. Glaubwürdige Schätzungen gehen mittlerweile von einer Inflationsrate von 25 Prozent für das laufende Jahr aus.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat sich zuletzt Anfang Februar beschwert, dass Argentinien gegen die Richtlinien verstößt, weil es keine akkuraten Zahlen zu seiner Wirtschaftsleistung und zur Inflation liefert. Das Führungsgremium des Fonds hat Buenos Aires nun abermals ein halbes Jahr Zeit eingeräumt, um seine Statistiken in Ordnung zu bringen. Sonst drohen Sanktionen. Fernández de Kirchner dürfte das wenig kümmern - sie hat schon bisher die Kooperation mit dem IWF verweigert.
Dem Land bleibt so aber auch der Zugang zu den Finanzmärkten versperrt, weil es sich (auch mehr als zehn Jahre nach seiner Staatspleite) noch immer nicht mit all seinen Gläubigern einigen konnte. Für Kredite müsste Argentinien prohibitiv hohe Zinsen zahlen; die Ratingagenturen bewerten die Bonität der Staatspapiere mit einer unteren Ramsch-Kategorie. Deshalb ist das Land primär auf seine Währungs- und Goldreserven angewiesen, um Auslandsschulden zu begleichen - diese werden noch auf gut 50 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Stopp dem Reservenschwund
Die argentinische Wirtschaftspolitik kann aber nicht auf Dauer fortgesetzt werden. Das erklärt die YPF-Verstaatlichung und die Importbeschränkungen: Die Regierung will so dem Schwund der Währungsreserven vorbeugen. Ein wachsendes Leistungsbilanzdefizit würde nämlich eine höhere Auslandsverschuldung bedingen. Bei den Pensionskassen ist jedenfalls nichts mehr zu holen - die sind seit 2008 verstaatlicht.
Wissen: Peronismus
Die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ist für ihre Sturheit bekannt – und sie macht selbst Witze über ihre streitsüchtige Art. Der Konfrontationskurs, den die argentinische Regierung gegenüber dem Ausland gerade fährt, schafft immer mehr internationale Kritiker. 2007 folgte sie ihrem mittlerweile verstorbenem Mann Nestor Kirchner an der Spitze des Staates nach. Das Ehepaar sah sich stets in der Nachfolge des legendären früheren Präsidenten Juan Domingo Peron, der eine protektionistische Wirtschaftspolitik mit sozialen Elementen verfolgte.
So zählt Fernández de Kirchner zum Peronismus, einer politisch-sozialen Bewegung, die auf den ehemaligen Präsidenten Peron zurückgeht. Mit seiner Ideologie des nationalistisch ausgerichteten "Justizialismus" wollte er einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus schaffen. Der mittlerweile zur Legende gewordene Regierungschef von 1946 bis 1955 versuchte, die unteren Bevölkerungsschichten mit staatlichen Sozialmaßnahmen in die argentinische Gesellschaft zu integrieren. Auch seine Frau Evita, von vielen Argentiniern bis heute als Heldin der Armen verehrt, prägte die Strömung des Peronismus mit.
Nach dem Sturz Perons entwickelte sich die Ideologie weiter, spaltete sich jedoch in linksradikale und konservative Gruppen auf. In den 1980ern gewann vor allem der marktwirtschaftliche Flügel an Bedeutung. Die heutige politische Organisationsstruktur des Peronismus existiert in Form der "Gerechtigkeitspartei", einem Netz von treuen Mitstreitern. Diese waren in den vergangenen Jahren Präsident Nestor Kirchner treu ergeben gewesen. Auch Cristina Kirchner kann auf die Unterstützung der "Gerechtigkeitspartei" zählen.
Bei ihrer Wiederwahl im Vorjahr kandidierte Kirchner für die aus dem Peronismus stammende Gruppe "Front für den Sieg". Diese ist keine politische Partei im engeren Sinn, sonder vielmehr eine Art Sammelbewegung. Kirchner wird als Mitte-Links-Politikerin eingeordnet. Ihren Hang zum Luxus teilt die argentinische Staatschefin mit der Ikone Evita. Kirchner soll während eines Staatsbesuchs in Paris umgerechnet rund 80.000 Euro für 20 Paar Schuhe ausgegeben haben soll. Die Staatschefin kommentierte das trocken: "Ich muss mich doch nicht als arme Frau verkleiden, um eine gute Politikerin zu sein." Auch Evita, die verstorbene Frau des Ex-Präsidenten Peron und selbst ernannte Kämpferin der "Hemdlosen", liebte teure Kleider.