Regimegegnerinnen wurden verhaftet, ihrer Kinder beraubt und ermordet.
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Buenos Aires/Wien. Beatriz Inés Ortega war 16 Jahre alt und schwanger, als die Männer der Diktatur kamen und sie holten. Gemeinsam mit dem 22-jährigen Kindesvater wurde die Argentinierin am 21. März 1977 auf ein Kommissariat der Stadt La Plata gebracht. Als zwei Monate später die Wehen bei der Regimegegnerin einsetzten, band man sie dort auf einen schmutzigen Küchentisch, fesselte sie an Kopf, Armen und Beinen. So gebar sie ihren Sohn, während sie ihre Peiniger beschimpften und folterten. Keine fünf Tage später nahmen sie ihr das Kind weg.
Von all dem erfuhr Leonardo Fossati erst sehr viel später. Als er 31 Jahre alt war, kam dem Mann, dessen Geburtsurkunde ihm bescheinigt, das leibliche Kind seiner Eltern zu sein, zu Ohren, dass er adoptiert wurde. Da er zur Zeit der Diktatur geboren wurde, beschlich ihn ein gewisser Verdacht. Schätzungsweise 500 Neugeborene und Kleinkinder wurden in dieser Zeit von den Militärs verschleppt und unter falschem Namen an zumeist regimetreue Familien gegeben. Die Mütter - und oft auch die Väter - wurden als Regimegegner verhaftet, gefoltert und ermordet. Viele von ihnen wurden lebend von Militärflugzeugen aus ins Meer geworfen und gelten seither als verschwunden. Der Kindesraub hatte System und das nahm seinen Ausgang von ganz oben.
Videla sieht sich als politischer Gefangener
Das Bundesgericht in Buenos Aires verurteilte deswegen nun die Diktatoren Jorge Rafael Videla und seinen Nachfolger Reynaldo Bignone. Die über 80-Jährigen erhielten in der Nacht auf Freitag eine Gefängnisstrafe von 50, beziehungsweise von 15 Jahren. Videla hatte sich für seine Taten gerechtfertigt und erklärt, die Mütter der Kinder seien "Aktivistinnen einer Terrorismusmaschinerie" gewesen. Sie hätten ihre Kinder als "menschliche Schutzschilde" missbraucht. Sich selbst erklärte er zum politischen Gefangenen. Vier weitere ranghohe Offiziere müssen 14 bis 40 Jahre in Haft, wegen der Beteiligung am "systematischen Plan" zum Raub von Kindern.
Zwei Angeklagte wurden freigesprochen. Videla und Bignone waren bereits wegen anderer Menschenrechtsverletzungen jeweils zweimal zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
In dem Prozess ging es um 35 Babys von regierungskritischen Frauen, die in einem Folterzentrum in Buenos Aires festgehalten und denen ihre Kinder weggenommen wurden. 26 von ihnen konnten inzwischen ihre wahre Identität zurückgegeben werden.
Einen großen Anteil an der Aufklärungsarbeit haben die Vereinigungen "Mütter vom Mai-Platz" beziehungsweise die "Großmütter vom Mai-Platz". Sie haben in minutiöser Arbeit sowie mittels Aufrufen und Gentests bereits 105 Fälle von Kindesraub unter der Militärdiktatur aufklären können. Unter ihnen findet sich auch die heutige Abgeordnete Victoria Donda, deren vermeintlicher Vater Juan Antonio Azic am Donnerstag zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Präsidenten Kirchner annullieren Amnestie
Ex-Präsident Néstor Kirchner hatte im Jahr 2003 die Amnestiegesetze aus der Zeit der Militärjunta annullieren lassen, wodurch Prozesse gegen die Verantwortlichen möglich wurden. Cristina Fernández de Kirchner, die 2007 ihrem Mann an der Spitze des Staates nachfolgte, setzt diese Politik fort.
Nach der Urteilsverkündung gegen Videla und Bignone erklärte Donda: "Dieses Urteil ist eine Wiedergutmachung nicht nur für die Opfer, deren Angehörige und Freunde, sondern für die gesamte Gesellschaft." Sie wurde 1977 in der Marineschule ESMA geboren, wohin ihre Mutter von den Militärs verschleppt und dort später ermordet worden war. Erst 2003 fand sie mit Hilfe der "Großmütter des Mai-Platzes" ihre wahre Identität.
An sie wandte sich auch Leonardo Fossati. Ein Jahr später hatten sie die Namen seiner Eltern herausgefunden. Fosatti erhielt die Gelegenheit, sich die Berichte von Zeugen anzuhören, die mit seiner Mutter eingesperrt waren und überlebt hatten. Nach und nach setzte sich das Puzzle zusammen.
Seine Adoptiveltern beteuern, dass sie von dem Kinderraub nichts gewusst haben. Seine leiblichen Eltern hat Fossati bis heute nicht gefunden. Sie sind verschwunden - so wie 30.000 andere damalige Regimegegner.