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Argentiniens Weg in die Normalität

Von Antje Krüger

Politik

Nach dem Zusammenbruch Argentiniens im Jahr 2001 gab kaum jemand dem frisch gewählten Präsidenten Néstor Kirchner eine Chance. Doch bereits in der ersten Hälfte seiner Amtszeit hat er es geschafft, das Land zu stabilisieren. Nun geht es daran, das krisengeschüttelte Land wieder aufzubauen.


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Als Néstor Kirchner am 25. Mai vor zwei Jahren das Präsidentenamt antrat, hatten nur 22 Prozent der Wähler auf ihn gesetzt. Der Peronist kam als kleineres Übel an die Macht. Er war ein Niemand, der Provinzler aus Feuerland - wie sollte der das krisengeschüttelte und korrupte Argentinien aus dem Dreck ziehen?

Der Zusammenbruch vom Dezember 2001 (siehe Kasten) ist in Argentinien nicht vergessen worden und doch klingt das Wort Krise heute schon nach "Damals". Das Land ist zur Normalität zurückgekehrt, wenn auch zu einer Normalität, in der noch immer die Hälfte der Bevölkerung in Armut lebt. Das Gefühl von überwundener Vergangenheit hat verschiedene Ursachen. "Argentinien ist wieder halbwegs stabil mit einem starken Präsidenten. An den politischen Strukturen hat sich nichts grundlegend geändert, so dass es scheint, es gehe so weiter wie bisher. Und das Leben funktioniert wieder wie gewohnt. Buenos Aires pulsiert und die Zeitungen melden wirtschaftliche Erfolge. Der Überlebenskampf, der vor vier Jahren auf die Straße getragen wurde, ist hinter die Wohnungstüren ins Verborgene zurückgekehrt. All das weckt den Anschein, die Krise wäre Geschichte", erklärt die Politologin Cecilia Lucca.

Der vor zwei Jahren belächelte Präsidentschaftskandidat legte schnell einen ungeahnten Charakter an den Tag. Kirchner erwies sich als außerordentlich volksnah - genau das, was Argentinien brauchte. Der Peronist brach mit der Tradition der Selbstbeweihräucherung und ging Themen von großer Popularität an, die ihm die Zustimmung von über 80 Prozent der Bevölkerung brachte. Höhepunkte waren dabei die rigorose Ächtung der Verbrechen der Diktatur in Argentinien (1976-1980), deren Täter bisher politisch geschützt wurden, der Kampf gegen die Korruption, der unter anderem zu Absetzungen von Führungsrigen in der Polizei oder dem Obersten Gerichtshof und zu vielfältigen Prozessen führte sowie die unnachgiebige Haltung seiner Regierung bei der Schuldenfrage.

Große Umschuldungsaktion

Das Thema Auslandsschuld ist in Argentinien derartig präsent, dass dafür sogar ein Museum eingerichtet wurde. Argentinien hatte mit 132 Milliarden US-Dollar Schulden 2002 die Zahlungsunfähigkeit erklärt. Im März diesen Jahres wurde nun die größte Umschuldungsaktion aller Zeiten abgeschlossen. Danach verzichteten 76,07 Prozent der Anleger auf etwa 65 Prozent ihrer Forderungen, insgesamt über 100 Milliarden Dollar Anleiheschulden plus Zinsen. Zwar hatten einige Fonds noch versucht, juristisch die Aktion zu stoppen, doch ist seit Mitte Mai nach einer Entscheidung eines US-amerikanischen Berufungsgerichtes der Weg zur Umschuldung frei. Und mit einem weiteren Verhandlungserfolg erreichte Wirtschaftsminister Roberto Lavagna vor wenigen Tagen, dass der Internationale Währungsfond IWF die Frist der bis April 2006 fälligen Zahlung von 2.508 Millionen US-Dollar um ein Jahr verschob - eine Atempause für das Land. "Wir müssen die dringenden sozialen Probleme der Bevölkerung angehen. Sie haben Priorität vor der Rückzahlung der Schulden", begründete Kirchner die harten Verhandlungen.

Politische Stagnation

Doch langsam sind die medienwirksamen Rundumschläge alle getan. Was folgt sind kleine Schritte, das Begonnene weiterzuführen. Und hier macht sich trotz verschiedener Erfolge wie einem Wirtschaftswachstum von 7,1 Prozent in den ersten vier Monaten des Jahres ein Gefühl der Stagnation breit.

Der politische Apparat ist der gleiche geblieben. Der schon heftig geführte Parlamentswahlkampf (Oktober 2005) läuft wie eh und je. Am stärksten wird um die Provinz Buenos Aires gerungen. Hier regiert Kirchners Gegner Eduardo Duhalde. Nun soll die Präsidentengattin Cristina Fernández de Kirchner ins Amt. Laut Umfragen liegt sie derzeit auch vorn. Kirchner selbst stilisiert die Wahlen zu einem "Plebiszit" über seine Amtsführung hoch. Der Rückhalt im Volk ist sein einziges Machtinstrument. Denn er hat seine Partei nicht geschlossen hinter sich.

Bei den Peronisten (PJ) machen sich verschiedene Strömungen die Vorherrschaft gegenseitig streitig. Um so wichtiger ist daher für Kirchner anderweitige Unterstützung, die er ursprünglich in einem breiten Bündnis außerhalb der PJ gesucht hatte. "Kirchner versuchte aus dem etablierten System auszubrechen und soziale Bewegungen, NGOs und Oppositionelle in seine Politik mit einzubinden. Das gab Hoffnung. Doch die sogenannten Transversalen verschwanden im Nichts und der Machtkampf wird jetzt wieder im alten Rahmen ausgetragen", sagt Cecilia Lucca.

Auch der Korruption wird Kirchner nicht wirklich Herr. Wie normal Bevorteilung in Argentinien war, zeigen die jüngsten Enthüllungen im Skandal um Politikergehälter in der Ära Carlos Menem (1989-1999). Damals wurden monatliche Beträge zwischen 30.000 und 100.000 US-Dollar zusätzlich zum Gehalt an Regierungsmitglieder gezahlt. Diese Plünderung öffentlichen Vermögens ist über geheime Gesetze legitimiert worden, die auch Kirchner nicht abschaffen will.

Angst vor der Hyperinflation

Und trotz Wirtschaftsaufschwungs und verschiedenster sozialer Maßnahmen wie Lohn- und Rentenerhöhungen und ein umfangreiches Wohnungsbauprogramm ist eine wirkliche Verbesserung der Lebensverhältnisse vor allem der armen Bevölkerung (noch) nicht zu spüren. Hinzu kommt die Angst vor einer fortschreitenden Inflation. Argentinien hat mehrfache Hyperinflationen erlebt, die letzte erst vor 15 Jahren. Momentan liegt die Verteuerung jährlich bei rund acht Prozent.

Die fast einheitliche Zustimmung zur Politik von Néstor Kirchner ist nun einer ersten Kritik gewichen, zumal ein konkreter Regierungsplan für nächsten zwei Jahre nicht zu erkennen ist. Trotzdem würden für Kirchner, sollte am nächsten Sonntag gewählt werden, rund 58 Prozent der Argentinier stimmen. Noch immer eine sehr gute Basis für die zweite Hälfte des Mandats in einem Land, das selten an einem Strang zieht.